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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0134
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7463

Das erleichterte Zentrum. mmu«

„Gott sei Dank, jetzt ist mir der Roeremvurm mit Kopf abgegangen!"

doveWSne. eT

Wenn's Mailüfterl weht
Und der Star wieder zieht.

Bleibt es alleweit schwarz
Auf dem deutschen Gebiet.

's ist Heuer Pfaffenfrühling
In Bayern zumal:

Es gedeih'n Jesuiten
Auf'm Berg und im Tal.

Kohlschwarz ist der Himmel —

Den Schirm aufgespannt!

Es regnet jetzt Pfaffen
Aufs deutsche Land!

Wann fegt ihr von dannen Ihr Maigewitter,

Den Weihrauchduft, , Und reinigt die Luft?

Der liebliche Zauber des Frühlings erstreckt sich auch auf die Bureau-
kratie. In Ermangelung von Bäumen schlägt der sogenannte Amts-
schimmel aus; und das, was jetzt auf den grünen Tischen wächst, ent-
wickelt sich rasch zum blühenden Weizen des Zentrums.

Der Klapperstorch, der die neuen Wehrvorlagen bringt, heißt „Pleite-
geier" und beißt die Reichsregierung noch früh genug ins Bein. Er
verträgt sich sehr gut mit den beiden Molochen Militär und Marine;
und es ist ein geradezu rührendes Schauspiel, sie alle drei in der Wil-
helnistraße miteinander spielen zu sehen!

In Köln wurde ein Arbeiter, der den heiligen Nepomuk rot lackiert
hatte, auf drei Monate ins Gefängnis geschickt. Das nützt aber nichts
— „lackiert" bleiben die Kölner Heiligen doch!

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Der Schuß in Osterrode.

iEs fiel ein Schuß, ein böser Schuß
llm fernen Dsterode.

Der schaffte oben viel Verdruß
Und schreckte manchen zu Tode.

Doch eh' der Schrecken allzugroß,
lvar'n unsre tvsfiziösen
Schnell zur Verschleierung bereit -
Ulan bannte Rührendes lesen:

Ein Zufall war's, ein Unglückrfall,

Es war kein zweites Gumbinnen-

Und emsiglich begannen sie
Den hüllenden Schleier zu spinnen.

Der Schleier hüllt den Fall vielleicht
Allmählich in vergessen —

Bis zu den nächsten Schüssen und
Den nächsten Mißhandlungsprozessen!

Der Kaplan Sassen.

Ede: Allens wat recht is, bet muß man de kalho-
lrsche Jcistlichkeit lassen: se sorgt nich bloß for bet
Seelenheil, sondern ooch for bet Amisemang von
ihre Jleibijen!

Lude: Woso?

Ede: Na, haste nich von den Kaplan Sasse» in
Mühlheim jelescn?

Lude: Der bei de letzten Rcichstagswahlen so
stramm for bet Zentrum jejen de Roten ajilicrt hat?

Ede: Jena» demselben, lln setz stellte sich 'raus,
det er nebenbei de jeistliche Jewohnheit hatte, in'»
Beichtstuhl mit Frauen un Mächen jleich intim zu
verkehren.

Lude: 'n vielseitijcr Jottesmann! Na, nn nu?

Ede: Nu is der Zentrumskaplan uff eenmal nach
„unbekannt wohin" verzogen. Wahrscheinlich wollte
er sich de Huldijungcn seiner Jemeinde entziehen.

Lude: Oder er is in'u anderen Erdteil iebcr-
jcsicdclt, um dem Samen des Christentums ooch
unter de llnjlcibijen anszustreic».

Ede: Del kann sind. Jedenfalls is er weg, un de
Zentrumspariei un de Mühlheimer Damenwelt
trauern ihm nach.

^ Lude: Nu, se werden schon Ersatz finden! An de
Sassensche Sorte scheint ja kcen Mangel nich zu sind.
Alle Oogenblicke liest man von derartije jchcime
Bcichtstuhlbelustijungen.

Ede: Wceßte wat, et wäre janich unberechtigt,
tvenn de Rejierung in Zukunft for den Besuch der
Beichtstiehle'ne Lustbarkeitssteier erheben wilde!

Lude: Ede, det is'n joldner Jedankc! Uff die
Weise kommt Bethmann aus de janze Finanzmisere
von wejen de neie Wehrvorlage.

Ede: De Lösung der Deckungsfrage vermittelst
des Beichtstuhls!

Lude: Del walte Jott! Balduin.

Jur Münchener Äofbräuhaus.

