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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0039
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6514

Zn Kiel.

„Jetzt kommt diese chinesische Marineftudienkommission ausgerechnet zu uns!
Haben diese Leute denn an ihren eigenen Zöpfen nicht mehr genug?"

Gedanken
eines Narren.

Fasch ingsblödsinn wirkt
auf die Dummheit sta-
chelnd wie Alkohol und
auf die Klugheit betäu-
bend wie Chloroforiu.

Während des Karne-
vals hat die Politik in
der hintersten Zelle des
menschlichen Schädels so-
zusagen Dunkelarrest und
kommt erst am Aschermitt-
ivoch wieder frei.

„Karneval" heißt wört-
lich: Fleisch adieu! Wer
Sonntags sein Huhn nicht
im Topf hat, der darf sa-
gen, daß erKarneval feiert.

Silvester und Fasching
unterscheiden sich durch
„Karpfen" und„Krapfen".
Mancher brave Deutsche
hatinzwischenfreilichnicht
bloß die Buchstaben a und
r, sondern auch seine Bet-
ten versetzt!

In München würde der
philosophische Zylinder
Theobalds voraussichtlich
glatt eingetrieben werden!
In Berlin dagegen hat
inan zu viel Respekt vor
dem - - Sachbeschädi-
gungsparagraphen. T.

Fasching.

Flocken, hell wie Silbertropfen .. .

Tag und Nacht voll Melodie'»,

Wo die Äerzchen höher klopfen.

Wo die Wangen röter glüh'».
Geigenklang und Pfropfenknall
Und Konfetti iiberall,

Pierrot mit dem Pritschenschlage
Narrentage — Narrentage!

Und auch die pvlit'schen Geister
Scheinen davon angesteckt.

Und sie glauben ihrem Meister
Macht's der Walzer? Macht's der Sekt?
Ja, sie glauben, daß dem Recht,

Mai» den Weg bereiten möcht'.

Daß das Tor zur Gleichheit offen
Närrenglaube! Narrenhoffen!

And der Aschermittwoch harret
Düster an der Schwelle dann.

And das graue Elend starret
Sie mit Geisteraugen an .. .

And so wechseln voller Lohn
Ach, wie viele Jahre schon!

Auf dem hohen Reichsiheater
Narrenrausch und Narrenkater! P.E.

Narrenweisheit.

Es dunkelt schon. Die Arbeit will nicht vom
Fleck. Mein Gehirn ist müde — mißmutig
stehe ich auf und trete ans Fenster.

Immer noch hängt dieser schwere kalte Nebel
in den Straßen. Seit Wochen keine Sonne
mehr! Die Menschen trotten stumpfsinnig in
dem klebrigen Schmutz dahin.

Geschieht ihnen recht! Was für ein kapitaler
Blödsinn, sich in diesem Klima anzusiedeln, hier
eine Kultur zu etablieren. „Nördlich gemäßigte
Zone" — es ist zum Lache». Neun Monate
im Jahre eine maßlos gemeine Witterungs-
schweinerei; und dann drei Monate keinen
Soininer. DiejGlücklichen, die nach dem Süden
eilen können, der Sonne entgegen! Ach, daß
die Sonne so teuer ist, so unerschwinglich teuer
für die Millionen armer Teufel, die die „christ-
liche Kulturwelt" darstellen.

„Herein!" Natürlich mein Freund Hans, der
Faschingsnarr mit der Schellenkappe. Ehe ich
mich's versehe, haut er inir mit der Pritsche
eine hin und schilt los:

„Menschenkind, was bläst du hier Trübsal?
Heute ist doch Maskenball. Mach' dich fertig!"

„Nein, du Hans Narr," erwidere ich. „Ich
habe Ernsteres zu tun, ich muß arbeiten."

„Arbeiten mußt du?" unterbricht er mich
lachend. „Du Arb eitsnarr! Seht den Tropf,
hat immer zu tun, hat nie Zeit, kommt nie zum
freien fröhlichen Genuß seines Daseins. Und
ist noch nicht fertig mit seiner Arbeit, da muß
er ins Gras beißen, der arme Arbeitsnarr!
Strich drunter! Morgen ist wieder ein Tag.
Vorwärts also, mach' dich fertig!"

„Du denkst nicht an die Zukunft," sage ich.

„Was, ich? Du denkst nicht an die Zukunft,
weil du immer nur an die Zukunft denkst.

