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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0252
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— 7150

Rröchers Eingang.

Jordan v. Rröcher wird das Präsidium des preußischen Abgeordnetenhauses nicht mehr übernehmen.

Erzittert, Saiten meiner Leier,

Und stimmet an die Eotenklag'!
Nach so viel Schlägen, die mich trafen,
Nun auch noch dieser herbe Schlag!
Blauschwarze Tränen, fließt hernieder
XTtxt eines Sturzbachs wilder Rraft:
Tr, meines Herzens Stolz und Freude,
Mein Rröcher ward dahingerafft!

Es bebten die Philisterherzen,

Des Spießers Ohren lauschten bang,
N)enn hoch vom Präsidentensessel
Der Edle seine Glocke schwang.

Mie freut' er sich des kräft'gen Mortes,
Das von der Iunkerlippe rollt!

Mie mannhaft wehrte er dem Roten,
wenn dieser uns entgegnen wollt'!

Nun hat ein Ende das Vergnügen,
verwaist steht unser stolzes Heer,
Und seufzend tönt es durch die Reihen
Der große Rröcher ist nicht mehr!
Ruhmlos versank er in den Grkus
verlacht, geschändet und blamiert,
von roter Niedertracht getötet -
Und Adolf hoffmann triumphiert!

verloren ging dem Fuselblocke
Die schönste Zier, der reichste Schatz,
Und nimmer find' in unfern Zeiten
Für ihn ich würdigen Ersatz;

Gb ich nach Osten oder Mesten
Die hilfefieh'nden Blicke richt':
Selbst in den dicksten Hinterwäldern
Entdeck' ich seinesgleichen nicht!

Die Rraft des härtsten Iunkerschädels
In tatenloses Nichts zerrann,
Dahingegangen ist für immer
Mit ihm der letzte starke Mann!

Und ach, ich fühl's und seh' es kommen:
Dies war der Anfang von dem End',
Dem Rröcher folgt in die Versenkung
Das ganze Rlaffenparlament!

Balduin.

Agadir.

Gott sei Dank! Das Friedenschreien
War mal wieder für die Kah:
Deutschland hat nun einen neuen.

Einen feinen „Sonnenplatz"!

Ob auch ferne droht der Dalles,

Ob der Wohlstand auch verfällt,
Deutschland, mische dich in alles.

Ja, in alles auf der Welt!

Bald beweist mit viel Getöse
Allem Volk zur Evidenz
Deutschlands diplomat'sche Größe
Eine neue — Konferenz.

Frohen überlauten Schalles
Drum die Kampf-Drommete gellt:
Deutschland, mische dich in alles.

Ja, in alles auf der Welt!

And verbrennst du dir die Pfoten
Wie schon manches früh're Mal,
Schimpfen auch darob die Roten,

Das ist alles ganz egal.

Kümmern darf's dich keines Falles,

Was dem Pöbel hier mißfällt —
Deutschland, mische dich in alles.

Ja, in alles auf der Welt!! P.E.

Der liberale Arbeiterkandidat.

Eine erschröckUche Geschichte von Sans Flux.

Es war in einem westdeutschen Wahlkreis. Die
zahlreichen Arbeiter hatten schon mehrnials bei den
Neichstagswahlcn einen Sozialdemokraten durchgc-
bracht, was den Industrie- und Fabrikherren außer-
ordentlich schmerzlich war. Sie sahen keinen Aus-
weg, das Mandat den Sozialdemokraten abzuneh-
men, als einen Arbeiter gegen sie aufzuslellen. Das
hatte seine Schwierigkeiten, denn im Wahlkreis
konnten sie unter den Arbeitern eine für ihre Zwecke
geeignete Persönlichkeit nicht finden. Aber sie hatten
davon gehört, daß cs anderswo nationalliberale
Arbeiter gebe, und so kamen sie auf den höchst zeit-
gemäßen Gedanken, durch Inserat einen solchen zu
suchen. Sie erließen denn auch ein solches des In-
haltes, daß nationallibcrale Arbeiter, die sich für
befähigt hielten, ein Reichstagsmandat zu über-
nehmen, sich melden möchten.

Schon am nächsten Morgen meldete sich beim
Vorsitzenden des »ationalliberalen Komitees ein
Mann, groß, kräftig, gesund und recht verschlagen
anssehend. Seine Kleidung war nicht tadellos;
auch zeigte seine Nase eine verdächtige, ins Bläu-
liche spielende Röte. Um so vortrefflicher war seine
Suade. Der Mann konnte reden, daß national-
libcrale Herzen nur so vor Freude hüpften.

„Sehen Sie," sagte er zu dem Vorsitzenden, „ick
kenne die verdammten Sozzen aus dem ff — lauter
Schwindler und Betrüger!"

„Na, so arg ist's doch wohl nicht," meinte der
Vorsitzende.

