Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0041
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
- 6516

Der gläubige Bäckermeister.

Ein protestantischer „Bund gläubiger Bäcker"
ist vor kurzem gegründet worden.

Ach, wie schön ist doch die Welt,

Wenn man fest am Glauben hält!
Morgens schon in aller Frühe
Beuge ich vor Gott die Knie.

Mischt die Bärme man zum Mehle,

Sing' ich brünstige Choräle.

Während ich die Masse knete,

Schwelgt, die Seele im Gebete.

Rühre ich im Sauerteig,

Denk' ich an das Limmelreich.

Dan», beim Formen meiner Schrippen,
Fließen Psalmen von den Lippen.

Schiebt das Blech man in den Ose»,
Setzt's noch ein'ge Liederstrophen,

Und wenn's durchgebacken ist.

Fühl' ich mich als gläub'ger Christ,

Mit dein ganzen Personal
Schreite ich zum Abendmahl.

Halleluja! Gottes Gnade
Leuchtet mir auf meinem Pfade,

Und wenn ich mein Leben schließ'.

Komme ich ins Paradies,

Geh' auf meinem Semmelbein
Quietschfidel ins Jenseits ei»! I. e.

Der agrarische Generalstreik.

Ein Zukunftsbild.

Es Ivar jedem Einsichtigen klar, daß es so
nicht weitergehen durfte und konnte. Schon
im Jahre 1909 hatte der große Umschwung
begonnen. Die Beliebtheit, deren sich die ost-
elbischen Junker von jeher in allen Kreisen
des Volkes erfreut hatten, war offensichtlich im
Schwinden begriffe».Die deutsche Nation zeigte
sich undankbar, die Konservativen verloren ein
Mandat nach dem andern. Die Regierung
bemühte sich zwar, die drohende Katastrophe
abzuwenden: die Landräte, die Gendarmen und
die Geistlichkeit waren angewiesen, bei den
Wahlen alle Lock- und Schreckmittel der irdi-
schen und himmlischen Autorität ins Treffen
zu führen — aber es hatte sich alles als ver-
geblich eriviesen. Die Klinke der Gesetzgebung
entglitt den erprobten Fingern des schweine-
züchtenden Adels, und auch der wirtschaftliche
Boden, aus dem seine politische Macht erwuchs,
geriet ins Wanken. In Schare» verließen die
ländlichen Sklaven und Sklavinnen, die ge-
segneten Gefilde Ostelbiens, und auch die Po-
lacken und chinesischen Kulis, die man statt
ihrer importierte, waren so anspruchsvoll ge-
worden, daß ihnen die patriarchalische Behand-
lung und Entlohnung nicht mehr zusagte. Dazu
kam der völlige Niedergang der Fuselbrennerei.

Durch den Schnapsboykott, jenen heimtücki-
schenStreich dervaterlandslosen Rotte, wardem
edelsten Zweige der nationalen landivirtschaft-
lichen Produktion derTodesstoß versetzt worden.

Die Lago des feudalen Großgrundbesitzes
war eine wahrhaft verzweifelte geivorden, und
nur ein radikales Heilmittel konnte dauernde
Pilse bringen. Man inußte versuchen, den
Umsturz mit seinen eigenen Waffe» zu schlagen.
Auf einer außerordentlichen Generalversamm-
lung im Zirkus Busch wurde vom Bunde der
Landwirte der Beschluß gefaßt, in einen agra-
rischen Generalstreik einzutreten. Die ostelbi-
schen Guts- und Rittergutsbesitzer, Majorats-
herren und Domänenpächter verpflichteten sich,
bis auf weiteres jede produktive Tätigkeit ein-
zustellen, auf ihren Besitzungen nur so viel zu
bauen, als sie zum eigenen Lebensunterhalt
bedurften, während des Streiks ihre Landsitze
nicht zu verlassen und Handel und Industrie
nicht einen Pfennig zu verdienen zu geben.

