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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0035
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— 6510

WM Michels fastnacht.A'A'

Derdrießlich hockt der gute Michel,

Der Hrger frißt an feiner Bruft,

Ls mangelt ihm in diefem jahre
Durchaus die rechte fafchingsluft.
Dergeblid) sucht er, was ihm könnte
Das dliftre Dörglerherz erfreun —

Da plötzlich steigt vor feinen Blicken
Lmpor ein bunter kingelreihn.

Ls schreitet im Paradetritte
Doran dem froh bewegten Lhor
Mit Säbel, Raupen, tzelm und Schärpe
Lin richt'ger preußischer Major.

Doch läßt der Michel sich nicht täuschen
Durch diese prunkende Oestalt:

Denn, ach, es ist ja nur der Kanzler,

Ls ist nur Bethmanns Dheobald!

Dicht hinter ihm erscheint den Blicken
Lin schwarz und blau karierter Schwarm:
Die Lentrumspfakfen und die junker,

Sie walzen jauchzend flrm in flrm.

Ls balgten sich die edlen Brüder
Der kurzem noch wie Hund und fiatz’ —
jetzt, in des fufelblockes Leichen,

6ab man sich den Derföhnungsschmatz.

flott rührt die altersschwachen Beine
Lu jugendfrisch beherztem Sprung
Die neugebackene Triole
Der liberalen LInigung.

Sie schwelgt in süßen flitterwochen,

Und kindlich froh ist ihr Oemüt —

Man mutz die kurze frist benutzen,
Solang uns noch das Lämpchen glüht.

Hurra, da lst auch unser Dernburg!
was streut er aus mit voller Hand?
Demanten find es aus SUdwesten,

Die dort er auf der Straße fand!

Die Kämpen Bruhn und kreth erscheinen
flls Stützen von flltar und Dhron,

Und Tirpitz zeigt sich, der Meschores,
Nebst frankenthal und jakobfohn.

Und weiter drängt sich Neih'an Reibe,
Und immer länger wird der Zug —

Der Michel ist vollauf befriedigt,

Lr schließt das flug', er hat genug!
Solang ein solcher faschingsmumpltz
lhn rings umgibt allüberall,

Derzichtet er bescheidnen Sinnes
Huf jeden andern Karneval! ,.s.

Im Weißen Saal.

„So 'ne Landtagseröffnung in Preußen ist
für unsereiuen doch eigentlich recht peinlich!"
flüsterte ein liberaler Abgeordneter, dem wäh-
rend des feierlichen Wartens auf Wilhelm II.
ein ganz kleines Licht aufging: „Man tut am
besten, dabei gar nicht an seine Würde als
Volksvertreter zu denken. ..."

„. . . oder man denkt ganz einfach: man
hätte sie in der Garderobe abgelegt!" ergänzte
ein erfahrener Kollege.

Zweiunddreißig Worte.

„Wissen Sie schon? Sogar der Staats-
sekretär Krätke soll mit der Behandlung der
Wahlreform in der preußischen Thronrede
absolut nicht einverstanden sein!"

„Nanu?"

„Weil's nämlich immer nur eine Mark sechzig
Pfennig gekostet hat, sie wörtlich zu telegra-
phieren!"

Notizbuch eines gebildeten Schutzmanns.

Die uniformierte Polizei ist das Auge des
Gesetzes; und gleichsam seine Nase ist die
Kriminalpolizei. ,

Der Straßenverkehr muß genau so aussehen
wie der Straßenverkehr, der sich im Kopfe des
Herrn Polizeipräsidenten gemalt hat, als er
ihn durch Verordnungen zu regulieren bestrebt
war. «

Man soll den Staatsbürger ab und zu durch
kräftiges Vorwärtsschubsen über die Schädlich-
keit eines zu ungestümen Fortschritts belehren.

In gutgesinnten Staatsbürgern pflegt sich
der direkte Nespekt vor unsereinem noch durch
den indirekten Respekt des ehemaligen Rekruten
vor deni ehemaligen Unteroffizier zu verstärken.

