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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0205
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7103

ftobelfpäne. eT

Still ruht der See. Im hohen Wallothause
Räumt jetzt die Reinmach'frau mit großem Krach
Den Scherbenhaufen fort, lind eine Pause
Macht Sankt Matthias auch von Biberach.

Und mancher muß im Traum mit Sozis raufen
Und kommt dabei in fürchterliche Hitze,

Und Oldenburg macht vor dem Düngerhaufen
Jetzt seine unsreiwill'gen Witze.

Still ruht der See. Doch spürt es Tag für Tag
Manch Volksvertreter und ist tiesbekümmert:
Es ballt sich in der Luft der Wetterschlag
Der seine Reichstags-Herrlichkeit zertrümmert.

Die über de» Parteien schwebende Reichsregierung hat ihren großen
parlamentarischen Rundflug 1611 nur mit Hilfe einer regelrechten Rot-
laudung auf dem Boden der Sozialdemokratie zu Ende führen könne».

Die Konservativen ließen daraufhin durch ihren Polizeihund dein
leitenden Staatsmann die Hosen a» jener Stelle zerreiße», wo sie aus
psychologischen Gründen den Sitz seines Herzens vermuteten.

„Enteignen" ist das Losungswort Nur zu! Doch sagt: warum allein
Der Herrn in Preußens Osten, Den Grundbesitz der Polen?
Abnehmcn will man Hab und Gut Nehmt ihn den deutsch e n Junkern auch —
Den polnischen Starosten. Da ist weit mehr zu holen!

Bethmann Hollweg wird jetzt von der Gnadensonne Wilhelms II.
noch kräftiger beschienen, als vorher; und die Gesichter der Konser-
vativen sind fast so lang wie die Tage im Juni!

In der auswärtigen Politik rollen derweil manche Staatsoberhäupter
auf Eisenbahnschienen umher wie die Würfel in einem riesigen Knobel-
becher, der über das Schicksal der Völker entscheidet.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

..Die Ketzer lagen sich jetzt in Preußen nach dem Tode freiwillig verbrennen. Dar
nt eine Gemeinheit! Lebendig müßten sie verbrannt werden, dar hätten wir ihnen
«-statten können."

Römlinge.

Emil Erk

Selbsterkenntnis.

Liebstadt sagte der Generalsuperintendent Braun aus
onigsberg bei einem Uaiserhoch, daß er und alle Anwesen-
de im Vergleich zu den hervorragenden seelischen und geistigen
^genschaften des Kaisers — Schafsköpfe seien.

Tn Liebstadt hat die höchste Weisheit
Das Erdenlicht der Welt erblickt,

Und alle, die der Botschaft lauschten,
Sie waren selig und beglückt.

Braun heißt der wackre Theologe,
Der sich mit seines Geistes Kraft
Die Lorbeerreiser hat errungen,
Den Nobelpreis der Wissenschaft!

vernehmt in Nndacht, Zeitgenossen,

Die INär, entquollen seinem Ukund:

..Der INensch in seinem Innenleben
Uangiert noch unterm dümmsten ksund!

"®r ist in seinem ganzen Wesen —

VRe könnte es auch anders sein! -
Ei» Schafskopf nur! Und selbstverständlich
schließ ich mich in dies Urteil ein ..."

-*n seinem kluditoriuin hatte

ver Fjcrr „Dozent" sich nicht versehn,

Eb ließ sich willig degradieren,
iUeß alles gern mit sich geschehn!

Uns tut es wahrlich keinen Abbruch,

Dies INonstrum preußischer Kultur,

Tm Gegenteil: es ist uns Bürgschaft
3» weiteren Erfolgen nur! a. Stahl.

Die freisinnige Jnlerpellatio:

Die Fraktion der Freisinnigen Volkspa
preußischen Abgeordnetenhauses forderte von
gierung Auskunft über einen bestimmten Fall
preußische Wissenschaft offenbar ganz nach d>
der preußischen Polizei getanzt hatte.

Die zuständigen Ressortminister antwortet
Wissenschaft habe in diesem Falle nach der P
Polizei überhaupt nicht getanzt, sondern n
schriftsmäßig Parademarsch gemacht!

Die Konservativen verlangten daraufhin neben dem
Parademarsch auch noch Einführung des Bauchrutsch-
tanzes und des Hinauswurfschuhplattlers.

