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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0024
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6499

Die Bedenken des lunkers.

„Frauenstimmrecht — so ein Wahnsinn! Da könnte man ja in die Verlegenheit
kommen, bei einer Magd zu schlafen, die sozialdemokratisch gewählt hat."

^ Notieilvrlnc. eT

Krank ist das arme Deutschland,

Das kommt stets mehr zur Schau,
Denn ihm ist angelaufen
Das Antlitz schwarz und blau.

Daß also es gekommen,

Das kann verwundern nicht,

Ihm schlugen Pfaff und Junker
Mit Fäusten ins Gesicht.

Erst muß es sich erholen
Von dieser Schwereuot,

Damit auf seine Wangen
Kommt ein gesundes Rot!

Preußen ist nicht bloß der größte, sondern auch der dickfelligste
Staat des Deutschen Reiches,

Wer ihm durch das Dreiklassenwahlrecht die Wahrheit sagen null,
verklagt den Teufel bei seiner Großmutter,

Die preußische Wahlrechtsvorlage scheint ein Triumph der preu-
ßischen Sparsamkeit zu werden — nämlich Einlösung eines Königs-
worts auf Abzahlung! . * «

Der preußische Polizeiköter entwickelt sich mehr und mehr zum
Schoßhündchen der Justiz. . . .

Der preußische Staat glaubt der Herold der Weltgeschichte zu sein,
ist aber stets nur ihr hinkender Bote gewesen.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

v, Oldenburg. Und er eilte nach dem Bahnhof.
Kein Zug ging ab. „Alles eingesperrt!" sagte
auch hier ein alter Beamter.

„Bande!" knirschte Herr v. Oldenburg. Da-
mit meinte er die eingesperrteu Sozialdemo-
kraten. Denn nun wurde es ihm doch etwas
unbehaglich zumute. Und der Hunger trat
schon so mächtig auf, daß er den starken Mann
schier zu Boden warf. Herr v. Oldenburg
jauchzte daher förmlich, als er in einem Re-
staurant lautes Stimmengewirr und ein Klap-
pern mit Tellern, Messern und Gabeln hörte.
In wenigen Sekunden war er im Lokal, mitten
unter den Gästen. Zun, Glück fand er auch
eine» leeren Stuhl, auf dem er Platz nahm,
sich ei» gutes Frühstück bestellend, das er dann
mit Heißhunger verschlang.

Gesättigt, beschloß er, seine Freunde aufzu-
suchen.

„Kellneeer! zahlen!" rief er. llnd der Kell-
ner brachte die bereits ausgefertigte Rechnung,
die also lautete:

4 weiche Eier ä, 10 Mark , . 40 Mark

l Bcefstea!.«o

1 Portion Tee . .... . 50 -

6 Brötchen ii 10 Mark ... GO -

Zucker.10

Butter.20 -

1 Kognak.50 -

Summa 250 Mark

„toie sind wohl verrückt!" schnauzte Her
"'„„^oenburg den Kellner an, als er die Rech

nnderte dl^Kellner- M6et l'U^0 IM,eInb cr

"Urlauben Sie, mein Herr, wir sind jetzt i»
agrarischen Staate!" ' 5

„Eine unverschämte Bande seid ihr Ber
liner!" schrie nunmehr Herr «.Oldenburg. Abe
kaum hatte er diese Worte gesagt, da stürmte,
auf ein Zeichen des Wirtes zehn Schutzleut
i» das Lokal und schleppten Herrn v. Ölden
'»rg gewaltsam fort. Und noch ehe er sic!
von seinem Schrecke» erholen und sagen könnt,
wer er sei, sah er sich im Hofe eines Zucht
k?uses auf einen Bock gespannt, neben deu
Sträflinge, mit dicken Prügeln bewaffnet, stan
d°n ,,„d ein Aufseher sagte:

großartig, daß auf Antrag von I),
aefübrt? ^^gelstrafe für Unzufriedene ein
vorden ist. Haut ihn, daß die Lappe,

stiegen! Verdient hat er es. Schade um jeden
Streich, der daneben geht!"

Die Sträflinge schlüge» auf Oldenburgs
hinteren Teil seines menschlichen Daseins, so
daß er mörderlich schrie — und erwachte!

Herr v. Oldenburg soll seit jener Nacht sehr
nachdenklich geworden sein, llnd seine Rede
hat er nicht, wie beabsichtigt, int Reichstag
nochmals gehalten! ef.

Die unsittliche Turnerhose.

