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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0358
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— 7687

m NoveWSne.^T

Alterndes Europa,

Wirst nun ausgelacht —

Trotz der vielen „Mächte"

Hast du keine Macht.

Deine Nörgeleien,

Deine Eifersucht
Brachten am Balkan dich
Um der Ernte Frucht.

Auf der Nase tanzen
Keck die Kläffer dir,

Bist ein Spott und Popanz
Allen Völkern schier.

Der nunmehrige Balkankrieg wird als „Krieg der fünf Dallesbrüder"
militärisch sehr lehrreich sein; denn er wird auf nicht weniger als zehn
Kriegsschauplätzen geführt, indem nämlich alle Parteien zu gleicher Zeit
vorn um die Ehre und hinten um Geld „fechten" müssen.

Italien kriegt beim Friedensschlüsse
Von der Türkei jetzt Tripolis.

Und England gibt dazu deu Segen,

Auch Spanien gönnt es ihm gewiß.

Man gratuliert ihm zu dem Lande,

Ja, es ist wirklich fein heraus,

Es braucht es nur noch — zu erobern,

Dann ist es ganz darin zu Haus.

Die europäischen Kabinette sind sich darüber einig, daß die Balkanfrage nur mit
einem energischen Druck auf die Pforte gelöst werden kann.

In England beruht die Volkswirtschaft auf dem Freihandel. Bei uns
dagegen hat sie den Druck der agrarischen Freibeuterei auszühalten.

„Wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen",
kriegt durch eine höchst absonderliche Fernwirkung das westeuropäische
Kapital sofort einen ganz gehörigen „Schlag ins Kontor".

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Lieber Jacob!

Man muß zu de Rejierungen Zutrauen haben,
besonders wenn se sich blamieren. DieserOogen-
blick is jetz wieder mal in de Erscheinung je-
treten, indem det de eiropäesche Diplomatie,
in deren kunstjeiebte Hände det Schicksal der
von Jott mit ewije Unmindigkeit beschenkten
Untertanen ruht, mit de Balkanaffäre eklig rin-
jefallen is. De lenkenden Obrigkeiten sämtlicher
Kulturstaaten waren sich anjeblich darieber
einig, det der Friede unter allen Umständen
erhalten werden misse, un da uff eenmal ziehen
de Montenejriner von't Leder un de Katz-
baljerei is im Jange. Also, wenn alle eiro-
päischen Jroßmächte Ja sagen un een eenzijer

jekreenter Hammeldieb sagt Nee, denn jilt det
letztere!

Jedenfalls bleibt de Rejierungen oogenblick-
lich nischt weiter iebrig, als zu erklären, det
der Krieg „lokalisiert" werden wirde. Dieser
Erklärung mangelt weniger de Feierlichkeit als
de Jloobwirdigkeit. Denn et jibt ville, die an'n
kleenen niedlichen Weltkrieg jroßet Verjniejen
haben wirden. Ooch bei uns zu Lande. Da is
zunächst der olle ehrliche Krupp, der sich leicht
an de zehn Fingern abzählen kann, wat der
Massenmord ihnr inbringen wirde. Un denn
der Klump von abjesägte Jeneräle, for deren
verborjene Talente det undankbare Vaterland
bis jetz keen Verständnis »ich jehabt hat un

Konservative Wünsche.

Der neue Präsident
muß weich und biegsam sein und sich tun den Finger
wickeln lassen;

des Drciklaffenhanses

aber auch etwas vom Götz von Bcrlichingcn mit der
cifcrncn Faust muß er an sich habe».

die sich ihren pensionierten Tatendrang in
pollitesche Zeitungsartikel abschlagen, for die
se bei Schcrl'n 'ne jut bezahlte Abnahme finden.

Un ieberhaupt sin wir ooch sonst 'ne krieje-
rische Nazjon. Wat jloobste woll? Kiek Dir
zum Beispiel mal de neisten Jugendwehren
an, mit wat for'n Schmiß die ihre pappenen
Helme un blechernen Schießpriejel spazieren
sichren. Da liegt Bouillon drin, verstehste!
Erst neilich haben Sticker zwanzig kriejerischen
Jinglinge hier in Mariendorf eenen Bauer-
jungen nff'm Kartoffelfeld attackiert un ihm nach
jlorreichem Kampfe een Ooge ausjeschlagen.
lln bei Hamburg schoß ’n patriotischer Jym-
nasialdirektorssohn eenem zwelfjährijen Schul-
mächen, det er in seine nazjonale Bejeisterung
wahrscheinlich for'n franzeeschen Kierassier an-
jesehen hat, 'ne Kugel in'n Kopp.

Unser Birjertum is also, wie De siehst, durch-
aus kriegstichtig jesonnen. Et fragt sich nu bloß
noch, ob man mit Krupp'n seine Aktionäre,
mit Schcrl'n seine abjesägte Jeneräle un mit
de jugendlichen Blechköppe von de Jugend-
wehr'n erfolgreichen Weltkrieg deichseln kann.
Denn wat det sojenannte deitsche Volk is, det
will nämlich partuh nich ran an'n Speck. Ob-
jleich de Aussichten for ihm bei unsre beriehmte
Veteranensiersorje doch so verlockend wie nur
meejlich sind. Zehn Mark monatlicher Ehren-
sold un 'n Stelzbeen aus vaterländesche Eiche
un ’n Leierkasten mit „Heil dir im Siegeskranz"
uff de Walze! Wenn det keen scheener Lebens-
abend is, denn iveeß ick nich! Aber det Volk
is ebent leider durch de sozialdemokratesche
Verhetzung zu sehr verdorben, un deshalb jloobe
ick ooch trotz alle Bemiehungen der friedens-
liebenden Diplomatie an keenen Weltkrieg nich,
un de Panzerpatrioten un de pensionierten
Stratejen von'n „Lokalanzeijer" un alle dum-
men Jungens tun mir herzlich leid!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jctreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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