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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0416
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7746

6^ Das ^riedensfest. eT

Und feierlich wird wieder durch das Land
Die alte traute Mär der Weihnacht ballen
Uoni Stern, der über einer Rütte stand,

(Jom Grdenfrieden und vom Wohlgefallen,
hört ihr das Wort? — Wir hören Hinten
knallen

Und sehen Rütte», die voll Dunkel sind,
Und hören aus der Finsternis ein Kind
Sehnsüchtig nach dem fernen Uater lallen.

Was heulst du, Weib? Uoni Curtne weht ein
Klang:

6s tönt das Grz, es jubeln alle Glocken
Zu des Grlösers Ruhm, und der Gesang
Der frommen Beter jauchzet im Frohlocken. —
Dir tönt ein ander Grz! Zum Cod erschrocken
Rörst du nur der Kanonen dumpfen Ghor?
Granaten jubeln! Und vorm Festungstor
Wehn über eine Leiche weisse Flocken.

Sei uns gegriisst, du alter Kindertraum!

Lasst uns wie eh in als unterm Baume sitzen,
Umspielt von Cichterglanz und blankem Schaum,
Uon goldnen Ketten und von Silberlitzen. —
Was scheint ins Fenster? Bajonette blitzen,
Und aus der Scheide funkelnd saust das
Schwert.

Gs blinken Sporen. Und vorüber fährt
Reilflimmernd eine Batterie Raubitzen.

Dun öffnete vergnügt im Kerzenschein
Der Weihnachtsmann den übervollen Ranzen.
Seht, wie um ihn nun ihren Ringelreihn
Die übermüt’gen, tollen Kinder tanzen. —
Was raunt die Stimme? Rinter Wall und
Schanzen

Und vor den Gräben tanzen sie wie toll
Rungrigen Leibes und verzweiflungsvoll
Zu Suss, zuPferd, mit Kolben und mit Lanzen.

Wie köstlich wogt um uns der Laune Duft!
Wie traulich prasseln im Kamin die Gluten.
Das JFuge glänzt, und aus der milden Luft
Will uns Grquickung in die Rerzen fluten. —
6s schweigt die Schlacht. Und wie gepeitscht
von Ruten

entgeistert, waffenlos flieht Korps um Korps,
Und der Uerwesung Odern steigt empor
Uon Lausenden, die auf dem Feld verbluten.

0 holde, wunderserge Weihnachtszeit
IDit deinen Cräumen und mit deinem Glauben!
0 ewig alter, blutig neuer Streit —

Wo sind, wo sind des Friedens weisse tauben?
Das Kriegsross hörst du immer wieder
schnauben.

Und schweigt einmal der allzu laute Streit,
Dann sinnen sie in dunkler Reimlichkeit,

Wo auf der Grde noch ein Stück zu rauben.

Dein, nimmer wird der grosse Frieden wahr,
Wenn du nicht selbst mit kraftgeübten Räuden
Dein eigen Schicksal, stolzer Proletar,

Und das der Zeit wirst klaren Auges wenden.

Giust Opfer nur, betäubt von den Legenden
Uralten Wahns, entringst du dich der Pein:

Du selber wirst dir nun Grlöser sein,

Um Frieden einst und Reil der Welt zu spenden

Pau.

£l»t Weihnachten.

Skizzen Von P. E.

Das gute Aerz.

„Sind wir noch immer nicht am Tierfried-
hof?" fragte die alte Dame, die den kleinen
Lannenbaum krampfhaft in der Hand hielt.

Gegenüber ließ das Wagenfenster herab.
Die Müllerstraße dehnte sich endlos dahin.

„Noch nicht. Aber bald."

„Es war zu liebenswürdig von dir, liebe
Amalie, mich zu begleiten. Aber das Mädchen
konnte ja nicht —"

„Ja,das sagtest dujaschondurch's Telephon."

„Aber >vas ich dir nicht sagte, liebe Amalie,
das ist der Grund, warum ich sie Knall und
Fall wegschicken mußte: sie erwartet ein Kind!"

„Das ist ja entsetzlich.Dies tüchtige Mädchen."

„Es ivar mir nicht leicht, sie so kurz vor
Weihnachten zu entlasse» —"

„Ich kenne ja dein gutes Herz." Sie drückte
der Freundin die Hand.

„Ja," fuhr diese etwas verlegen fort. „Und
dann ist zum Fest immer soviel zu tun. Die
ganze Familie ist doch immer am heiligen Abend
bei mir!"

Der Wagen hielt.

