Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0026
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
— 7354

Durd) die Lütte krault es grollend,
vricht es nieder in clas lal —
Über Deutschlands Gauen tollend
fegt er hin, der Sturm der Wahl!

Losgelöst von allen fellein,
wällt stch's über Land und feld,
Datz von weichen pollterlelleln
IZHes flch! und wehe! gellt.

W Wahlsturm.

fllle, die das Volk belogen,
vie's geprellt um Hab und Out,
Sehen branden jetzt und wogen
Zürnend eine Racheflut.

Denn aus Hütten, Werken, Schächten,
flus fabriken quillt’© hervor,

Schwillt zu ungeahnten Mächten,
Recht ein rot' Panier empor.

Und fie lammein lieh zu Scharen,
Zahllos wie der Sand am Meer —
flus getretnen Proletaren
formt lich kampfbereit ein Heer.

flus der Urne heil'gem vorne
Quillt ihm Mut und Glut und ftraft,
Datz es in gewalt'gem Zorne
freie vahn dem Rechte schallt.

Wähler, Iaht die Wetter kraulen,
Lallet wild die Stürme wehn,

Dah mit flnglten und mit Graulen
Mög' das Unrecht untergehn.

flus den Wolken lost es zücken,
flammend, ein Vergeltungsstrahl!
flulrecht, ihr gebeugten Rücken!
vorwärts, Volk, am lag der Wahl!

e. m.

o o o

Kleine Wahlgeschichten
für schwarzblaue Kinder.

t. Das arme Kärtchen.

Kärtchen hatte seine Mutter früh verloren
und ivohnte mit seinem Vater, einem Fabrik-
arbeiter, vier Treppen hoch im Hinterhause.
Die beiden lebten trotz ihrer Armut fröhlich
und in Eintracht zusammen. Karlchen lernte
fleißig und war bescheiden. Der Vater aber ge-
hörte zu den Sozialdemokraten, die die Regie-
rung schmähen und den schwarzblauen Block
verhöhnen. Dafür ereilte ihn denn auch die ge-
rechte Strafe. Als nämlich die Reichstags-
wahlen herankamen, schickten ihn seine Genossen
aufs Land, damit er dort mit teuflischen Flug-
blättern den gesunden Sinn der Bevölkerung
vergiften sollte. Inmitten seines ländlichen
Bezirks lag aber das Rittergut des gnädigen
Herrn von Pupritz. Dies war ein frommer
und konservativer Edelmann von rechtem
Schrot und Korn, der keinen Sozialdemokraten
in seinem Bezirk duldete und zwei kräftige
Doggen besaß. Als Karlchens Vater auf dem
Hofe sichtbar wurde, erschien der gnädige Herr,
pfiff seinen Hunden und hetzte dieselben in
Gottes Namen auf den frechen Eindringling.
Es währte nur wenige Minuten, da war von
dem roten Wühler nichts mehr übrig, als ein
Häuflein blutiger Knochen. Als die Polizei
dem armen Karlchen mitteilte, daß sein Vater
um seiner Sünden willen von bösen Hunden
Zerfleischt worden sei, weinte das Kind heftig.
Aber das half ihm nichts, und da Karlchen
jetzt keine Eltern mehr hatte, nahm die Obrig-
keit sich seiner an und brachte ihn als sozial-
demokratische Waise in eine sehr fromme
Zwangserziehungsanstalt, wo er nach wenigen
Wochen bereits rettungslos verwahrlost war,
so daß er schließlich im Zuchthaus endete.

Aus dieser lehrreichen Geschichte kann man
zweierlei entnehmen: Erstens, daß eine sozial-
demokratische Gesinnung stets ihre gerechte
Strafe findet, und zweitens, daß selbst in den
gutartigsten Kindern sozialdemokratischer El-
tern im Grunde immer ein schlechter Kern steckt.