„Freilich ist's so," meinte der Zukunftskandidat.
„Ick habe se kennen jelernt, war lange jenug dar-
unter. Kenne sogar die Familienverhältnisse von
die Führers. Werde einmal auspacken, daß die
Welt staunen soll."

„Ah," meinte der Vorsitzende.

„Weeß ooch, wie mit die Parteijclder jcwirt-
schastet wird. Da sollen Sie mal wat hören!"

„Das könnten wir allerdings gut verwerten,"
meinte der Vorsitzende.

„Und ick habe mir von die Sozzen jedrückt, weil
ick mein Vaterland liebe. Die Sozzen sind inter-
national, wollen es an die Franzosen verraten. Und
daheim wollen sie nur Streiks machen, nischt tun,
hohe Löhne rauspressen und srcssen und saufen."

„Sie sind unser Mann," meinte der Vorsitzende;
„Sie sind ein guter Patriot und sprechen populär.
Sie begreifen doch, daß wir die freien Gewerk-
schaften beseitigen müssen."

„Immer feste druff uff die Streikhetzer!"

„Also kommen Sie heute abend in die Komitee-
sitzung; da wird sich das Weitere finden. Aber Sie
müssen doch auch repräsentieren. Wie steht's mit
Ihrer Kasse? Welchen Berus haben Sie?"

„Ick bin jelernter Drahtzieher, bin schon lange
ohne richtige Beschäftigung und habe keen Jeld nich."

„Drahtzieher! Haha! Da werden Sie auch die
politischen Drähte ziehen können!"

Nachdem der Zukunftskandidat über seine Persön-
lichkeit genügende Auskunft gegeben, sagte ihm der
Vorsitzende:

„Das Komitee wird Sie akzeptieren; dessen bin
ich sicher. Aber Sie müssen sich neu cinkleiden.
Hier haben Sie 150 Mark; schaffen Sie sich einen
neuen Anzug, neuen Hut, neue Stiefel und etwas
Wäsche an. Alsdann machen Sic Besuche bei den
bekanntesten meiner Parteigenossen. Ich gebe Ihnen
sogleich die Adressen!" ■—

Am Abend war das nationallibcrale Wahlkomitee
vollzählig versammelt. Erwartungsvoll saßen da

die Herren Kommerzienrat Schlotheimer, Direktor
Dick, Rentier Schlauch und noch etwa ein Dutzend
Leuchten der Partei.

Alle waren der Ansicht, daß Andreas Schmidt

— so hieß der Zukunftskandidat — sich sür seine
Rolle vortrefflich eigne.

Es schlug halb neun, neun, halb zehn — der
Mann kam nicht.

„Das ist aber stark von solch einem hergelaufe-
nen Bettelkerl, Leute von Besitz und Bildung so
lange warten zu lassen," platzte endlich Herr Kom-
merzienrat Schlotheimer heraus.

„Er soll ja Kandidat werden," meinte begütigend
der Vorsitzende.

„Ach was," schnaubte Rentier Schlauch. „Der Kerl
wird von uns bezahlt und hat pünktlich zu sein."

„Er wird doch nicht im Wirtshaus hängen ge-
blieben sein," meinte kühl Direktor Dick.

Jetzt wurde auch der Vorsitzende nachdenklich.
Er dachlc an die rote Nase.

„Ich habe ihm das Geld für seine Ausstattung
gegeben," meinte er.

„Wieviel denn?" schnaubte Schlotheimer.

„Hundertfünfzig Mark!"

„Was, hnndertfünfzig Mark!"

„Und ich hundert!"

„Und ich fünsundsicbzig!"

. „Und ich sechzig!"

„Und ich fünfzig!"

So schrie es wild durcheinander. Sie waren zu-
sammen gegen fünfhundert Mark los geworden.

„Dieser niederträchtige Drahtzieher hat uns als
Puppen an seinem Draht gezogen!" schrie Schlot-
hcimcr. „Und unser Vorsitzender ist ein Ochse!"
„Nein, ein Esel!" schrie cs. „Ein Dusselkier!"

Worauf von dem Vorsitzenden die berühmte Ein-
ladung Götzens von Berlichingen an den Kom-
merzienrat erging. Getümmel — — Ohrfeigen —

— Strafanträge! — —

Nach acht Tagen kam an den Vorsitzenden ein
Zettel des Inhaltes: „Lassen die Herren Ihnen det
kleene Opfer sor't Vaterland nich jereuen: ick «erde
als Streikbrecher allens wieder jut machen.

Erjebenst Schmidt, Drahtzieher."

Splitter.

Der größte Weltfriedcnsschwindel ist bei Leuten zu
beobachten, die ihr Pfad hart am Abgrund des Welt-
kriegs entlang führt. *

Wo der Absolutismus noch Bocksprünge machen
kann, da ist eben die Kette zu lang, an die er seiner-
zeit gelegt worden ist!
 
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