Was man schwarz auf weiß besitzt, kann
man getrost zur Wache tragen.

Man ist zwar sozusagen der Erzschutzengel
des Staatsbürgers; aber bei dessen Unvernunft

muß der „Michael" oft genug noch eine»
„Gabriel" zu Hilfe rufen, um das Gefäß der
unsterblichen Seele auf die Wache zu trans-
portieren. «

Wenn irgendwo gebrüllt ivird: „Schutzmann!
Messerstiche!" so denke man über den logi-
schen Widerspruch nach, der schon darin liegt,
daß sich beides absolut nicht miteinander ver-
trägt. .

Die ganze Sozialdemokratie ist eigentlich bloß
ein riesiger Menschenauflauf um den andauern-
den groben Unfug herum, den der Staat ver-
übt. (Anmerkung der Redaktion: Dieser
abschließende Satz war im Notizbuch dick mit
Tinte wieder zugeschmiert und konnte nur auf
chemischein Wege ermittelt werden.!

Faschingsereignisse.

Da der Fasching in diesem Jahre sehr kurz
ist, bleibt der preußische Landtag bis über
Ostern geöffnet. ,

Die Baronin Vaughan erstürmt mit den
Gläubigern der Prinzessin Luise gemeinsain
das Brüsseler Schloß und wird Königin.

In Berlin findet ein diplomatisches Sechs-
tagereden statt. Der Sieger erhält die „gut
erhaltene Staatsministeruniform", die in der
„Norddeutschen Allgemeinen" zum Verkauf
ausgeboten stand. t

Der Berliner Polizeihund, den man als
flüchtig ansah, hat in Wirklichkeit inzwischen
die Spuren Cooks verfolgt: er entdeckte ihn
im Berliner Kriminalbureau, wo er sich am
sichersten fühlte.

Zur weiteren und endgültigen Bersiltlichnng
Münchens hat die dortige Polizei verfügt, daß
die Leitung des diesjährigen Faschings deni
Astloch-Pfarrer Seubert übertragen ivird.

Diamantenzeit.

Aövt'ss, ihr Deutschen allerorten,
Nunmehr sind wir reich geworden.

Weil in Afrika wir fanden
Jetzt so viele Diamanten!

Das tut glitzern und tut gleißen
And tut in die Augen beißen.

And es eilen Spekulanten
Zahlreich zu den Diamanten.

Schöpfen dort mit vollen Länden,

Als wollt' nie der Reichtum enden.

Wenn auch Dernburg ruft gar kräftig:
„Leutchen! Le! Nicht gar so heftig!"

Za, die Schätze ferner Tropen
Werden fleißig nun gehoben.

And zum Steuerzahler spricht man
And dem Braven Kränze flicht man:
„Die viel hundert Millionen
Werden sich nun glänzend lohnen.

Die du tatest bar erlegen
Zu der Kolonien Segen."

Dorten wird sich's nunmehr lichten,
Tausend Millionäre züchten
Wird man und zu solcher Blüte
Kam man durch des Volkes Güte,

Das im Eifer nie erloschen.

Zahlend seine Steuergroschen.

Wie die Diamanten glänzen!

Lochgefühle ohne Grenzen!

Doch wenn dieses Volkes Magen
Sollt' einmal der Lunger plagen —
Trefflich Mittel ist vor allen:

Seinen Gürtel enger schnallen! ü.&i.

Amtlich bescheinigt.

Unsere braven Stützen von Thron und Altar
fühlten sich immer beleidigt, ivenn inan Hinter-
pommern als eine der „rückständigsten" Gegen
den bezeichnete. Nun macht aber jetzt der Land-
rat des Kreises Stolp selbst im „Kreisblatt für
Stolp" amtlich folgendes bekannt:

„Die schleunige Zahlung der Hundesteuer für
das Halbjahr 190!» wird den rückständigen
Guts und Gemeindevorstehern in Er-
innerung gebracht."

Na also!
 
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