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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0204
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7102

W Des Junkers Klage, m

Niemals wurde höher« Ortes
Etwas ohne mich vollbracht,

Zum Befehlen und Regieren
Hat mich Gott der Herr gemacht;

Immer stand ich an der Spitze
Und bei jeder Schweinerei
war, des Herzens Stimme folgend
Ich, der Junker, stets dabei.

Abgelehnt und ausgeschaltet.
Kaltgestellt und abgesetzt,

Lahr' ich Edelster des Volkes
In die Sommerferien jetzt!
Grollend kehr' ich in die Heimat
Rach des Parlamentes Schluß,
Düstres Unheil prophezeiend
Brenn' ich meinen Spiritus.

Der mir stets zu Kreuz gekrochen.
Schmeichelnd aus der Hand mir fraß,
Selbst auf ihn, des Reiches Kanzler,
Selbst auf ihn ist kein Verlaß!

Mit — es sträuben sich die Haare
Und es überläuft mich kalt —

Mit dem roten Troß verbündet
Seh'ich diesen Theobald!

Schweigend grüßen mich die Felder,

Höhnisch blicken Dchs und Schwein —

Und die Erde steht noch immer!

Und der Himmel stürzt nicht ein! .

Und mit tiefstem Seelenschmerze
Sehe und erkenne ich:

Ach, die Welt hat sich verändert

Und es geht auch ohne mich! toinas.

Die Regierung an der Strippe
Lenkte ich mit starker Hand —

Also war es Brauch und Sitte
Stets im deutschen Vaterland;

Und nun muß ich es erleben,

Daß in schnöder Riedertracht
Man im Reichstag wie im Landtag
Ohne mich Gesetze macht!

Christliches Danklied.

Der greise Professor Läckel, der vor kurzem das L!if<-
gelenk brach, hat von einem orthodoxen Christen einen
Brief erhalten, in dem der Absender dem Limmel da-
für dankt, daß er diese Strafe über den Gottesleugner
verhängt hat.

Gelobet seist du, Jesu Christ,

Dem diese Tat gelungen ist.

Dran recht von Lerzen sich erfreut
Die orthodoxe Christenheit.

Lalleluja!

Wohl aus dem hohen Limmel dein
Last ein paar liebe Engelein
Nach Jena du hinabgeschickt.

Die diesem Kerl das Bein geknickt.
Lalleluja!

Leil, Jesus dir von Nazareth!

Nun liegt er steif in seinem Bett,

Der Gott zu leugnen sich erfrecht
And keine Kirchensteuer blecht I
Lalleluja!

Erhöre, Leiland, mein Gebet,

Mach', daß er nimmer aufersteht,

And martre ihn mit Löllenschmerz,

Dran sich erbaut mein Christenherz!
Lalleluja!

And wenn er mit dem Tode ringt.

Sein Iammerruf zum Limmel dringt,
Dann seh' und fühl' ich tiefgerührt.

Daß Gottes Lieb' die Welt regiert.
Lalleluja! Balduin.

Der Weltuntergang.

Der alte Pfarrer Gotthold Glaubrecht saß
in der Laube seines wohlgepflegten Haus-
gärtchens. Das Studium seines Leibblattes,
des „Reichsboten", hatte ihn ernst gestimmt.
Sehr ernst sogar!

In tiefes Sinnen versunken, prüfte er die
Zeichen der Zeit. Sein für die Absichten des
Weltenlenkers geschultes Seherauge erkannte
immer deutlicher, daß die Zeit erfüllet war. Der
Tag des jüngsten Gerichts stand nahe bevor.

Hatte sich nicht der „große Abfall" vollzogen,
von dem St. Paulus im Brief an die Thessa-
lonicher spricht? Die sozialdemokratische Be-
wegung war doch nichts anderes als die Er-
füllung des Apostelwortes: „Darum wird
ihnen Gott kräftige Jrrtümer senden, daß sie
glauben der Lüge."

Kein Zweifel, die „greulichen Zeiten" ivaren
gekommen, von denen geschrieben steht: „Mit
den bösen Menschen aber und Verführern
wird's je länger, je ärger."

In diesen Tagen aber war das Ärgste ge-
schehen: Die höchste Obrigkeit selbst war den
Verführern verfallen. Die gottgeordnete Re-
gierung hatte mit den Empörern verhandelt,
hatte sich mit ihnen verbündet gegen die kon-
servativen Stützen des christlichen Staates,
hatte das elsäßische Volk den Kindern des
Satans zum Raub hingeworfen!

