Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0331
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8603

Am nächsten Tag — einem Rasttag — machte
sich Franz Kaufmann auf den Weg. An der
Kirche, in der jetzt Verwundete lagen, ging er
vorüber, den Markt überquerend. Dort hing
Vater Siblots Geschäftsschild. Aber alle Läden
waren heruntergelassen.
Hätte er nicht drinnen den kleinen Hund
bellen und keifen hören, so hätte er auch dies
Haus als verlassen ansehen müssen.
Er ging auf den Hof und klopfte an der
Hintertüre. Ein Kindergesicht drückte sich an
die Scheibe. Ein Schrei ertönte. Aber die Türe
öffnete sich nicht.
„Laoro noin!" fluchte Franz. „Vater Sib-
lot, schlaft ihr?"
Da öffnete sich langsam die Türe.
Ein ängstliches Gesicht prüfte den feind-
lichen Soldaten und — veränderte sich plötzlich.
„Ist es möglich? Sie sind es?"
Und nun kam die ganze Familie zum Vor-
schein — außer Gaston.
„Wo ist Gaston?"

Als er die Frage getan hatte, schrak er wie
aus einem Traum auf: eben noch bei der
Begrüßung hatte er das alte familiäre Ge-
fühl gegenüber den Siblots gehabt, und jetzt
trat ihm wieder mit unheimlicher Klarheit
vor Augen, daß sie jetzt ja — Feinde waren.
Sie hatten noch nichts vom Sohn gehört.
Verlustlisten gab die Regierung nicht heraus.
So konnten sie nur hoffen, daß er noch lebte.
Sie gaben dem deutschen Soldaten von allem,
was noch die Speisekammer bot. Aber es kamen
nur wenige Worte über ihre Lippen. Das
schwere Schicksal drückte zu hart auf ihnen.
Franz Kaufmann wurde es unbehaglich zu-
mute. Vielleicht hätte er unter diesen Um-
ständen doch nicht hierherkommen sollen, wo
er nun ein Fremder geworden war. Da fiel
sein Blick auf das mit einem Trauerflor ver-
sehene Bildnis des ermordeten Jaurös.
„Wißt ihr noch, Vater Siblot, wie wir die
Friedensmahnungen der „Humanitö" feierten
und jeden Krieg als unmöglich ansahen?"
-o o O--

„Ja," sagte der Alte, tief seufzend. „Es ist
anders gekommen."
„Wie war das nur möglich?"
„Weil unser noch nicht genug sind in allen
Ländern! Wenn der Menschheit erst das Ge-
fühl der alle umfassenden Bruderliebe in Fleisch
und Blut übergegangen ist, dann wird jedes
Blutvergießen undenkbar sein."
Sie hatten beide plötzlich eine Brücke zuein-
ander gefunden. Sie waren nicht mehr Fran-
zose und deutscher Soldat, — sie waren wieder
Menschen mit dem gleichen Zukunftsideal ge-
worden, das sie vereinte.
Franz Kaufmann blieb, so lange er konnte.
„Grüßt Gaston von mir," bat er beim Ab-
schied. „Bittet ihn, nur aus dem Schlachtfeld —
in der harten Notwendigkeit der Verteidigung
meiner Heimat — in mir den Feind zu sehen.
Sonst aber soll er nicht vergessen, daß wir alle
Brüder sind."
Und lächelnd streichelte er den Kopf der
kleinen Ivonne.

An' Ansrag'.
1870.

Ecdicht von Karl Slteler.


A Bauer hat drei Vnabn im Feld,
Sie lasten gar nix hör'n.
Jetzt is er halt nach Münka nein
Zum Fragen in d' Kasern.

„O mein Gott, uei'! — und unser Lans?"
„Der is mit siebezig Mann
Bei Sedan g'fallen." — „Und der Sepp?"
„Der liegt bei Orleans!"

Drunt auf der Staffel vor'm Laus,
Da is er niederg'sessen;
Er hat sein Lut no' in der Land,
Er hat aus All's vergessen.

„Wie geht's mein Toni?" hat er g'fragt.
Den mag er halt vor allen.
Da schaugen's nach lind sagen's ihm:
„Der is bei Wörth drin g'fallen."

Der Alte sagt koa Wort und geht.
Er hebt sich an am Kasten,
Am Stuhl, am Tür'gschloß, an der Stieg'n —
Er muß a weni rasten.

Es gengant wohl viel tausend Leut,
Viel hundert Wag'» vorbei.
Der Vader sitzt no allweil dort. . .
„Drei Buabn und — alle drei!'"
 
Annotationen