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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0040
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8212

Ein Gespenst iin Berliner Generalstabsgebäude.


Nloltke: Iungeken, nicht so viel telegraphieren, — det is Vatern
auch nicht gut bekommen!

Hamborg bei St.Pauli,
im Anfang des
Nichtjubeljahres 1914.
Werte Redakschon!
Wie ich mit Recht
schon verschiedentlich
zu meine internatscho-
nalen Stammgäste ge-
sagt habe, ist das Tier-
reich des Herrn grost,
und Hagenbeck ist gar
nichts dagegen. Und
wenn einer einen durch
Erfahrung im Fliegenwirtsgewerbe geschärften
und durch dazu gehörigen milden Grog ge-
klärten Blick hat, so lernt er jümmers neue
Spetschalitäten kennen, wo sich auf die selt-
samlichste Weise ernähren.
Als ich noch Jantje war und von die stür-
mische See in das noch stürmischere Sankt
Pauli von damals kam — ach, was ist durch
die Moderniteeh und die jungfräuliche Ab-
wanderung nach Sankt Georg jetzt aus diese
historisch-traditschonelle Stätte geworden! —da
waren noch Orgeldreihers mit Moritaten und
„Lied zur Beschreibung", und von diese volks-

tümliche Literatur kaufte ich das Beste. Wor-
unter auch ein Vers war, wo mir ganz be-
sonders gefiel, von einem Raubmörder nämlich:
Er halt' auf dieser schönen Welt
Nicht einen einz'gen Pfennig Geld;
Darum erschlug er diesen Manu:
Ein jeder nährt sich, wie er kann!
Daran habe ich in diesen Tagen jümmers
denken müssen: „Ein jeder nährt sich, wie er
kann!" Nämlich mir ist ein natschonaler 'Ar-
beitervereinsvorsitzender in die Finger geraten,
doch von Anfang an war die Sache diese.
Kommt da eines Abends in mein inter-
natschonales Lokal ein langer, dürrer Kerl, wo
zu die Arbeiterkleidung einen gänzlich unpas-
senden goldenen Kneifer trägt, aber ganz zu-
vertraulich einen Grog verlangt. Kriegt er
auch. Alsdann sängt er mit meine versam-
melten Gäste ein Gespräch an über die schlech-
ten Zeiten und über die Arbeitslosigkeit und
über die Mittel und Wege, an die Krisis vor-
beizuschlittern. Worauf mir Hein Handhoken,
der Schauermann, zublinkert, womit er aus-
drücken wollte: „Markst Müüs?" Dieses tat
ich auch und stellte mich so neben den Herrn
hin und fragte, ob er vielleicht wisse, wo Ar-


beit sei, denn ich habe ein paar Stammgäste,
wo so was brauchen könnten. „Arbeit genug!"
sagte er, „allens durch meine Vermittlung, und
schicken Sie die Leute nur in mein Büroh
Vorsetzen 493, zweite Etasche." Dieses war
uns sehr merkwürdig, und wir fragten weiter
nach die Bedingungen, indem wir den Kerl
für einen Landhai estimierten oder für einen
Streikbrecheragenten von Kopenhagen und so.
Jedoch er erklärte uns, daß er Vorsitzender
von dem natschonalen Arbeiterverein „Hie gut
Zollern alleweg" sei und Mitglieder ausnehmen
täte und forts in Arbeit bringe, indem ihm die
Gunst hoher Behörden zur Seite stehe und die
Beliebtheit bei sämtliche Arbeitgebers.
Und wie er so schwadronieren tut und wir
überlegen, jeder für sich, wie nett es wäre,
mit diesem Ehrenmann fünf Minuten oder
zehn ganz allein zu sein an einer Straßenecke,
da kommt Hannes Düwel ins Lokal, sieht
diesen Fremdling, stutzt einen Augenblick und
sagt dann mit sichtbarlichcr Überwindung zu
mir: „Claus, Kugeltee, aber nördlich!" und
stellt sich an die Toonbank mit dem Rücken
zu dem Herrn und blinkert mir zu: „Den kenn'
ich!" Alsdann genießt Hannes langsam sein
warmes Getränk, dreht sich um und sagt zu
dem Natschonalen: „Wenn Sie mich jetzt das
Krankengeld für fünf Wochen bezahlen wollen
und die Formulare bei sich haben, denn so
quittier ich in Zeugengegenwart. Und von die
neunzig Mark gebe ich eine Runde aus." Je-
doch der Fremde machte keine Anstalten, son-
dern stotterte „Mißverständnis" und „Täu-
schung in die Person" und so und wollte
zahlen, nämlich seinen Grog, weil er keine
Zeit mehr habe. Hannes Düwel sagte aber,
daß es kein „Mißverständnis" sei, sondern er
kenne den Vorsitzenden von die aufgeflogene
Krankenkasse „Obotritia" ganz genau und wolle
ihm jetzt beweisen, daß seine, nämlich Hannes
seine Arme wieder ganz gesund und gebrauchs-
fähig seien. Womit er ihm einen sanften Stoß
in den Rücken versetzte zur Gedächtnisauf-
srischung. Jetzt gröhlte der Natschonale: „Räu-
berhöhle!" Dadurch hatte er mein Lokal und
meinen Charakter beleidigt, was ich ihm mit
fünf Fingern und dann noch mit dem Feul
zu verstehen gab. Unter gütiger Mitwirkung
meiner Gäste kam er dann auf die Straße,
indem wir nicht wollten, daß ihm bei uns
etwas zustoße.
Also, um heute einen natschonalen Arbeiter-
verein zu gründen, kann man's ganz genau so
machen wie früher dis Altonaer Schwindel-
kassen. Drei Mann kommen zusammen, suchen
einen schönen Namen, wählen sich auf fünf
oder zehn Jahre zum unabsetzbaren Vorstand,
bewilligen sich ein rechtschaffenes Gehalt und
machen die Statuten. Worauf sie losgehen und
Dumme suchen, wo allens bezahlen müssen mit
ihre Beiträge. Mit die Krankenkassen ist es
vorbei, und jetzt kommen die natschonalen Ver-
eine mit Arbeitsvermittlung.
„Ein jeder nährt sich, wie er kann!"
Nach diesen: Abenteuer habe ich jümmers
den „Generalanzeiger" und das „Fremden-
blatt" durchsucht wegen eine Terrorismusnotiz,
ivo aber nicht gekommen ist. Denn dieser Nat-
schonale wollte inkochnitto bleiben, was seinen
Grund hat, weil Hannes Düwel ihm als Be-
trüger kennt.
Für die Wahrhaftigkeit dieses sachlichen Be-
richts bürgt der rechte Rockslippen und das
linke Hosenbein von dem Natschonalen, wo als
Trophäen bei mir angenagelt sind in dem Ab-
teil „für Herren".
In diesem Sinne grüßt
Claus Swartmuul,
Fleegenwirt und natschonalerBeförderungsrat.
 
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