Die beiden Damen stiegen aus, durchschritten
das kleine Portal in dem grünen Zaun und
befanden sich nun auf dein Tierfriedhof.

Mehrere hundertGrabhügel erhoben sich hier.
Man sah Kreuze und Tafeln aus Marmor und
Granit, llberall standen Bäume und Blumen
und alles war aufs Sorgfältigste gepflegt.

Mit großen Goldbuchstaben stand zu lesen,
daß hier „die ewig unvergeßliche Minka"
lag, daß man hier das „herzige, inniggelieble
Möpschen Bobbi" zur letzten Ruhe bestattet
habe usw.

Auf einigen war ausführlich von der Treue
und Anhänglichkeit des verstorbenen Vierfüß-
lers gemeldet und dem ewigen Andenken, das
ihm „Herrchen" nnd „Frauchen" stets widmen
werde.

Es ivar alles wie auf einem richtigen Kirch-
hof. Es fehlte bloß, daß vom Wiedersehen und
Auferstehen gesprochen wäre_

Statt frommer Bibelsprüche las man Verse,
die meist von den „trauernden Hinterbliebenen"
selbstverfaßt und dementsprechend gereimt wa-
ren. Nirgends aber fehlte Angabe des Geburts-
tags und Todestags des „Dahingeschiedenen".

Die Damen blieben stehen.

„Hier ruht meine kleine Fifi."

Die Begleiterin entsann sich gut des kleinen,
verwöhnten, ewig keifenden Affenpinschers, der
stets in einem blauen Scidenbeit gelegen und
für den die delikatesten Sachen gekocht und
gebraten wurden. Denn er hatte einen ver-
wöhnten Gaumen.

Eine große Marmortafel prangte an dem
Hügel und erzählte von den vielen guten Eigen-
schaften der „rührenden, mit menschlichem Ver-
stände begabten" Fifi. Das alles halte sicher
mehrere hundert Mark gekostet.

Die alte Dame setzte das Bäumchen ans den
wohlgepflegten Hügel und sie hatte richtige
Tränen in den Augen, als sie sagte: „Das

Weihnachtsgedanken. Kid,. Rost

„Mein Xicter Pastor, äh, könnte man nicht die Eltern
unseres, äh, Heilands, noch nachträglich in Adelsstand
erheben, um Verdacht zu beseitigen, daß die armen
Zimmerleute, äh, Sozialdemokraten waren?"

arme Tierchen mußte doch auch was zu Weih-
nachten haben. Ich hätte mich nicht mit den
Meinen freuen können, wen» ich daran gedacht
hätte, daß niemand der armen Fifi etwas
schenkt."

„Ja, du hast eben ein zu gutes Herz," sagte
die Freundin. ,

„Nun müssen wir leider gehen," begann die
alte Dame nach einer Weile. „Ich muß noch
ins Dienstboten-Vermittlungsbureau. Weißt du,
Amalie, eigentlich war es ganz zweckmäßig,
das Dienstmädchen schon jetzt zu entlassen: so
brauchte ich ihr doch nicht erst ein Weihnachts-
geschenk zu geben!"

Der Zug.

Der Zug rollte durch die Ebene. Er raste
durch ein wildes Schneegestöber, daS schon seit
Stunden anhielt, die Fenster verklebte und die
Aussicht auch beiTage unmöglich gemacht hätte.

Aber jetzt war es dunkel. Und kein Mond-
schein überflutete die kleinen Tannenwälder
rechts nnd links des Bahndamms, die in ihrem
Schnee- nnd Kristallschmuck aussahen, als seien
sie zum Fest aufgeputzt.

Alle, die in dem langen v-Zug fuhren, eilten
dem Weihnachtsfest entgegen nnd sahen im
Traum geschmückte Bäume in warmen, hellen
Stuben und träumten von gutem Festessen und
hübschen Geschenken.

„Vorschriftsmäßiges Weihnachts-Wetter!"
sagte ein Herr und dehnte sich behaglich in
den grünen Polstern.

„Wollen wir nicht im Speisewagen einen
Punsch trinken?" schlug sein Reisegefährte vor.

„Machen wir!"

Und sie begaben sich durch den schmalen
Gang nach vorn.

Der Schneesturm schlug an die breiten Schei-
ben des Speisewagens.

„Brr. Ich möchte heute nicht Lokomotiv-
führer sein."

Der andere lachte.

„Bei dem Gedanken schmeckt der Punsch hier
im Warmen nochmal so gut."

Indessen versuchte der Mann auf der Loko-
motive angestrengt in die Dunkelheit hinein-
 
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