„Finden's »et auch, Herr Nachbar, daß die Tripoli--
taner immer noch a Glück haben, indem daß sie
net — preußisch werdn?"

Lieber Jacob!

Die Rejierung plant zur Hebung derReichs-
finanzen de Uffhebung der Branntweinliebes-
jabe. Diesen Jedanken hat se der Satan in-
jejeben, da is keen Zweifel nich. Wenn De
nämlich bedenkst, wat diese Maßrejelung for
Foljen »ach sich ziehen muß, dann wirste mir
verstehen un Recht jeden. Also ieberleje Dir
mal! Erstens haben die Junker alle die Jahr-
zehnte lang uff Ehrenwort klipp un klar nach-
jewiese», det et sich bei de janze sojenannte
Liebesjabe man bloß um 'n paar poplije Fennije
handeln tut, von die de Ajrarjer nich dem je-
ringsten Vorteil haben. Scheeneken. Zweetens
verlangt et aber det Lebensinteresse der Land-
wirtschaft, det bei de Uffhebung der Liebesjabe
janz knollije Entschädijungen an de Brenner
jezahlt werden missen, det also det Verdienst,
wat de Ajrarjer von de Liebesjabe jehabt haben,
so hoch wie meeglich berechnet ivird. Schon
faul. Drittens und letztens jibt et aber ooch
noch 'ne sojenannte Steierbeheerde, die sich
klotzig verwundern ivird, wenn see heert, wat
for Summen de Junker jährlich aus de Liebes-
jabe alleen bezogen haben, un die villeicht nich
umhin kann, ihre Verwunderung 'n sehr schmerz-
haften 'Ausdruck zu jeden, wenn se diese aus-
verschämten Liebesjabenbeträje mit det jährlich
versteierte bescheidene Jnkommen des Jroß-
jrllndbesitzers verjleichen tut. Also nu frage
ick Dir: wat soll der unjlickliche Ajrarjer machen ?
Erklärt er, de Liebesjabe bringt nischt in, denn

krigt er keene Entschädijuug nich, un det jeht
ihn jejen seine relijieese Jeberzeijung. Erklärt
er aber wahrheitsjemäß, wat se ihm wirklich
injebracht hat, denn kriegt ihm die Steier-
beheerde un der Staatsanwalt bei de Hammel-
beene von wejen Hinterziehung. Det muß '»
schrecklicher Zustand for Ostelbien sind un ick
verstehe jetzt vollständig, woso de konservativen
Zeitungen versichern, det det Vaterland sich
an den Abjrund des Verderbens befindet. Ick
firchte bloß, det de Branntweinbrenner in ihre
Verzweifelung sich am Ende jar zu det jrau-
same Mittel enschließen un in'n Streik intreten.
Denn sind de Foljen eenfach uniebersehbar.
Mit eenmal jibt et keenen Droppen Fusel nich
mehr! Wenn eener eenen vom Turm blasen
will, krigt er keenen, un de janze staatserhal-
tende Bevelkerung Deitschlands sinkt uff det
moralesche Nivoh der Sozialdemokratie her-
unter, indem det sich alle zum unfreiwillijen
Schnapsboykott bekehren missen. Det is nich
auszudenken un det jeht nich! Also muß uff
andere Weise jeholfen werde», un et is Beth-
mann seine verfluchte Flicht un Schuldigkeit,
sich dadrieber dem Kopp zu zerbrechen. Donner-
wettsteen! Zu ivat halten sich denn de Ajrarjer
ihre Rejierung, wenn die se bei sonne dreckije
Affäre nich mal aus de Patsche Helsen kann?
Det wäre ja noch scheener! Also Beene 'ran,
lieber Theobald, und denke jefälligst drieber
nach, wie du det Ding befummeln wirst! Sonst
— du kennst deine strengen Vorjesetzten aus
de ajrarischen Hinterwälder und weeßt, det die
nich mit sich spaßen lassen, ’it paar Wochen
haste Zeit. Wenn dir bis dahin nischt injefallen
is, denn kannste deine Knochen in't Schnupp-
duch zu Hause tragen un denn werden se dir
’n Marsch blasen, det du 'ne Turmspitze for'n
Zahnstocher un Scharmach'n sein Methylalko-
hol sor Mampe mit Schimmeljespann ansiehst!

Wenn ick mir det allens so recht ieberleje,
denn mochte ick am Ende trotz de Uffhebung
der Liebesjabe doch noch lieber ’n ostelbischer
Fuselbaron als wie Theobald sind!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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