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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0330
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8502

Die Dünenschanze.
Von Ernst Preczang.

Nacht auf der See. Ein mattes Glänzen nur.
Schaumköpfe, winzig, sprühen auf, versinken.
Einsam zwei Sterne, die verloren blinken.
Rotflimmernd in die schweigende Natur.
Horch! Nur die dunklen Wasser flüstern leise,
Wenn Well' um Welle an das Ufer rinnt)
Und sanft im Dünenwalde harft der Wind
Nachtfriedlich seine ruhevolle Weise.
Wie feierlich Md still der weite Raum!
Verstummt des Tages überlaute Stunden)
Verstummt der Schrei von Not und Tod und Wunden)
Hier schein! die Schrecknis nur ein irrer Traum.
Sieh jene Molke, die nun licht und Helle
Dicht überm Horizonte leuchtend hängt!
Der Mond steigt auf. Sein weißes Antlitz drängt
Sacht über dieses Meeres finstre Schwelle.
Nun funkelt's auf der See von Wunderfarben:
Es sprüht und blitzt des Mondes Kühle Glut.
Ein Heller Streif schießt auf die dunkle Flut,
Ein breiter Streif von silberblanken Garben.

Und zitternd flieht es bis zum gelben Strand
Und füllt mit Licht die weite, stille Halde.
Es glänzt das Land) tief bis zum Dünenwalde,
Wirft nun der Mond das blanke Silberband.
O sel'ger Ort, da aller Kampf geschlichtet! . ..
Mas aber dräut dort aus dem Busch hervor?
Vom Dünenwall blitzt ein Kanonenrohr,
Die Mündung drohend auf das Meer gerichtet,
fim grauen Mantel lehnt ein Kanonier,
Fest das Gewehr im Arm, an einem Baume.
Es wandern seine Blicke wie im Traume
Durch diese Märchenwelt des Friedens hier.
Und mit den Blicken wandern die Gedanken:
Durchfurchte jetzt den Streif ein Feindeskiel,
Mär' er des Rohres totgeweihtes Ziel,
Und splitternd stürzten Schornstein, Mast und Planken.
Und junge Leben sänken ins Verderben,
Und Hilferufe gellten durch die Nacht. . .
Und mit den Menschen würde alle Pracht
Und alle Schönheit dieser Stunde sterben.

ooO

Ein Wiedersehen.
Skizze von P. E.

Als die Schrapnells und Granaten nur noch
vereinzelt über den Deckungsgräben platzten,
atmeten die Grenadiere auf: von irgendeiner
Seite mußte Hilfe gekommen sein, die die
Franzosen zum Abzug veranlaßte.
Man suchte nach einem verlorenen Sluck
Brot in der Tasche oder einer Zigarette, die
den nagenden Hunger stillen sollte. Seit zwan-
zig Stunden lag man hier in den engen Grä-
ben, und an Abkochen oder Requirieren war
nicht zu denken gewesen.
Franz Kaufmann lugte aus dem Versteck
hervor: drüben am Bergabhäng, auf der Wiese
und den Stoppelfeldern leuchtete es rot. Das
waren keine Blumen, das waren tote Fran-
zosen, deren bunte Uniformen in der Mittags-
sonne flimmerten.
„Wir haben's ihnen ordentlich gegeben, den
Sackermentern," sagte sein Nebenmann.
„Wie sich's gehörte," vollendete Franz Kauf-
mann. Aber im selben Augenblick stutzte er
vor seinen eigenen Worten.
Wie hatten ihn diese wenigen Wochen nur
verändert! Er erkannte sich selbst nicht wieder.
Die Erlebnisse dieser Zeit zogen rasch und
klar — wie Bilder eines Films — an ihm
vorüber.
Bis in den Juli hinein hatte er eine gute
Stelle in der Uhrwerkstatt des wackeren Meisters
Siblot in dem französischen Städtchen Ribe-
mont an der Oise inne gehabt.
Das Geschäft war nicht groß, und derMeister
wußte wohl, was er der Arbeit seines ge-
schickten deutschen Gesellen schuldig war, der
mit dem jungen Gaston Siblot gemeinsam die
Stütze des Geschäfts war.
Sie waren gute Freunde gewesen.
Franz Kaufmann, dessen Französisch zuerst
ein bißchen „berlinerische" Klangfärbung hatte,

