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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0387
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8143

und so lange in den ausgefahrenen Gleisen
des Herkömmlichen dahintrotten und den kunst-
fremden und denkfaulen Spießbürgern den
neunmal gewärmten Kohl zum zehnte» Male
auftischen, bis der Anfänger zur abgestempelten
Berühmtheit geworden ist und nun der kritik-
losen Masse vorsetzen kann, was in seinem
souveränen Belieben steht. Es stände schlimm
um die Entwicklung der deutschen Poesie, wenn
alle jungen Dichter nach diesem praktischen Re-
zept verfahren wären. Kurz wollte es nicht und
konnte es nicht. Er war gewiß kein künstlerischer
Revolutionär, aber er war seiner ganzen Natur
nach auch weit davon entfernt, ein literarischer
Geschäftsmann zu sein, der beim poetischen
Schaffen in erster Reihe nach den Anforderun-
gen des Büchermarktes fragte.

Trotz der Mißerfolge seiner
ersten selbständigen Publikatio-
nen verlor Hermann Kurz den
Mut und das Vertrauen zu sich
selber nicht. Er ging vielmehr
gerade jetzt daran, die beide»
großen Werke auszuarbeiten, die
seinen Namen unsterblich machen
sollten: die Romane „Schillers
Heimatjahre" und „Der Sonnei:-
wirt". Beide spielen im achtzehn
len Jahrhundert und behandeln
Ereignisse und Zustände in der
schwäbischen Heimat des Dich-
ters. Der erste gib! in einerReihe
charakteristischer Gestalten und
eindrucksvoller Miiieuschilde-
rung.n ein färben- und konturen-
reiches Bild der politischen und
gesellschaftiichenZnständeWürt-
teuibergs zur Blüiezeit des Duo-
dezäbsolntismus. Der Herzog
Karl Eugen mit seiner Hof- und
Mätressenwirlschaft, mit seinen
pädagogischen Schrullen und an-
deren mehr oder weniger un-
heilvollen Narrheiten, das be-
schränkte und bedrückte, aber in
seinen stillen Kreisen auch v-.n
den behaglichen Sonnenstrahl.»
eines bescheidenen Glücks ge-
legentlich durchleuchtete und er-
wärmte Dasein des subalternen
Mittel- und Kleinbürgertums,
würdige Vertreter des geistliche»

Standes, ehrsame Handwerks-
meister und anderes mehr wer-
den mit absolut zuverlässiger hi-
storischerTreue,mit liebevoll ein-
gehender Freude a» der Detail-
ausmalung und mit einem oft ins Ironische
spielendenHumor geschildert, dessen liebenswür-
dige Anmut uns auch über die schwächeren, alt-
fränkisch sentimentalen oder unwahrscheinlich
romantischen Partie» versöhnend hinweghilft.

Die Person Schillers selbst h tt in dem Ro-
nian nur eine episodische Bedeutung, mit dem
Helden selber aber, der frei erfundenen Gestalt
des stets nach edle» Zielen strebenden, aber un-
steten, rvelt- und lebensfremden uird vom Pech
verfolgten Heinrich Roller, hat der Dichter ivohl
ein Abbild seines eigene» Charakters und seines
persönlichen Schicksals geben wollen.

Herrscht in „Schillers Heimatjahren" im
ganzen noch eine ausgesprochen optimistische
Grundstiurnmng vor, so ist „Der Sonnenwirt"
überwiegend Grau in Grau gehalten. Aus einer
historisch überlieferten, ziemlich banalen Kri-
minalgeschichte hatKurz das ergreifende Seelen-
und Charaktergemälde eines intellektuell und
moralisch gut beanlagten, aber verwöhnten und
leidenschaftliche» Mannes geschaffen, den die
Mißgunst der äußere» Verhältnisse und mensch-

liche Niedertracht zum Verbrecher machen. Wie
die ersten Keime des Bösen imHerze» desHelden
erwachen, wie er, nachdem die ersten verhängnis-
vollen Schritte getan sind, von Stufe zu Stufe
hinabgleitet und hinabgestoßen wird — das ist
mit einer psychologischen Schärfe und Sicher-
heit geschildert, die an die besten Leistungen
moderner russischer und skandinavischer Seelen-
analytiker heranreicht, und dabei von dem echt
dichterischen und rein menschlichen Mitempfin-
den begleitet, das ein besonderes Kennzeichen
unseres schwäbischen Poeten ist.

Die Abfassung von „Schillers Heimatjahren"
fällt noch in die Stuttgarter Epoche, in die Zeit
von Knrzens freiem Literatenleben. Inzwischen
war der Dichter zn der Überzeugung gekommen,

daß eine sichere Anstellung, die ihm einige Muße
zu poetischer Nebenbeschäftigung ließ, der Ent-
wicklung seines Künstlertums wohl dienlicher
sein müsse, und er hatte sich daher entschlossen,
eine Redakteurstelle in Karlsruhe anzunehmen.

