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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 27.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.6708#0413
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6880

•£> Wenn zwei dasselbe Lun. (&

Hans Erich.Schulte ist ein fixer Kerl. Wenn
die anderen Genosse» mit den Flugblättern
noch im ersten oder zweiten Haus herumklettern,
hat Hans schon drei oder vier Mietkasernen
nebst Quergebüuden und Seitenflügeln vom
Dach bis zum Keller belegt, und manche Frau,
die den „Roten" sonst die Türe vor der Nase
zuschmettert, nimmt dein schmucken blonden
Riesen mit freundlichem Lächeln das Flugblatt
aus der großen starken Hand.

Hnt halb neun hat er seinen Rundgang an-
getreten, und eine Stunde später — die Glocken
der „Barmherzigkeitskirche" rufen die evange-
lische Christenheit gerade das erste Mal zum
Sonutagssermon — eine Stunde später schon
ist iu den sechs vier- und fünfstöckigen Häusern
des Schulteschen Reviers alles aufs beste er-
ledigt: zweihundertfünfzig Flugblätter tun ihre
Pflicht und Schuldigkeit. . . wie jener, der sie
den trägen Großstädtern ins Haus getragen
hat: Hans Erich Schulte.

In der Gaststube, die den Partei- und den
Gewerkschaftsgenossen des Bezirks für ihre
Tagungen dient, treffen sich die wackeren Helfer,
die treuen Arbeiter, nachdem sie treppauf trepp-
ab gelaufen sind, ihrer Pflicht zu genügen. Sie
tauschen in lebhaft nwgendeu Gesprächen ihre
Erfahrungen aus: ivie man sie in den einzelnen
Häusern ausgenommen, ivie hier ein Wirt, dort
ein Verwalter oder Portier sich gegen die Flug-
blattverteiler pöbelhaft betragen und wie man
dem brutalen Pascha von Nummer siebzehn
— ein Rieseneckhaus mit zwei Aufgängen von
der Straße — trotz aller Wachsamkeit ein
Schnippchen geschlagen hat.

Als Hans Erich die Gaststube betritt, schwirrt
ihm laut und lustig der Stimmenschwall ent-
gegen. In losen Gruppen plaudern und lachen
die Genossen, und eine Wolke von heller Fröh-
lichkeit und dunklein Tabakdunst breitet sich
über die Szene. In einer Ecke nur, einer Art
Nische, ist's ungemütlich still. Dort sitzt frech
und breit, den „Lokalanzeiger" in der Hand
und über das Blatt auf die frohmütigen Plau-
derer schielend, ein baumlanger Kerl, Zimmer-
mann von Beruf: wie Hans Erich Schulte.
Kein Mensch beachtet ihn — und man hält
sich den Franz Priedel zehn Schritt vom Leibe.

Priedel ist stets ein rabiater Bursche geivesen:
streitsüchtig, ohne Bildungsdrang, hämisch und
gehässig, disziplinlos, unorganisiert und un-
organisierbar. Beim Äusstand der Bauarbeiter
jüngst hat er's schließlich bis zum Streikbrecher
gebracht. Wo's der Solidarität bedarf, da kann
man auf ihn nicht rechne», aber wo er einen
Haufen anständige Arbeiter zusammen weiß,
da stellt er sich ein, um Hader und Händel zu
suchen. Kein Gastwirt sieht ihn gern, denn wo
Priedel auftaucht, da ist Zorn und Zank nicht
fern, indessen: der Kerl hat einen großen Durst,
eilt großes Maul und eine lockere'Hand —
zum Geldausgeben ivie zum Dreinschlagen-

Als Hans Erich Schulte die Gaststube be-
tritt, sieht er den „Kollegen", der, geächtet
und von allen gemieden, lauernd und sprung-
bereit in seinem Winkel hockt. Er will an
Priedel, ohne ihn eines Blickes zu würdige»,
vorübergehen, der aber faßt Schulte fest am
Ärmel und zwingt ihn, will er sich nicht den
Rock zerreißen lassen, vor ihm stehen zu bleiben.

.,Sag' mal, Hans . . ."

„Ich bin nicht dein Hans, verstehst du?"

„Aber Mensch, ich Hab' dir doch nichts ge-
tan!?"

„Nee, das glaub' ich —: mir persönlich bist
bu noch nicht an den Wagen gefahren; würde

ich dir auch nicht raten, denn du weißt doch,
so stark wie du —"

„Ach, Quatsch!"

„Ist durchaus kein Quatsch! Soll einem
nicht die Galle ins Blut steigen, wenn man
sieht, wie ein Kerl wie du dick und faul auf
der Bärenhaut liegt, derweil unsere Genossen,
und kranke und schivächliche drunter, sich die
Lunge ablaufen, damit's bald mal besser wird
int Staate und wir alle:— auch solche Ele-
mente wie du — schöner leben können als
jetzt?!"

„Das werd't ihr grade schaffen mit eure
Treppenkletterei! Wofür habt ihr euch denn
heute wieder die Hacken abgeraunt?"

„Wofür? Fürs Parteiblatt! Damit die In-
differenten und die Streikbrecher —"

„Du!!"

„Ja, du, du! Damit die Dummen unter den
Proletariern, die noch den „Lokalanzeiger" und
das andere Dreckzeug lesen, damit ihr endlich
aufmacht und euch die Schlafmützen vom Koppe
reißt!"