lernte am Familientisch schnell zu. Und die
kleine Ivonne gab ihm ernsthaft Stunden und
lachte Tränen, wenn er die Nasallaute nicht
recht herausbekam.
Die Freundschaft zwischen ihm und der Fa-
milie hatte sich noch befestigt, als er bemerkte,
daß sie die „Humanitö" lasen, und damit ihre
Zusammengehörigkeit als Sozialisten entdeckte.
Sie waren an einem schönen Juliabend,
vor der Türe beim Glase Eider sitzend, gerade
in eifrigster Unterhaltung darüber, woher die
Völkerfeindschaft eigentlich stamme und wie
sie aus der Welt geschafft werden könne —
als der Nachbar an ihnen mit den Worten:
„Es gibt Krieg!" vorüberstürmte.
Franz Kaufmann fühlte noch heute, wie ihm
damals der Herzschlag gestockt hatte und wie
ihm das Blut aus dem Gesicht getreten war.
Krieg? Das war ja nicht möglich! Krieg mit
Deutschland? Ja, es war doch nichts geschehen,
das dazu genötigt hätte?
Der alte Siblot redete ihm seine Besorg-
nisse aus. Als aber am nächsten Morgen sein
Gaston den Gestellungsbefehl bekam, wußte
er, daß jener nur allzu recht gehabt hatte.
FranzKaufmann schnürte sofortsein Päckchen
und begab sich auf die Bahn. Die Pflicht rief
iHv nach Deutschland, die Wehrpflicht ver-
langte ihn. . .
Die ganze Familie begleitete ihn zum Bahn-
hof, ihm allerlei gute Sachen für die Reise
zusteckend. Und da geschah etwas, das ihnen
allen die Tränen in die Augen trieb.
Die kleine Avonne fragte ihn mit ihrem lauten
Kinderstimmchen: „Sag mal, warum bist du
nicht in dem gleichen Regiment wie Gaston?
Ihr seid doch beide Brüder!" . . .
Auch jetzt, wo Franz Kaufmann in bestän-
diger Erwartung des französischen Eisenhagels,
dem Tode ins Antlitz sehend, hier lag, über-
wältigte ihn die Weisheit des kindlichen Ge-
müts. „Ihr seid doch beide Brüder!" wieder-

holte er halblaut. Und eben hatte er noch nach
drüben gezielt und gejubelt, wenn ein Schuß
ein „Treffer" gewesen war, und er hatte ge-
wünscht, daß sie alle trafen. ...
Wenige Wochen hatten genügt, um ihn das
Grauenhafte als etwas selbstverständliches be-
trachten zu lassen.
Und einen Augenblick überkam ihn der furcht-
bare Gedanke, daß da drüben Gaston gestanden
hatte, der vor kurzem sein Freund gewesen
war, daß sie aufeinander geschossen hatten,
und daß unter jenen toten Franzosen auch er
sich befand.
Aus seinen quälenden Gedanken, die ihn mehr
peinigten als der Hunger, riß ihn jäh der Be-
fehl zum Vormarsch. Die Franzosen hatten sich
zurückgezogen. Es galt, schnell von dem Berg
Besitz zu ergreifen und, wenn möglich, noch
heute den Fluß zu überschreiten.
Alles glückte. Als sie auf der Pontonbrücke
über den Fluß zogen, hörten sie von weitem
gleichmäßig wie Gewitterrollen das Donnern
von Kanonen.
„Unsere Brummer beschießen La Före," hörte
er den Hauptmann sagen.
La Före? Aber dann war er ja nicht weit
von Ribemont? Möglicherweise kam man dort
ins Quartier?
An diesem Abend blieben sie in Orignp.
Aber am nächsten Mittag erblickte er den ihm
gut bekannten Kirchturm und auf der Höhe
das Schlößchen von Ribemont.
Franz Kaufmann war als Wachtposten an
der Brücke postiert und konnte nicht in der
Stadt Umschau halten.
Er sah nur, daß auch hier der Krieg nichc
spurlos vorübergegangen war. Die Kirche und
einige Häuser waren — offenbar von Feld
geschähen und Maschinengewehren — stark be-
schädigt. Einige Häuser standen ohne Dach oder
mit zerschossenen Fenstern da. Man entdeckte
weit und breit keinen Zivilisten.
 
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