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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 28.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.6709#0417
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. 7315

62 ftobelfpätte. eT

Es sprach der gute Posa:

„Die man die Roten heißt,

Die kann man überwinden
Heut nur noch durch den Geist!"

Er sprach's und strich den Bart sich
In philosoph'scher Ruh;

Die Pfaffen und die Junker
Die lächelten dazu.

Und draußen auf dem Lande,

Da halten sie bereit
Die Prügel und die Hunde
Schon für den Geisterstreit!

Wer in der Politik darauf wartet, daß der Weihnachtsmann kommt
und ihm sein Recht bringt — der kann lange warten!

Wo es gilt, der herrschenden Klasse ihre Sünden heimzuzahlen —
da entwickelt jeder rote Stimmzettel die Kraft eines Neichskassenscheins!

Leise klingt an Bethmanns Ohr
Liebliches Gebrumme.

Trotz der Offiziösen Chor
Folgt ihm das Gesumme.

Klingt hinaus durch Deutschlands Flur
Feier seiner Siege?

Ach, es ist vom Kongo nur
Eine Tsetse-Fliege. . . .

Die Welt will heutzutage nicht mehr ans ihren Sünden erlöst,
sondern aus ihren Nöte» befreit werden.

Die „Vorschüsse", welche sich die kapitalistischen Staaten im Interesse
des Imperialismus gegenseitig leisten, müssen leider vom arbeitenden
Volke beglichen werden. Ihr getreuer Säge, Schreiner.

PraKtifftes Cjtjriftentum.

„Da sieht ma's wieda, wie weit 's bei dem G'siiidel an der christlichen
Demut fehlt! Ilnsa Heiland hat müassn in an Schafstall übernachten, und
dö Bagasch schreit alleweil von aner Wohnungsnot."

Neueste Festtagsenten.

vom tripolitanischen Kriegsschauplatz wird ein großer Lieg
der Italiener gemeldet. Als in den Tagen kurz vor dem Fest
die himmlischen Heerscharen über der Stadt Tripolis schwebten
und den Truppen unter Posaunenklängen die alte Heilsbot-
schaft verkündeten: „Friede auf Trden und den Menschen ein
Wohlgefallen!" — da stiegen sämtliche Militäräroplane auf,
um die Engel wegen „Aufreizung zum Ungehorsam" zu ver-
haften. Ls gelang auch, dieselben einzukreisen und ins Bereich
der schweren italienischen Geschütze zu bringen. Ein Teil der
Gefangenen wurde standrechtlich'ohne Urteilsspruch erschossen,
die übrigen wurden auf Kriegsschiffe gebracht, um nach Italien
übergeführt zu werden. Dort sollen sie während des Festes
in den Kirchen öffentlich ausgestellt werden, natürlich mit
beschnittenen Flügeln und an fänden und Füßen gefesselt.
Statt der Himmelsbotschaft haben sie die italienische National-
hymne zu singen. Der Papst soll seine Zustimmung bereits
gegeben haben. *

von Seiten der Abgeordneten v. Hammerstein, Stöcker,
v.Kardorff und anderer konservativer Führer, die bei ihrem
Ableben kraft ihrer guten Gesinnung in den Himmel kamen, ist
beim Apostel Petrus folgende Interpellation eingegangen:
„was gedenkt die himmlische Negierung zu tun, um den durch
die deutschen Neichstagswahlen arg gestörten Weihnachtsfrie-
den zu schützen und wiederherzustellen? Hält sie nicht, ebenso
wie die Interpellanten, die völlige Beseitigung des Reichstags-
wahlrechts für das beste Mittel, derartige Störungen zu ver-
hindern? Gder welche anderen Mittel gedenkt sie zur Er-
reichung des erstrebten Zustandes in Vorschlag zu bringen?"
Die Beantwortung der Interpellation ist, um den weihnachts-
frieden nicht noch weiter zu stören, für die Zeit kurz nach
den Stichwahlen in Aussicht gestellt.

Herr v. Heydebrand und seine Getreuen haben, um sich für
die neulichen Liebenswürdigkeiten der Negierung erkenntlich
zu zeigen, dem Reichskanzler eine kleine Weihnachtsüber-
raschung zugedacht. Aus den Einkommensteuern, welche die
Junker dem Staate bisher hinterzogen, haben sie in aller
Heimlichkeit eine vollständig ausgerüstete Flotte mit allen dazu
gehörigen panzern, Kreuzern. Torpedos und Unterseebooten
bauen lassen, die sie ihm am Festabend überreichen wollen.
Heydebrand wird in Admiralsuniform erscheinen und auf
einem Walroß (nicht Wahl-Noß) reiten, statt des Dreizacks

eine Mistgabel in der Hand. Bethmann Hollweg dürste sich
mit sauren geringen revanchieren. Als Festgesang ist das schöne
Lied: „In der großen Seestadt Leipzig" in Aussicht genommen.