Um die beiden hatten sich Schultes Ge-
nossen — durch den Streit herbeigelockt —
im Kreise herumgestellt, und sie lohnten dem
Freunde mit jubelnd-ermunternden Zurufen,
daß er dem Gegner so kräftige Abfuhr zu-
kommen ließ. Priedel aber schäumte vor Wut.
Mit der ganzen Wucht seines starken Körpers
sprengte er den Kreis und stürzte wie ein
Tiger mit einem langen Satze bis zu dem
Haken, an dem der „Vorwärts" hing. Den
riß er an sich und schlug mit der Faust auf
das Blatt:

„Solchen Mist, solchen Blödsinn soll man
lescn?"

Der Kreis hatte sich um den Rasenden
wieder geschlossen, und die Genossen murrten
empört, als sie hören mußten, wie der Streik-
brecher ihr Parteiblatt beschimpfte. Nur Hans
Erich zuckte verächtlich die Schulter.

Priebcl stöberte suchend mit heißen Augen
durch das Blatt. Mit dein riesigen Zeigefinger
der linken Hand deutete er schließlich auf eine
Stelle in der ersten Beilage:

„Ja! ja! ja! solchen Mist, solchen Blödsinn
soll man lesen? Eine arme Frau hat fünf Pfund
Kartoffeln gemaust, die hat sechs Wochen Ge-
fängnis gekriegt. Und eine Gräfin hat ein Arm-
band weggenommen, die ist ins Sanatorium
gesteckt worden. Und drüber steht: Wenn zwei
dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe —
sagt Terenz! Ist ja lachhaft! hahahaha!"

„Was ist lachhaft?"

„Na, der Quatsch von eurem Genossen
Terenz!"

„Wieso?"

„Wenn ich was mache, und ein anderer
macht dasselbigte, und wenn einer es anders

Zeichnung non A. Ficbiger.

sagen tut, dann ist es Bockmist, ob's im .Vor-
wärts' steht oder sonstwo."

„Dazu bist du zu dumm, um das zu begreifen."

„Was du nicht sagst! Na, denn paß mal aus!
Hermann, bring mal zwei große Schnäpse!"

Der Wirt schaffte das Verlangte zur Stelle
und setzte die beiden Gläser vor Priebel hin,
der eins mit einem Zuge in seinen ,veiten
Rachen goß und sich dann ivieder an Schulte
ivandte:

„Siehst du: nu Hab' ich einen Schuabus ge-
soffen! Nu sauf du den anderen, und mir
wollen doch mal sehen, ob es nich dasselbigte
ist, wenn zwei denselbigten Kümmel trinken."

„Ich trinke überhaupt keinen Schnaps, weil
unser Parteitag ihn boykottiert hat. Das brauchst
du natürlich nicht zu ivissen!"

Mit einer fegenden Bewegung wischte Priebel
das volle Glas vom Tische, daß. es drunten
iu hundert Stücke sprang und seinen fusligen
Inhalt über die Dielen ergoß, und „zwei
Bier!" brüllte er, und sinnlose Wut zischte
aus seinen finsteren Augen.

Als das Bier vor ihm stand, nahm Priebel
ein Glas in die Hand und beförderte seinen
Inhalt ebenso schnell und appetitlich die Kehle
hinunter wie vorher den Branntwein. Und
wiederum sprach er zu Schulte:

„Nu Hab' ich das Glas Bier gesoffen, jetzt
sauf du das andere — das hat dir euer Partei-
tag doch noch nicht verboten! Wollen wir mal
sehen, ob's nicht dasselbigte ist, wenn ich 'n
Glas Bier trinke und du trinkst eins!"

„Ich will dir mal was sagen: Das Glas
Bier werde ich trinken, weil ich Durst habe,
aber bezahlen tu ich's selber. Von einem Kerl
wie du lass' ich mir nichts spendieren!"

Und langsam und sinnend leerte Hans Erich
Schulte das Glas. Dann schritt er durch das
Zimmer in die nebenan liegende Wohnstube
des Gastwirts. Eine Minute kaum währle es,
da kehrte Schulte zurück, und an seiner Hand
trippelte ein niedliches kleines blondköpfiges
Mädchen: des Wirts vierjährige Tochter. Es
war schon hohe Zeit, daß Hans Erich wieder
auf der Bildfläche erschien, denn inzivischen
hatte Priebel dermaßen krakeelt und die Ge-
nossen so arg beschimpft, daß die Situation
höchst ungemütlich zu werden drohte.

Mit einer schlichtenden Haudbeivegung be-
ruhigte Schulte seine Freunde und trat, die
hübsche Kleine noch immer an der Hand, ganz
dicht an Priebel heran:

„Nu hast du uns deine Experimente gemacht,
daß es immer dasselbe sein soll, wenn zwei
Menschen dasselbe tun. Nu will ich dir mal
zeigen, daß es doch nicht dasselbe ist und daß
unsere Zeitung recht hat und nicht du mit
deinem großen Maul. — Emmychen, gib dein
Onkel hier mal eine Ohrfeige."

Mit ihrem niedlichen Pätschchen tippte das
Kind dem langen Priebel, der sich, verständnis-
los glotzend, zu dem Mädchen niederbeugte,
an die Wange. Im selben Augenblick aber ließ
Hans Erich Schulte seine Zyklopenfaust mit
solcher Kraft gegen Priedels Backe sausen, daß
der lange, dicke, schwere Kerl voin Stuhle schoß,
als hätte ein Blitzstrahl ihn zu Boden ge-
schmettert.

Als er wieder zu sich kam, lag er in seiner
Stube int Bett, und neben ihm saß die alte
Witwe Rieper, seine Wirtin. Die erzählte,
daß sechs Mann ihn wieder einmal sternhagel-
besoffen angebracht und daß sie einen Zettel
hinterlassen hätten, auf dem die Worte ständen:

„Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht
dasselbe." Georg Davidsol)».
 
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