Die Muße fiel freilich spärlicher aus, als Kurz
gehofft hatte, aber die Zeit war dennoch frucht-
bar an allerhand Beobachtungen und unver-
hofften neuen Anregungen. Einige Reisen, dar-
unter namentlich ein zweimonatiger Aufenthalt
inHeidelbergwährenddesFrühlings 1847, mach-
ten den Dichter, der sich bis dahin um Politik
wenig gekümmert hatte, mit den Idee» des badi-
sche» Liberalismus bekannt, und die Stimmun-
gen, Erregungen und Hoffnungen, die dem Re-
volutionsjahre im Volke vorangingen, fanden
auch in seinen, Herzen eine» starken Widerhall.

Freilich ist Kurz nur das gewesen, was man
einen Gefühlspolitiker nennt, nnd wenn er auch,
von der allgemein herrschenden Strömung mit-
gerissen, während des „tollen Jahres" in die
Redaktion des Stuttgarter „Beobachters" ein-
trat und dieses bürgerlich demokratische Organ

dann fast fünf Jahre lang selbständig geleitet
hat, so wandte er doch der praktischen Tages-
politik nachher wieder und für immer den Rücken
und widmete sich ausschließlich der poetischen
und literarwissenschaftlichen Arbeit.

Mannigfache Umstände aber lähmten jetzt
sein dichterisches Schaffen. Die Sorge ums
tägliche Brot wuchs, als Kurz Gatte und Fa-
milienvater geworden war, und die äußeren
Erfolge bliebe» seiner Arbeit nach wie vor
versagt. Selbst die beiden großen Romane
fanden nur einen langsamen Absatz. Dazu
kam, und zwar wohl als Folge dieser Ent-
täuschungen, eine schwere nervöse Erkrankung,
die den Dichter bis an sein Lebensende von Zeit
zu Zeit immer wieder heimsuchte. Allerhand
Pläne wurden entworfen und
große Ideen regten sich in dem
nimmermüden Geiste, aber zur
Ausführung mangelte die Ruhe
und Spannkraft. Kurz besaß nicht
die Fähigkeit, die „Poesie zu kom-
mandieren"undwiemancheLieb-
lingsautore» der Bourgeoisie
in jedem Jahre rechtzeitig zur
Ostermesse oder zumWeihnachts-
markt mit einem verkaufsfähigen
Werk auf dem Plan zu erschei-
nen. Er konnte, da er ein echter
Künstler und kein fingerfertiger
Macher war, nur dann schaffen,
wenn der innere Zwang ihn
dazu trieb.

Trotzdem ist auch diese trüb-
ste Zeit, 1855 bis 1863, seines
Lebens nicht ganz unfruchtbar
geblieben, ja es konnten in ihm
sogar Werke wie die prächti-
gen „Jugenderinnerungen" und
die humoristische Meisternovclle
„Die beiden Tubus" entstehen,
die den Dichter noch einmal auf
derHöhe seiner besten Schaffens-
kraft zeigen.

Alles in allem aber war Her-
mann Kurz ein müder Mann
geworden. Die Enttäuschungen
eines fünfzigjährigen Lebens
hatten ihn mürbe gemacht, lind
so war den» nach deutschem
Brauch der Zeitpunkt gekom-
mcn, wo das dankbare Vater-
land sich seiner erinnern durfte
und dem notleidenden Poeten
die üblichen Almosen vor die
Füße warf. Es geschah dies in
Form eines Ehrendoktvrdiploms
der Rostocker philosophischen Fakultäi und einer
Anstellung als Universitätsbibliothekar in Tü-
bingen, wo es zwar viel Arbeit und kärglichen
Lohn gab, aber doch ein gesichertes Einkommen
die marternden Sorgen uni das tägliche Brot
von Kurz fernhielt.

Zehn Jahre noch hat der Dichter diesen
bescheidenen Posten innegehabt, in den Muße-
stunden mit wissenschaftlichen Studie», Über-
setzungen und belanglosen Gelegenheitsarbeiten
beschäftigt, und kurz vor seinem Ende wurde
ihm sogar — eine bittere Ironie des Schick-
sals — der erste buchhändlerische Erfolg zu-
teil, den er freilich nicht seinen eigenen Werken
vcrdanlte, sondern der Herausgabe des „Deut-
schen Novellenschatzes", einer mit Paul Heyse
gemeinschafilich besorgten Auswahl von »inster-
gültigen Arbeiten deutscher Erzählerkunst. Am
10. Oltober 1873 ist dann der Dichter, einer
derbegabtesten, ehrlichsten und liebenswertesten,
die Deutschland hervorgebracht und gemißhan-
delt hat, nach kurzer Krankheit am Herzschlag
verstorben. John Schikowski.
 
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