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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 29.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.8272#0420
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Die tapferen

— 7750


Wir bleiben, was wir sind-

o o o

■ MWMZ


Nach dem letzten Akt.

Der Balkan war von Flammen hell,

Es übertönte Gewehr und Schrapnell
Selbst der Verwundeten Wimmern.

Wie ward die Maritza vom Blute rot!
Viele Zehntausend bleich und tot —

Ei» großes Reich liegt in Trümmern.

Ihr habt in mancher wilden Schlacht
Opfer an Gut und Blut gebracht.

Um dieses Reich zu zerschlagen.

Baut ihr nun in der Zeiten Lauf
Ein neues, besseres, freieres auf?

Wer will die Antwort wagen?

Gibt später die gebändigte Kraft
Auch der Geschichte Rechenschaft
Für euer Zünden und Schüren?

And wird die blut'ge Kriegerhand,

Die jetzt am Schwert liegt, über das Land
Gleich fest die Pflugschar führen?

Noch sprachen Kanone und Flinte nur.
Noch qualmt vom Pulverdampf die Flur,
Froh grinsen des Kriegs Genossen.

Pest, Not und Elend zum Tag des Gerichts —
Ward wiederum für nichts und nichts
Der Völker Blut vergossen? P. s.

klamm mein Sreund Dagobert Schönchen
nicht auf den Kriegsschauplatz ging.

Ich durchblütterte die illustrierten Journale.
Fast nichts als Schreckensbilder vom Kriegs-
schauplatz. Schauerliche Dokumente der Ver-
nichtung und des Jammers; Zeugnisse mensch-
licher Borniertheit und Bestialität.

„Ah, guten Tag, alter Freund — sieht man
dich auch mal hier!" ertönte plötzlich eine etwas
näselnde Stimme neben mir.

Dagobert Schönchen, mein Verbindungs-
bruder aus der Sludentenwit, streckte mir die
sein bewildlederte Rechte hin. Nachdem er dem
diensteifrigen Kellner den goldplattierten Rohr-
stock nebst elegantem Zylinder und Pelz über-
liefert hatte, ließ er seine aristokratisch gepflegte
Leiblichkeit auf das Polster niedergleiten.

„Der Krieg hat mich hergeführt," sagte ich,
ihm einen Teil der Mappen zuschiebeud. „Man
muß diese Gräßlichkeiten sehen, um den ganzen
Wahnsinn des Krieges zu erfassen."

„Schokolade mit reichlich Sahne," sagte Dago-
bert zum Kellner. Dann hielt er mir sein silber-
nes Zigarettenetui hin, steckte sich selbst eine
„Queen" in Brand und meinte: „Ja, siehst du,
vom Standpunkt des Sozialpolitikers aus ge-
sehen, mag das richtig sein; aber ich sehe das
alles mit dem Auge des Kunstästhetikers."

„Wieso?" fragte ich erstaunt. „Die verwüsteten
Städte und Dörfer, die Scharen vertierter, von
Mordgier entflammter oder von Todesangst
fortgepeitschter Menschen, die Karren mit Ver-
wundeten, Kranken und Sterbenden, die Heka-
tomben zerfetzter und verzerrter Leichen —
findest du die etiva schön?"

Er lächelte vornehm und löffelte mit lässig
künstlerischer Bewegung die überfließende
Schlagsahne von der Schokolade. Dann er-
klärte er mit der kultivierten Ruhe des Philo-
sophen: „Man darf natürlich nicht nur die
Einzelheiten sehen. Gewiß gibt es da manches
Unschöne und manches individuelle Leid. Man
muß die Vorgänge des Krieges im ganzen sehen
und werten. Ist die donnernd zu Tal stürzende
Lawine nicht schön, weil sie Wald und Woh-
nungen niederbricht? Ist das sturmgepeitschte
Meer nicht schön, weil es berstende Schiffe auf
die Klippen wirft und das Jammergeschrei
ertrinkender Menschlein in sein Brause» und
Brüllen mischt?"

Das bettende Winseln- seines kleinen, eng-
lischenWindhundes unterbrach ihn. Erstreichelte
ihm mit der schmalen nervösen Hand zärtlich
das graue Samtfell, steckte ihm ein Stück Zucker
in die feine Schnauze und fuhr fort: „Ja, der
Krieg ist schön! In dem gigantischen Ringen
der Völker auf Leben und Tod offenbaren die
einzelnen und die Masse ihre höchste Kraft
und Größe."

Vorsichtig, die Untertasse mit hochführend,
nahm er einen Schluck des sämigen Trankes,
tupfte die Lippen mit einem Seidentüchlein
ab und vollendete mit entschlossener Gebärde:
„Die höchste Schönheit liegt im Grandiosen.
Der Krieg ist das Grandiose in der Mensch-
heitsentwicklung. Nur die Humanitätsduselei
einer dekadenten Mitleidsmoral kann das über-
sehen."

Ich nahm die Herausforderung nicht an und
blickte ihm nur lächelnd in die blaßblauen,
übersichtigen Buglein.

Er versenkte sie wieder in die Schokolade
und sagte mit einem Anflug von Entschuldi-
gung im Ton: „Du mußt nämlich wisse», ich
trage mich mit dem Plan, eine Ästhetik des
Krieges zu schreiben. Ich hatte sogar die Ab-
sicht, mich auf den Kriegsschauplatz zu begeben,
um die Eindrücke unmittelbar auf mich wirken
zu lassen. Nur die naßkalte Witterung hat mich
abgehalten. Ich neige nämlich etwas zu Rheu-
matismus, und mein Hausarzt hat mir drin-
gend abgeraten. Aber" — seine nervösen Finger
umfaßten krampfhaft den Schokoladenlöffel als
ob es ein Schwertknauf wäre — „aber ich hätte
mich doch dazu entschließen sollen. Den», weiß!
du, der unmittelbare Eindruck ist für schrisl-
stellerische Intuition doch von großer Bedeu-
tung."

„Freilich, freilich!" bestätigte ich, ihn damit
anfeuernd.
 
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