Unter den Webern und Spielwarenarbeitern in Sachsen
und Thüringen ist die Fettsucht ausgebrochen. Eine von der
Neichsregierung in das Krankheitsgebiet geschickte Kommis-
sion hat festgestellt, daß die sich immer mehr ausbreitende
Krankheit durch zu reichliche Nahrung und eine allzu üppige
Lebensweise hervorgerufen worden ist.

Der Stern von Bethlehem ist konfisziert worden, weil für
ihn noch keine Leuchtmittelsteuer entrichtet wurde. Einige
fromme, christliche Kommerzienräte, die noch unlängst einem
anderen Bekenntnis angehörten, haben daraufhin dem Apostel
Petrus eine elektrische Bogenlampe zur Verfügung gestellt,
was mit großem Danke angenommen wurde. Kl.

Lieder Jacob!

Also Theo bald ismit'nLnftschiffhochjejangen.
Ick sah det Dings fliesen, aber ick ahnte »ich,
ivat for 'ne kostbare Ladung et mit sich fiehrte.
Erst am andern Tage las ick et in de Zeitung
nn zerbrach mir den Kopp, wat der Mann
wohl mag da oben jewollt haben. Villeicht
wollte er sich vom Himmel 'ne zngkräftije Wahl-
parole holen, die er ja hier in dieses irdische
Jammertal partuh nich finden kann. Mein
Freind Edeward meente allerdings, det der
jnte Kanzler in de richtije Erkenntnis, det er
so wie so bald wird fliesen missen, sich man
bloß beizeiten uff diese sportliche Tätigkeit hat
mieten wollen. Et kann leicht sind, det Ede-
ward recht hat.

Inzwischen hat ja nn ooch Kiderlen endlich
dem Vorhang uffjezogen nn uns jezeigt, wat
wir diesen Sommer eejentlich allens erlebt
haben. Während det deitsche Volk von nischt
weiter wat merkte, als von de jroße Hitze,
haben de weitblickenden Diplomaten zweemal
dem Weltkrieg vorbereitet, nn während icke
mir in't Freibad Wannsee dem Schweiß ab-
badete, stand ick ahnungslos mit een Veen in

de Mobilmachung drin. Et is doch 'n Sejen,
wenn man 'ne Rejierung hat, die allens for
eenen macht, nn dem Untertan erst nachher,
wenn allens vorbei is, de offizjelle Mitteilung
znkommen läßt, det er um 'n Haar mit patrio-
tesche Bejeisternng dem Heldentot for't Vater-
land jestorben wäre! Et jibt natierlich schlechte
Menschen, die sich drieber ärjern, det hinter
ihren Nicken ieber ihr Schicksal bestimmt wird,
ohne se wat von zu sagen. Ick bin Jottsei-
dank nich so, denn ick habe mir ooch als oller
Jreis noch mein kindlichet Jemiet bewahrt nn
fiehle mir daher durch de Rejierung heechst
anjenehm in de jlicklichen Jahre zurickversetzt,
wo ick mir noch in de Hosen machte, nn wenn
ick hibsch artig jewesen war, zu Weihnachten
’n scheenen Fefferknchen jeschonken bekam. Uff
dem letzteren verzichte ick nn allerdings for
dieset Jahr von wejen mangelhafte Zähne,
aber eenen bescheidenen Wunsch hätte ick als
jehorsamer deitscher Untertan doch: nämlich
de Bildnisse von Kiderlen nn Bethmann — uff
meinen Feifenkopp jemalt, versteht sich, de
Beene ieber'n Abjuß nn 'n Vers darunter!
Aber ick firchte, ooch diese Bescherung wird
ausbleiben, denn de Rejierung schenkt uns nn
mal nischt.

Dajejen scheint det deitsche Volk sich fest
enschlossen zu haben, de Rejierung diesmal 'ne
jroßartije Bescherung nffzubauen; allerdings
leider noch nich zu Weihnachten, sondern erft
’n bisken später, zn'n zwölften Januar. Da
wird det dankbare Kind zeijen, det et von alle
die Wohltaten, die ihn von oben zuteil jewor-
den sind, ooch nich eene eenzije verjessen hat,
nn de Jberraschnng wird, hoffe ick, so ieber-
wältijend sind, det de Rejierung vor Riehrung.
de Dogen ieberjehen werden!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Ranke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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