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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0011
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— 7339

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soo Millionen

Preußische Eisenbahnreform.

Die Direktion der Berliner Stadtbahn hat in
der richtigen Erkenntnis, daß eine gründliche Reform
ihrer Einrichtungen und ihres Betriebes dringend
not tut, neuerdings eine Reihe von strengen Strafen
gegen Fahrgäste festgesetzt, die über die Zielstation
ihres Fahrtausweises hinaussahrcu oder sich sonstige
Disziplinlosigkeiten zuschulden kommen lassen. Um
nun aber dem ganzen Institut eine strammere Or-
ganisation zu geben, soll — wie wir aus sicherer
Quelle hören — zum 1. Januar nächsten Jahres
folgende durchgreifende Betriebsordnung eingesnhrt
werden:

„8 1. Wer die Absicht hat, die Berliner Stadt-
bahn als Fahrgast zu benutzen, hat ein diesbezüg-
liches Gesuch rechtzeitig, das heißt mindestens eine
Woche vor Abgang des betreffenden Zuges, an die
königliche Eisenbahndirektion zu richten. Dem Ge-
such sind ein polizeiliches Führungsattest »mb die
Steuerquittungen der letz-
ten fünf Jahre beiznlegcn.

§ 2. Mit dem im voraus
z» entrichtenden Fahrpreise
sind zugleich hundert Mark
Kaution einznzahlen.

8 3. Eine Stunde vor
Abgang des Stadtbahnzu-
ges treten sämtliche Be-
tvcrber in zwei Gliedern ans
dem Bahnsteig an. Verspä-
tetes Eintreffen oder gänz-
liches Ausbleiben hat den
Verlust der Kaution und
strenge disziplinarische Be-
strafung zur Folge.

tz 4. Die zur Fahrt zu-
gelassenen Personen wer-
den sofort ausrangiert, die
übrigen ausgemustert und
entlassen.

Z 5. In jedem Abteil
der zweiten Klasse werden
fünfundzwanzig, in jedem
der dritten Klasse sünfund-
vicrsig Personen placiert.

Für etwaige durch die Über-
füllung der Abteile ver-
ursachte Körperverletzungen
der Fahrgäste hält sich die
Eisenbahndirektion an der
hinterlegten Kaution schad-
los.

8 6. Während der Fahrt-
dauer stehen die Reisenden
unter den Kriegsartikeln.

8 Sobald ein Kon-
trolleur den Abteil betritt,
haben sich sämtliche In-
sassen von ihren Plätzen zu
erheben.

8 8. Die Billctsperrc
wird von den männlichen
Reisenden mit entblößtem
Haupte, von den weiblichen
mit einem Kurknix passiert.

8 9. Rach Beendigung der
Fahrt treten die sämtlichen
Fahrgästczum Schlußappell
wiederum in zwei Gliedern
an und bringen ein Hoch ans
den preußischen Eisenbahn-
minister ans. Daraus wer-
den diejenigen, die über das
Ziel ihres Fahrtausweises
hinausgesahren sind oder
sonst gegen dieDisziplin ver-
stoßen haben,sosort in Unter»
suchungshastabgesührt,wäh-
rend der Rest mit einer Ver-
warnung entlassen wird."

Durch diese Maßnahmen
hofft die königliche Eisen-
bahndirektion den mannig-
sachcnBeschwerden des Pub-
likums vollaus Rechnung
zu tragen und zugleich ihren
Betrieb zu einem echt prcu-
ßischenVerkehrsinstitut aus-
zugefialten. Lehmann.

Das erlösende Wort.

Vor dem Postdireklor standen in seinem Aller-
heiligsten drei „gehobene" Oberpostschaffner, die nach
ihrer ganzen dienstlichen und außerdienstlichen Ver-
gangenheit bei der Vorgesetzten Behörde eine be-
sonders gute „Nummer" hatten, wie man zu sagen
pflegt.