2. Die verlorene Ehre.

In einer kleinen Stadt im schönen Ostelbien
lebte ein Barbier, der ein guter Bürger und
frommer Christ war, und sich des Wohlwollens
der von Gott eingesetzten Obrigkeit erfreute.
Der Herr Landrat gehörte seit vielen Jahren
zu seinen Kunden und ließ sich täglich von
ihm rasieren, was für die höchste Ehre galt,
die einem Barbier in jener Stadt wiederfahren

konnte. Daher wurde diese Tätigkeit auch immer
unentgeltlich ausgeübt. Als aber die Reichs-
tagswahlen kamen, erschien in der Stadt ein
sozialdemokratischer Agitator, der das Volk
aufwiegelte und dem zahlreiche Seele» zum
Opfer fielen. Auch der Barbier gehörte zu
ihnen. Er entblödete sich nicht, am Wahltage
seine Stimme einem roten Umstürzler zu geben.
Freilich geschah escheimlich, aber der Bürger-
meister stellte es dennoch fest — denn Gott
und der Obrigkeit kann nichts verborgen blei-
ben — und meldete es dem Landrat. Als
daher am Morgen nach dem Wahltage der Bar-
bier noch in seinem Bette lag, erschien bereits
der Kreisbote mit einem Brief vom Herrn Land-
rat. Darin aber stand geschrieben, daß der
Landrat auf die Dienste des Barbiers in Zu-
kunft verzichte, da er sich von einem Umstürzler
nicht rasieren, sondern lieber einen Bollbart
wachsen lassen wolle. Auch vier Hundertmark-
scheine lagen in dem Brief als nachträgliche
Bezahlung für die letzten zehn Jahre. So
hatte der Barbier mit einem Schlage seine
feinste Kundschaft und in den Augen aller
Wohlgesinnten seine bürgerliche Ehre verloren

Motu proprio. EmHErk

„Herrgott, ich hätte katholischer Pfarrer werden sollen!
Jetzt Hab' ich gerade siebenmal Alimente zu zahlen!"

und sank nun »naufhaltsam von Stufe zu
Stufe. Die vierhundert Mark schickte er — denn
unrecht Gut gedeihet nicht — dem roten Wahl-
fonds ein, er selbst aber ließ sich alsbald zum
sozialdemokratischen Stadtverordneten wählen,
später zum Landtags- und schließlich sogar
zum Reichstagsabgeordnete», und war bis an
fein spätes Lebensende ein Ärgernis und Ab-
scheu für Gott und alle braven Bürger.

3. Gottes Allmacht.

Der Pfarrer Aloysius Hinterhuber im ober-
bayerischen Dorfe Dämelskirchen hielt seine Ge-
meinde stets in strenger Zucht. Noch nie war
es vorgekommen, daß bei einer Wahl in seinem
Dorfe andere als gut ultramontane Stimmen
abgegeben worden waren. Da begab es sich,
daß nahe bei Dämelskirchen eine große Fabrik
errichtet wurde und viele fremde Arbeiter in
den Ort zogen, die aus großen Städten kamen
und an Herz und Seele tief verderbt waren.
Nicht lange währte es, so gründeten sie einen
sozialdemokratischen Verein und als die nächsten
Reichstagsivahlen heranrückten, blickte Ehr-
würden Hinterhuber mit schweren Sorgen in
die Zukunft. Er ivußte nicht, wie er sich der
zahlreichen sozialdemokratischen Stimmen er-
wehren sollte, denn mit Überredungen und
Drohungen ivar hier, ivie er klar erkannte,
nichts auszurichten. Der Wahltag kam heran.
Es war Winterszeit und bitter kalt. Das
pfarrherrliche Amtszimmer diente, wie immer,
als Wahllokal, und die Roten bestanden darauf,
daß einer der ihrigen hier als Aufpasser stän-
dig anwesend sein sollte. Daher ließ Ehrivürden
das Zimmer nicht Heizen, den» er hoffte zu
Gott, der grimmige Frost iverde den Frechling
vertreibe». Dieser aber blieb und wohnte der
ganzen Wahlhandlung bei. Als sie vorüber
war und die Auszählung statlfinden sollte,
erschien jedoch plötzlich Ehrwürden selber mit
zwölf handfesten und gottesfürchtigeü Baneru-
burschen auf der Bildfläche, ließ alle Anwesen-
den ohne Ausnahme hinauswerfen, schloß die
Türen und Fenster und blieb unter kräftige»
Gebeten ein gutes Viertelstündchen allein im
Wahllokal. Dann ließ er getrost die Menge
wieder eintreten und die Zählung vornehmen.
Und siehe: von den zahlreichen sozialdemokra-
tischen Stimmzetteln fand sich auch nicht ein
einziger mehr in der Urne, sondern alle hatten
sich in Zentrumsstimmen verwandelt. In dem
vorher ungeheizten Ofen des Wahllokals aber
prasselle ein lustiges Feuer und behagliche
Wärme erfüllte den Raum! Das hatte Gottes
Allmacht durch das Gebet des Pfarrers ver-
mocht. Tobias.
 
Annotationen