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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0038
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8210


Das glückliche Land.
Ein Märchen von Ernst Preczang.
Es war einmal ein weiser und milder Kalif
namens Abbas Billah, was soviel heißt wie
Abbas von Gottes Gnaden. Der regierte in
jenem Lande, das fünf Minuten hinter Mitter-
nacht liegt und noch heute von zahlreichen
Forschern besucht wird, weil es dort viele
Dinge in blühender Daseinskraft gibt, die wo
anders schon in Spiritus aufbewahrt werden.
Abbas Billah nannte sein Reich „Das glück-
liche Land" — einmal, weil er selbst zufrieden
und glücklich war, und ferner deshalb, weil
seine Räte behaupteten, auch für das Volk sei
bis ins höchste Alter gesorgt. Das traf auf
die Minister auch zu.
Wenn Abbas Billah in seinem Schlosse war,
das am Rande einer weiten Ebene lag, dann,
sah er mit leuchtenden Augen auf die grünen
Fluren und Wälder, auf die freundlichen Dörfer
und Städte mit ragenden Essen und Türmen,
und er sagte zu seinem Großwesir: „Sind wir
nicht glücklich?"
Und der Großwesir verbeugte sich tief und
antwortete: „Erhabener Herrscher! Es gibt
kein glücklicheres Land auf allen Gestirnen des
Weltalls!"
Da lächelte der Kalif freudig und sagte:
„So laß uns auf die Jagd reiten, Wesir!
Mein Herz hüpft beim Klange des Jagdhorns
und das Gebell der Meute ist herrliche Musik
in meinen Ohren!"
Als sie nun in den tiefen, dunklen Wald
zogen, kamen sie aus dem Sommer in den
Winter. Schnee lag auf den Zweigen, auf
Weg und Steg. Alle Bäche waren vereist, alle
Teiche zugefroren. Aber dem Wilde waren
Schutzhüllen erbaut und den Vögeln über-
dachte Futterplätze errichtet. Und mitten im
Walde, nahe am Jagdschlößchen, hatten Fa-
sanen und Truthühner ein herrliches Häuschen
mit einer großen Voliere erhalten. Hier stand
der Kalif gern und fütterte eigenhändig seine
bunten, goldschimmernden Lieblinge. So tat
er auch heute nach der Jagd. Und sagte lä-
chelnd zum Großwesir: „Ein rechter Fürst
sorgt auch für die geringsten Wesen im Lande."
Da berührte der Großwesir mit seiner Stirn
den Schnee der Erde und erwiderte: „Im
Reiche Eurer Erhabenheit fällt kein Sperling
verhungert oder erfroren vom Baum."
Freudig lächelte der Kalif, griff in die rechte
Rocktasche und zog einen funkelnden Orden
hervor: „Dies für deine Klugheit und Treue!"
Indem der Wesir sich noch überglücklich mit
stammelnden Worten bedankte, ertönte plötz-
lich Geschrei; Diener brachten einen Mann
in ärmlichem Gewände herangeichleppt und
hieben roh auf ihn ein. „Sonne der Welt!"
riefen sie entrüstet und warfen sich vor dem
Kalifen in den Schnee: „Dieser Mann ist ein
gemeiner Dieb!"
„Ein Dieb?" Abbas Billah richtete sich streng
auf. „Weißt du nicht. Unglücklicher, daß dem
die Hand abgehauen wird, der einem andern
etwas nimmt?"
Der Mann schlug sein verhärmtes Antlitz
zum Kalifen auf und sagte: „Ich weiß es.
Aber Hunger, o Herr, ist stärker als Furcht.
Darum nahm ich mir einige Hände voll Mais

aus deinem großen Vorrat. Meiner Frau,
meinen armen Kindern wollte ich ihn bringen.
Deine Truthühner, dachte ich, werden darum
nicht minder fett."
„Wesir...?" Der Kalif sah fragend auf seinen
Minister.
Der beugte tief den Rücken: „Größter aller
Sterblichen! Ich hörte nie, daß Menschen Mais
essen. Der Mann lügt!"
„Ich lüge Nicht. Hier sieh!" Der Mann griff
in seine Tasche und steckte einige gotdgelbe
Körner in den Mund. „Prächtig schmecken sie!"
„Aha!" Der Kalif lachte. „Du bist ein Son-
derling von jener lustigen Art, die Forelle und
Braten verachten?"
„Herr!" Der andere blickte ihn ernst und
strafend an. „Du spottest meiner. Dreiund-
zwanzig Jahre arbeitete ich in den großen
Fabriken von Bar-el-Mandib. Ich gewann keine
Reichtümer, aber ich halte mit meiner Familie
zu leben. Nun hat man die Fabriken geschlossen,
weil sie nichts verkaufen können. Ich fand keine
Arbeit, soviel ich auch suchte. Da ergriff mich
Verzweiflung beim Anblick meiner hungernden
Kinder, und ich stürzte fort, in den Wald, um
mich — ach, verzeihe mir, Herr! — an einem
deiner Bäume zu erhängen. Ein Zufall führte
mich an diese Futterstelle. Ich nahm's als ein
höheres Zeichen, daß ich noch leben solle. Ich
aß von dem Mais, und — ja, verzeihe mir,
Herr! " der Dieb schrie schluchzend auf
„an jedem Tage wollte ich hierherschleichen und
mir drei Hände voll von dem köstlichen Mais
deiner Truthühner nehmen."
Im Gesicht des Großwesirs flammte die Röte
des Zornes auf. Er schrie: „Wir werden dir
beide Hände abhacken, du frecher Dieb!"
Aber Abbas Billah schüttelte das Haupt und
sagte streng: „Schweige! Du hast mich belogen.
Dieser Mann ist nicht glücklich." Und er griff
in seine linke Rocktasche, zog eine seidene Schnur
hervor und überreichte sie dem Minister.
Der erschrak fürchterlich, wurde weiß wie der
Schnee und entfernte sich mit schlotternden
Knien. Zum Diebe aber sprach der Kalif:
„Nimm dir von dem Mais, soviel du tragen
kannst. Ich will fröhliche Gesichter in meinem
Lande sehen!"
„Dank, Herr, Dank! O könntest du doch allen
meinen armen Brüdern helfen!"
„Geht es noch anderen so ivie dir?"
„Bielen, Herr, vielen!"
Da winkte ihm der Kalif, zu gehen, und sagte:
„Es soll euch allen geholfen werden!" Und er
wandte sich zu seinem Gefolge und winkte mit