„Meine Herren!" begann der Postdirektor im
Tone halbamtlichen Wohlwollens: „Ich hasse, Sic
tvcrden gerade jetzt, wo die Rcichstagswahlen un-
mittelbar vor der Tür stehen, mit denkbar größter
Energie auf eine kollegiale Belehrung Ihrer jüngeren
Kameraden bedacht sein, nicht wahr?"

Die drei „Gehobenen" klatschten beteuernd mit
der flachen Hand gegen jene Stelle ihrer Uniform,
wo das schon so oft als treu befundene Herz pup-
perte; und der Postdireklor nickte zufrieden.

„Ich weiß, meine Herren, Sie haben Ihren
jüngeren Kameraden gegenüber die hierzu unbedingt

Dat bliwt alles bim ollen!


mann
1 weg

Es geht ein Mann in Preußenland,
Führt ein Kamel am Halfterband;

Das Tier, mit ruhigen Gebärde»,

Denkt gar nicht daran, scheu zu werden.

erforderliche Autorität!" rief er begeistert. „Und nun
beschwöre ich Sie, werfen Sie diese Ihre Autorität
in die Wagschale der postalischen Gerechtigkeit!!
Bringen Sic überall, wo sich's gesprächsweise
machen läßt, jenes ungemein wirksame Gleichnis
an, daß ein Untcrbeamter, der sozialdemokratisch
wählt, selbstmörderisch den Ast absägt, auf dem er
sitzt!"

Er schwieg erschöpft und winkte zum Gehen. Tie
drei Oberpostschafsner gingen hin und taten, was
ihnen befohlen war.

Am selbigen Abend schon fragte die Frau des
Briefträgers Müller XXlll ihren hcimkehrenden
Mann ganz erstaunt, warum er denn eigentlich heute
so fröhlich ausgelegt sei und sogar das Lied von der
Arbeit singe.

„Ja, weißt du, der Postdirektor hat mir das
große Geheimnis verraten, wie wir armen, geplag-
ten Unterbeamlcn endlich wieder — festen Boden
unter die Füße kriegen können!"

Müller XXIII lachte ver-
gnügt und sang das Lied
der Arbeit zu Ende.

Ein schrecklicher
Gedanke.

Der Herr Pastor hatte
an diesem Weihnachtsabend
schon viele schöne Worte
geredet; aber als mau »ach
siattgefundener Bescherung
endlich zu Tisch gegangen
war, da übertras er sich-
dirckt selber!

Es war nämlich eine sehr
vornehme und reiche Fami-
lie, die ihn heute als lieben
Gast zu sich eingeladcn hatte.
Der Herr Pastor wußte sich
hier mit feinem Takt zu be-
wegen und wartete daher
ruhig erst mal die allge-
meine Sättigung durch den
prachtvollen Bierkarpfcn ab,
bevor er den Kreis seiner
wohlgesetzten Redensarten
auf das „viele Elend und
die große Not da draußen
in der Welt" cinstclltc. T ann
aber unternahm er plötz-
lich — es hatte gerade
zehn Uhr geschlagen! —
einen wohlberechneten so-
zialen Vorstoß ans Herz und
Gemüt der andächtig lau-
schenden Tafelrunde.

Er nannte dieses Fest
dcrchristlichen Nächstenliebe
eine „Brücke der Versöh-
nung zwischen Armut und
Reichtum" und sprach mit
Salbung und Schwung
von Menschenrechten und
-pflichten. Er steigerte seine
Beredsamkeit in geschickter
Art und Weise und schloß
damit, daß er den Reichtum
ermahnte, sich der Armut
gegenüber auf jenes herr-
liche Erlöserwort zu besin-
nen: „Kommet her zu mir
alle, die ihr mühselig und
beladen seid! Ich will euch
erquicken!"

Der Herr Pastor schwieg:
und die Stimmung rings-
umher war sehr nachdenk
lich und voll stillcrRührung.

Und darum lösten alle
auch ganz genau eine leise
geflüsterte Frage, die vor
der besorgten Frau des
Hauses an einen servieren-
den Diener gerichtet war
„Um Gottes willen, Fried
rich, habe» Sie auch »ich:
vergessen, die Haustür fest
zuzuschließen?" T,

Nach Nüttert.
 
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