Das Zentrum war mit sämtlichen Tanzbewegungen
der Wissenschaft einverstanden — vorausgesetzt, daß
keine sittlichen Gefahren dadurch herbeigeführt würden.

Die Nalionalliberalen fänden, daß einerseits zwar
die Wissenschaft einen schönen Parademarsch machte,
andererseits aber die Polizei nicht gerade übermäßig
schön dazu gepfiffen habe.

Nachdem dann ein Sozialdemokrat die Dinge beim
richtigen Namen genannt hatte, sprach die Freisinnige
Volkspartei dem hohen Hause und der Regierung
für die gute Behandlung der Interpellation ihren
ticsgefühlten Dank aus.

lind der Sozialdemokrat erhielt als einziger Stören-
fried nachträglich einen Ordnungsruf!

Lieber Jacob!

Jeschwindigkeet is keene Hexerei — sagen
de Leite, aber ick jloobe an diesen Volksmund
»ich mehr, seit ick Bethmann kenne. Det is
’it Hexenmeester, un zwar eener, der de jreeßten
Kunststicke jrade mit die Jeschwindigkeet voll-
bringt. Wat keen Mensch for meejlich jehalten
hat, macht der Mann im Handumdrehen. Wer
hat an de preißesche Leichenverbrennung je-
jloobt? Er zählt bis drei, un siehste woll, da
rovcht schon der erste Ofen! De elsaß-loth-
ringsche Verfassung hing am Mond un keener
ivußte, wie man se runterholen kennte — er
spuckte sich in de Hand, griff zweemal in de
Luft, un da hatte er se ooch schon zwischen de
Fingern! Mit de Reichsversicherung sah et
ivomeejlich noch klatrijer aus. Da ließ er de
offizjeese Preßmusicke'» flotten Marsch blasen,
un während de sojenannten Volksvertreter in
Jalopp fielen, langte er eenen Parajrafe» nach
’» andern aus ’» Ärmel, in eene Sitzung zwee-
hundertdreiunvierzig Stick! Mach ihn det mal
nach! Aber det kannste »ich, weil de ebent
»ich de Fingerfertigkeet hast, die der Mann
besitzt. Un dabei haben se ihm frieher immer
bloß for'n poplijen Philosophen jehalten un

ihn nischt zujetraut. Aber nu steht er uff een-
mal jlanzvoll da, un paß mal Achtung, et
dauert »ich lange, denn wird er zum jreeßten
Mann des Jahrhunderts (de Anwesenden na-
tierlich ausjenommen) un zum Fürsten Beth-
mann von, zu un uff dem Holzweg ernennt!
Aber ooch da muß et fix mit jehen, denn wenn
man bis zu de nächsten Wahlen wartet, wer
weeß, wat denn noch allen kommt un ob »ich
am Ende ooch diese imposante Hexerei als 'n
faulen Zauber estimiert wird!

Keener weeß jenau, wenn de Wahlen sein
werden, aber de Blauschwarzen fiehlen ihre
Sitzjelejenbeit bereits mit Jrundeis jehen. Da-
bei entwickelt det preißesche Junkertum seine
bewunderungswirdigste Uneijennitzlichkeet. Et
is sich bewußt, dat in Ostelbijen de tiefste
Weisheit zu finden is, aber et denkt nich dran,
seine Jeistesschätze etwa for sich alleene zu
behalten, sondern et is bereit, ooch dem Westen
davon abzujeben. Neilich war Jordan von
Kröcher zu diesen menschenfreindlichen Zweck
an'n Rhein jefahren un hat de Leite dort je-
zeigt, wie se mit de Sozialdemokraten umjehen
missen. Det ist nämlich jarnich so leicht, ver-
stehste, aber in Kröchern seine Jejend versteht
man et! Mit den jeistijen Kampf, hat er je-
sagt, is et Essig, da jewinnen de Roten immer.
Man muß se anderst kommen, un zwar is et
sehr empfehlenswert, sagt er, wenn man se
„det Knie uff'd Ooge setzt". Det is det letzte
Rezept un entspricht in jede Hinsicht de be-
sondere Bejabung der Junker. Du weeßt doch,
wie det Sprichwort heeßt: Wer et nich im
Kopp hat, der muß et in de Beene haben!
Nach diese Methode soll also der nächste Wahl-
kampf ausjefochten werden, aber ick firchte,
det de Roten Kröchern de Hammelbeene knicken
iverden, noch bevor er dazu kommt, damit in
irgend 'n Ooge rin zu knien.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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