dem Finger. Da kam ein neuer Großwesir.
„Rate mir," sagte der Kalif. „Jener Mann,
der eben von mir ging, behauptet, daß es vielen
meiner Untertanen an Arbeit und Brot mangele.
Es ist mein Wille, daß dem abgeholfen werde."
„Erhabenster aller Erhabenen!" Der Groß-
wesir küßte dreimal den Saum des Kalifen-
gewandes. „Verzeihe, wenn meine Gedanken
einen andern Weg wandeln. Höre: die Faul-
heit geht um im Lande. Nach höherem Lohn
schreien sie und nach längerer Muße! Dem
Fleißigen, dem Willigen stehen tausend Tore
offen. Unter Hunderten ist kaum einer, den
wirkliches Unglück verfolgt. Nicht Milde rettet
das Volk, erhabener Herrscher, nur Strenge
und eisenhaite Faust werden es wieder zurück-
zwingen in sein glückliches, zufriedenes Leben!"
Da reckte sich Abbas Billah hoch auf und
rief flammenden Auges: „Fürwahr, wenn cs
so ist, dann laß das Gesetz in seiner ganzen
Härte walten oder schaffe neue Gesetze! Alle
aber, die wirklich vom Unglück geplagt sind
und unsreiwillig Tätigkeit und Brot entbehren,
rufe für den dritten Tag von morgen ab vor
die Tore meines Palastes, daß wir ihnen helfen."
„Großmächtigster aller Mächtigen!" Der
Wesir schlug dreimal erschrocken mit der Stirn
auf den Erdboden. „Laß ab von deiner gött-
lichen Milde! Niemand verdient sie."
„Drum will ich prüfen. Die Faulen werden
nicht kommen. Denn es soll ihnen Arbeit wer-
den. Tue, wie ich dir sage!"
Da erhob sich der Großwesir mit einem tiefen,
tiefen Seufzer und sandte Bolen aus, die im
ganzen Lande den Willen des Herrschers ver-
kündeten.
Und als drei Tage um waren und der Kalif
inmitten aller seiner Minister und Räte in dem
größlen Saal des Palastes auf seinem güldenen
Throne saß und voll Eifer die Geschicke des
Landes regierte, drang von außen ein Gemur-
mel von vielen Stimmen an sein Ohr. Da
horchte er auf und fragte mit strenger Stimme:
„Wer wagt's, uns in unfern wichtigen Bera-
tungen zu stören? Sprich, Großwesir!"
„Strahlendster Stern am Firmaments des
Alls!" Der Wesir kniete nieder und küßte die
Stufen des Thrones. „Geruhe dich zu erinnern,
daß du den hungernden Pöbel vor die Tore
deineo Palastes bestelllest."
„Richlig." Der Kalif erhob sich finster. „Wie-
viele sind es, die arbeiten wollen?"
„Göttliche Sonne!" Der Minister stotterte
und sah blaß zur Erde.
„Nun? Warum antwortest du nicht?" Und
der Kalif trat schnell zum Fenster. Und er sah,
daß die Ebene, die gestern weiß von Schnee
gewesen, heute schwarz von Menschen war.
Und aus dieser dunklen, riesenhaften Flut von
Menschen reckten sich Zehntaufende von Hän-
den fordernd empor und wie Donnergeroll um-
brandete den Palast der vieltausendstimmige
Rus: „Acbeit!... Brot!... Brot!!.. .Arbeit!!"
Da wankte der Kalif vor großem Entsetzen;
sein Antlitz ward blaß wie der weiße Marmor
an den Wänden, und er wäre gefallen, hätten
ihn seine Wesire nicht gestützt.
„Lügner!" schrie er mit bleichen Lippen.
„Infamer Lügner! Sie alle wollen arbeiten!"
Der Großwesir lag schon auf den Knieen
und winselte: „Gnade! ... Gnade, himmlische
 
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