Katholische Geistliche in der Rhetnprovtnz protestierten
dagegen, daß Turnplätze in der Nähe von Kirchen an-
gelegt werden, weil zum Gottesdienst gehende Jung-
frauen sich an der leichten Kleidung der Turner in ihrer
Sittlichkeit beeinträchtigt fühlen könnten.

Weißbehoste Turnerwaden
Bringen keuschen Jungfern Schaden,

Erstens an dem Seelenheil.

Zweitens an dem Vorderkeil.

Denn sie wecken oft bei diesen
Böse puste in den Busen
ilnd lädieren bei der Maid
Ihre keusche Sittlichkeit.

Drum, ihr Jungfern, bandelt weise.

Flieht das weiße Beingehäuse,

Denn in einer solchen Bux

Treibt der Teufel seinen Jur.-

Die sich solcherweis erbose»

Über weiße Turnerbose»,

Sind nntllrlich, ei ei ei,

Wieder von der Klerisei.

Schnurrig, daß es stets die Frommen
Mit der Sittlichkeit bekommen.

Wo kein andrer Arges sieht!

Und ich denke im Gemüt:

Wer a«f dies Gebild von Linnen
Schielet mit verderbten Sinnen,

Äimmel Lerrgokt, ist das ein. . ,

Lm — was reimt sich gleich auf Bei»?, Uno.

Lieber Jacob!

De Ajrajer haben bekanntlich im letzten
Sommer de Erbschaftssteier abjelehnt, weil se
sirchteten, bet der deitsche Familjensinn drunker
leiden könnte, Del war sehr nobel un patrio-
tisch von sie jehandelt, un det deitsche Volk hat
de Motive der Edelsten un Besten ja ooch janz
richtig jewürdigt - wie de Wahle» in't letzte
tzalbe Jahr bewiesen haben. Aber ivat hilft
alle Vaterlandsliebe un aller Opfermut unserer

Junker, wenn de amtlich berufenen Stitzen der
Ordnung „ich uff'n Platz sind? Mit de jreeßten
Anstrengungen hat sich der olle Jraf Kwiletzki
eenen männlichen Leibeserben hervorjernfen,
un de janze Familje war mit Recht stolz uff
de Leistung — da kommt jetz det Posener Ober-
landesjericht un sagt: Zappen duster! Wat is
de Folje dervon? Een zielbewußter Jreis wird
um de Frichte seiner ehelichen Tatkraft be-
trogen, un een zarter Edelknabe sieht sich in
seine Eltern jeteischt un weeß nich mehr, wo-
hin er seine anjeborenen kindlichen Jefiehle
dirijieren muß. Wie soll — frage ick Dir —
der erbsteierfreie deitsche Familjensinn jeflegt
werden, wenn sojar de heechsten preißeschen
Jnstizbeheerden ihm uff so 'ne hinterticksche
Weise zu unterjraben trachten?

Det is um so schmerzlicher for uns, wenn
wir sehen, ivie jut et in diese Hinsicht andere
Völker haben. In Beljien zum Beispiel sind
se uns mit deu Familjensinn knollig ieber. Det
seht een' durch un durch! Kaum is Cleopold
in de ewije Seligkeit injefahren, da waren
ooch schon sämtliche drei Töchter an de Bahre
des leiern Entschlafenen versammelt un achteten
mit de strengste Pietät druff, det de hinter
lasseuen Familjenjieter ja nich in falsche Hände
jeriete». Welches de richtijeu Hände sind, da
drieber haben se sich ja allerdings bis jetz noch
nich recht einijen können. Aber det muß ooch
sehr schwierig sind bei so 'ne Jottesjnadenper-
seenlichkeit, die nich bloß 'n jewehnlicher poplijer
Familienvater, sondern Landesvater im jreeß-
ten Stil jewesen is un sein Keenigreich zum
dichtbevelkertsteu Staat der Erde jemacht hat.
Na, aber wenn schon! De drei Töchter werden
sich am Ende doch einijen, wenn ooch vielleicht
eiuije Schinjons un 'n paar falsche Backzähne
uff de Walstatt zurückbleiben. Un de Erb
schaftsteier mechten se jewiß ferne berappen,
ohne det ihr Familjensinn in't jeringste leiden
wirde wenn man bloß 'n kleenet bisken
mehr dabei zu erben wäre! Aber ,vat fängt
so',, armes Waisenmächen mit lausije fimf
Millionen an, wen» et siebzehn Millionen
Schulden hat?

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Stanke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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