Du Zukunftsnarr! Siehst, fühlst, durchlebst
nicht den Augenblick; hastest atemlos, vorn-
übergebeugt in die Zukunft. Willst sie haschen,
die nie Erreichbare, und stürzest darüber ins
Grab. Lebe in der Gegenwart, für die Gegen-
wart, so lebst du der Zukunft. Nun aber vor-
wärts, mach' dich fertig!"

„Das Leben ist zu schwer, die soziale Not
ist zu groß, die Zeit ist zu trübe," werfe ich
ein. „Wer kann da fröhlich sein?"

„Wer?" lacht Hans Narr. „Ich zum Bei-
spiel! Wird das Leben leichter, die Not kleiner,
die Zeit heller, wenn man den Kopf hängen
läßt und Trübsal bläst? O du Trübs als narr!
Merkst nicht, daß du dadurch alles schlimmer,
noch viel schlimmer machst? Fröhlicher Sinn,
Freund, gibt frischen Mut. Vorwärts, vor-
wärts, mach' dich fertig!"

„Ich bin zu alt, Hans," sage ich, „du auch!
Überlassen wir solche Spässe der Jugend."

„Zu alt!?" Er lacht wieder hell auf. „Da
höre doch einer den Altersnarr! Fühlt
sich ,zu alt“ und lehnt das einzige Mittel ab,
sich zu verjüngen. Fröhlichkeit macht jung.
Zehn Jahre früher wirst du sterben, so du
dir diese Weisheit des Alters, die Heiterkeit,
nicht erwirbst, du Griesgram! Aber wenn du
schon ,zu alt“ bist, so beeile dich um so mehr!
Hier, Domino und Maske! Rasch, damit du
nicht noch älter wirst, mach' dich fertig!"

„Auch noch zur Maskerade willst du mich
überreden? Bleib' mir vom Leibe mit dem
sinnlosen kindischen Plunder!"

„So so, der sinnlose Plunder, der paßt dem
würdigen, weisen Manne nicht," spottet Hans
Narr. „Also ein Vernunftnarr bist du auch!
Willst das Leben mit Logik meistern und den
Menschen deine vereheliche Nasenspitze als
unfehlbaren Kompaß aufreden. Bist doch noch
dümmer, als ich dachte! Siehst nicht einmal,
daß sich die Menschen verkleiden, um sich ein-
ander ohne Hülle zeigen zu können; daß sie
sich verstecken, um sich leichter zu finden; daß
sie die Masken vornehmen, um offen mitein-
ander reden zu können. O du Erznarr, hinein
jetzt in die schützende Hülle, kraft deren du als
Nackter unter Nackten wandeln darfst! Und
hier die Maske, die sehend-unsichtbar machende
Tarnkappe. Hinein, sage ich, mach' dich fertig!"

„Nein nein!" schreie ich. „Ich will nicht, ich
bin nicht in der Stimmung. Sei du fröhlich,
Hans Narr, wenn's dir Spaß macht; aber ver-
lange nicht, daß ich es auch bin! Man kann
die Fröhlichkeit nicht erzwingen."

„Ach, du Narr aller Narren, du Stim-
mungsnarr!" lacht der lustige Kumpan.
„Komm her, ich will dir ein befreiendes Ge-
heimnis verraten. Neige dein Ohr, dmnit ich
sie dir anvertraue, die göttliche Kunst, sich selbst
fröhlich zu machen."

Damit ergriff er mich am Ohr, zog mich zu
sich heran und flüsterte mir seine Weisheit zu.

Da sah ich ihm dankbar in die leuchtenden
Augen. Dann schlüpfte ich in das Gewand
und eilte mit Hans Narr zum Maskenfest.

Es war zwar etwas spät, als ich am nächsten
Morgen erwachte. Aber sonderbar — ich hatte
keinen Kater, weder einen physischen noch einen
moralischen. Im Gegenteil, so wohl hatte ich
mich lange nicht gefühlt. Es war mir, als ob
ich die ganze Nacht im Sonnenschein gewan-
delt wäre. Ein Strom von Freude war durch
mein Wesen gegangen, hatte den Trübsinn
aus allen Winkeln fortgeschwemmt und mich
mit geläuterter Lebenslust erfüllt.

Nun möchtest mich du gern Hansens köstliches
Geheimnis erfahren? So neige dein Ohr und
lerne die hohe Kunst: Willst du dich selber froh
machen — so erfreue die anderen! W
 
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