Eine fürchterliche Panik ergriff das deutsche
Volk, als die Kunde von diesem Beschluß an
die Öffentlichkeit drang. Die Verzweiflung war
allgemein, aber die tatsächlichen Folgen des
furchtbaren Schrittes waren noch schlimmer.
Deutschland veränderte sein Antlitz. Die vor-
nehmeren Tingeltangel, Chambre separees,
Tanzlokale und Nachtcasös Berlins, Stettins,
Danzigs und Königsbergs stellten schon nach
vierzehn Tagen ihre Betriebe ein. Norderney,
St. Moritz und Aachen lagen verödet da, und
wer abends die Berliner Friedrichstraße pas-
sierte, glaubte sich nach Stallupönen versetzt.
Der weltstädtische Damenflor, der hier früher
das Trottoir belebt hatte, war verschivunden,
die Juwelierläden und Zylinderdestillen hatten
ihre Pforten geschlossen. Dcr internationale
Handel lag in seinen kulturell wichtigsten
Teilen brach: Rußland sandte keinen Kaviar,
Frankreich keinen Sekt, England keine Austern
mehr nach Deutschland. Dagegen nahm die
Einfuhr von ausländischem Getreide und Vieh
einen beängstigenden Aufschwung. Denn da
die deutsche Landwirtschaft erklärt hatte, nichts
mehr für den Markt produzieren zu wollen, so
mußten die Zollgrenzen geöffnet werden, und
ungeheuerliche Massen von wohlfeilem Roggen,
Weizen, Kartoffeln, Rindern, Schweinen und
Schafen ergossen sich über das unglückliche Vater-
land. Die Preise für die notwendigsten Lebens-
mittel sanken auf ein Minimum. Zahllose
Familien, deren Mitglieder sich seit Jahren
nicht mehr satt gegessen hatten, hielten täg-
lich drei bis vier reichbesetzte Mahlzeiten ab.

Die verheerenden Folgen dieses ungesun-
den Zustandes blieben natürlich nicht aus.
Die Kindersterblichkeit nahm reißend, ab und
die Bevölkerung wuchs von Jahr zu Jahr.
Die niedrigen Lebensmittelpreise gestatteten

eine bedenkliche Verkürzung der Arbeitszeit,
wodurch das Proletariat so viel müßige Stun-
den gewann, daß selbst der simpelste Taglöhner
sich eingehend mit der Lektüre von Büchern
und Zeitungen beschäftigen konnte.

So mußte notwendigerweise allmählich der
Augenblick herankommen, wo höhere Gewalten
sich zum Einschreiten veranlaßt sahen. Die all-
gemeine Bildung und Intelligenz des deutschen
Volkes gediehen nämlich zu einer derartigen
Höhe, daß Thron und Altar ernstlich gefähr-
lich erschienen. Da man dem nationalen Heere
nicht mehr trauen konnte, sah sich die Regie-
rung nunmehr veranlaßt, das befreundete
Zarenreich um Hilfe anzurufen. Verstärkt durch
zahlreiche Kalmücken- und Baschkirenhorden
rückten frisch-fröhliche Kosakenheere in Deutsch-
land ein, und nach glorreichem Kampfe ge-
lang es, unserem unglücklichen Volke den Frie-
den der Seele und seine heiligsten natio-
nalen Güter wiederzugeben. Energisch arbei-
tende Kriegsgerichte nach erprobtem spanischem
Muster beseitigten rasch und gründlich die
letzten noch merkbaren Folgen der schlimmen
Zeit. Bald stand auch Deutschland wieder in
alter Herrlichkeit da. Thron und Altar waren
gesichert, die Landwirtschaft blühte im Schutze
segenspendenderZolltarife, und der Bürger war
endlich wieder zu der Einsicht gekommen, daß
im produktiven Wirken des Agrariertums die
nationale Größe und das Wohl des deutschen
Volkes begründet liegen. I.

Das blaue Blut.

„Aber Maxe, deine Neese wird ja schon orntlich blau
„Ick siehre ooch 'n janz aristokratisches Leben — ar-
beeten tu ick nich, saufen tu ick un iberhaupt leb' ick
janz uff Kosten von andre Leite."
 
Annotationen