Als der „Reichsbote" die erste Meldung
davon brachte, da hatte Gotthold Glaubrecht
noch eine große Zuversicht gehabt. Er dachte
an den herrlichen Schirmherrn des Reiches
und obersten Bischof der evangelischen Kirche.
Hei, würde der wie ein Engel Gottes mit
flammendem Schwert dazwischen fahren und
die pflichtvergessenen Staatsmänner aus dem
Regierungsparadiese hinausjagen!

Aber nichts derart geschah. Ja der Kaiser
selbst — der alte Pfarrer hatte am ganzen
Leibe gebebt, als er das heute las — der
Kaiser, der einstmals es als seine Mission
ansah, jene höllische Brut zu zerschmettern .. .
der hatte drüben in England einen ihrer Führer
zu Tisch geladen und stundenlang mit ihm ver-
traulich konferiert.

Das war der Gipfel. Nun war das Maß
zum Überlaufen voll. Das Ende aller irdischen
Dinge war gekommen!

Die unseligen, von Gott abgefallenen Seelen
ahnten freilich nichts davon. So sollte es ja
auch sein nach dem Willen des Allmächtigen
und dem Wort des Apostels Petri: „Aber des
Herrn Tag wird kommen als ein Dieb in der
Nacht, in welchem die Himmel zergehen werden
mit großem Krachen."

Ein Schauer erhabenster Freude ließ das
Herz des alten Glaubenshelden erzittern. Sein
heißester Wunsch würde in Erfüllung gehen:
Er würde zu den Auserlesenen gehören, die,
ohne den Stachel des Todes gekostet zu haben,
die Wiederkehr des Herrn erleben und an aller
seiner Herrlichkeit teilnehmen sollten. Durch
alle Schrecken der Untergangskatastrophe wür-
den die Engel des Herrn ihn unversehrt hin-
durchtragen.

Gotthold Glaubrecht faltete die Hände und
versank in tiefinnerstes, religiöses Glückselig-
keitsgefühl . . .

Schwere Schritte auf dem Kiesweg riefen
ihn in die Wirklichkeit zurück. Der Nahende
war ein benachbarter Hofbauer, ein frommes
Glied der Gemeinde.

„Ich wollte dem Herrn Pfarrer den fälligen
Pachtzins für die Pfarräcker bringen," sagte
er und nahm, der Einladung folgend, am
Gartentisch Platz. Dann zog er ein graues
Säckchen aus der Hosentasche und begann große
Silberstücke aufzuzählen^

Der Seelsorger aber,'noch ganz erfüllt von
dem innerlich Erschauten, legte ihm die Hand
auf den Arm und offenbarte ihm mit bewegten
Worten das bevorstehende große Ereignis. Der
Bauer heftete die klaren klugen Augen auf den
alten Herrn und hörte die seltsame Eröffnung
mit tiefem Ernst an.

Bei der Schilderung der in so naher Aus-
sicht stehenden Himmelsherrlichkeit ging der
Pfarrer aus dem feierlichen zu einem ganz
fröhlichen Ton über. Da nahm der Bauer
bedächtig die aufgezählten Silberstücke wieder
an sich und sagte:

„Nichts für ungut, Herr Pfarrer. Wann's
so steht, dann ist's freilich nicht mehr an der
Zeit, irdische Geschäfte zu besorgen. Dann
will ich nur rasch heimgehen, um Frau und
Kinder auf das Kommende vorzubereiten."

Bei diesen Worten sauste Gotthold Glaub-
rechts Geist mit einem fühlbaren Ruck aus
der Höhe der Vision in die Wirklichkeit hinab.
Er fuhr sich über die Stirn, als ob er dort
etwas wegwischen wollte, und den Bauer am
Ärmel festhaltend, meinte er:

„Das Geld könntet Ihr doch hier lassen,
lieber Nachbar .. . Der Doktor meinte nämlich,
ich solle in diesem Jahr eine Badereise machen,
. . . in meinem Alter müsse man Vorbeugen.
Dafür hatte ich es eigentlich bestimmt."

Da sah der Bauer den alten Herrn noch
einmal lange und prüfend an. Dem aber schoß
eine Blutwelle in's Gesicht. Er begriff plötz-
lich, warum jener sein Geld wieder mitnehmen
wollte.

„Wir wollen in's Haus gehen, meine Frau
soll Euch eine Quittung schreiben," sagte er
beklommen.

Das war dem Bauer denn recht. — Auf
dem Heimweg aber ging er noch zum Orts-
vorstand hinein, um diesen unter vier Augen
auf den voraussichtlich nahen „Weltuntergang"
des Pfarrers vorzubereiten. ^
 
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