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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0350
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8522

BeMeMne Anfrage.

Gefährlich ist der Deutsche
In jeglicher Gestalt,
Auch wenn er krumm und lahm ist
Und hundert Jahre alt,
Und ein geübtes Auge
Erkennt von weitem schon
Im Säugling, der die Windel näßt,
Den künftigen Spion.
Der Knall' im Fischerboote
Erfüllt das Herz mit Graus,
Er fängt nicht Dorsch noch Flunder,
Nein, Minen legt er aus!
Und schrecklich sind die Wolken,
Die hoch am Himmel stehn,
Denn in so einer Wolke steckt
Gar leicht ein Jeppelin!

In diesen Nöten gibt es
Kein andres Mittel jetzt,
Als daß man jeden Deutschen
Sofort gefangen setzt;
Man übe keine Schonung
Und keine Rücksicht mehr:
Ein Schweinstall sei sein Schlafgemach,
Dort frier' und hungre er!
Dem Völkerrecht zum Trotze
Wird dreist und ungeniert
Das Krankenschiff gekapert,
Das Deutschlands Flagge führt;
Das Note Kreuz? Ein Esel,
Der so was anerkennt!
Vom frommen Pöbel wird beschimpft
Der Arzt und der Patient. —

So hörte ich's — indessen
Mein Urteil ist nicht klar,
Denn, ach, ich bin ein Deutscher,
Ein Hunne und Varbar!
Drum wende ich an dich mich,
Du aller Tugend Bronn,
Du edles, tapfres, frommes,
Humanes Albion:
Laut rühmst du dich seit Jahren
Mit manchem stolzen Wort
Als Muster der Gesittung
Und als der Freiheit Hort —
Drum sag' mir, edler Brite
Als Gentleman und Christ,
Db solch Verfahren nicht gemein,
Brutal und feige ist?! ictzmsnn.

Wilhelm Metzger.


Der langjährige Vertreter des dritten Hamburger Reichz-
tagswahlkreises Wilhelm Metzger ist gestorben. Er war am
9. Mai 1848 in Ketzin a. d. Havel geboren, wurde Klempner
und ließ sich nach längerer Wanderschaft 1870 in Hamburg
nieder. Schon 1868 war er dem Lassalleanischen Allgemeinen
deutschen Arbeiterverein beigetreten und trat später zur
Eisenacher Partei über. Seit vielen Jahren war er als
Redakteur am „Hamburger Echo" tätig und wurde seit 1890
von den Hamburger Arbeitern des dritten Wahlkreises mit
stets wachsenden Stimmenzahlen in den Reichstag gewählt.
Feldpostbriefe.
VII.
Geliebte Elter»! Ehrgeiz und Verfressenheit
sind zwei Laster, aber manchmal haben sie auch
ihre strategischen Vorteile. Dies konnte ich letzten
Freitag an das Erlebnis des Einjährigen Meier
erkennen, der bei unsere Kompagnie steht und
in sein Zivilverhältnis Oberlehrer und hühner-
blind ist. Er trägt deswegen eine große Brille
und versteht alle Sprachen, sogar das Jurki-
sche, was von die Jurkas gesprochen wird,
welche, wie Ihr vielleicht in die Zeitung werdet
gelesen haben, ein sehr stolzes, kühnes und edles
Volk sind, das uns die Engländer aus Judien
mitgebracht haben. Meier hat schon öfters mit
sie gequasselt. Aber satt ist er trotz seine Ge-
lehrsamkeit während dem ganzen Feldzug noch

niemals geworden, und seine größte Sehnsucht
ist das Eiserne Kreuz. Ich glaube, der Mensch
wäre imstande, sich den Inhalt von eine ganze
Gulaschkanone zu Gemüte zu führen, ohne daß
er auch bloß eiu einziges Mal aufzustoßeu
brauchte. Die ganzen Monate hat er tagtäglich
wehmütige Briefe an sein Elternhaus geschrie-
ben, daß sie ihm doch um Gotteswillen möchten
was zu präpeln schicken; aber vergebens, ob-
gleich er der einzige Sohn ist.
Ihr werdet Euch jetzt den Zustand dieses
Einjährigen Meier vorstellen können, wie er
letzten Freitag plötzlich nichts weniger als fünf-
zehn Kisten beschert kriegt, die sämtliche mit
Lebensmittel angefüllt waren. Was seine Mut-
ter ist, die hatte nämlich jede Woche ein Paket
an ihm abgeschickt, aber was die Feldpost ist
— na, ihr wißt schon! Nun wurde ihm die
ganze Expedition auf einmal ausgeliefert, und
ich dachte mir schon, das Ereignis nimmt keine
günstige Wendung, denn der Einjährige machte
sich sofort au die Arbeit und war offenbar
entschlossen, sich die sämtlichen fünfzehn Kolli
ohne Aufenthalt in die Plauze zu schlagen. Aber
kaum hatte er die erste Kiste aufgemacht und
sein Seitengewehr gegen eine überlebensgroße
Dauerwurst gezückt, als ausgerechnet ein Sor-
timent von zwanzig Jurkas eingeliefert wurde,
die eben gefangen genommen waren und die
er vermittelst seine Sprachtalente sofort über
die Stellung der feindlichen Linien ausfragen
sollte, was für unser Oberkommando von die
größte taktische Wichtigkeit war. Also hieß es
Hahn in Ruh und raus mit die Vokabelkenut-
uisse! Der Einjährige war im ersten Augen-
blick tief erschüttert, aber er faßte sich bald,
denn die Gelegenheit schien ihm endlich ge-
kommen zu sind, daß er das Generalkommando
von seine dienstlichen Fähigkeiten überzeugen
und sich seine erste Auszeichnung erobern konnte.
Also ließ er seine Jurkas antreten und begann
das kriegerische Verhör. Aber es war aus die
Leute partuh nischt rauszuquetschen. Denn der
erste Blick auf die fünfzehn Präpelkisten hatte
die stolzen und edlen Söhne des Orients so-

fort von die Sachlage überzeugt. Sie leckten
sich die Schnauzen und sagten nischt wie „Hun-
ger!" Meiern blieb schließlich in seine Ver-
zweiflung nichts weiter übrig, als. sie durch
ein Festessen günstig zu stimmen; sein Ehr-
geiz siegte über seine Verfressenheit, und in
zehn Minuten war die Hälfte von seine heimat-
lichen Vorräte in dis exotischen Kaldaunen
verschwunden. Er ließ wieder antreten und
hoffte jetzt auf einen besseren Erfolg seiner
Gelehrsamkeit. Aber stellt Euch den Schreck
vor: wie er die Kerls durchzählt, sind von die
gelieferten Zwanzig man bloß noch Neunzehn
vorhanden! Einer hatte Meiern seine Hühner-
blindheit gemißbraucht und war nach erfolgte
Fütterung ohne Danke schön zu sage» meuch-
lings ausgekuiffen.
Geliebte Eltern, was so ein Ereignis bei
das Militär für Wirkungen anrichtet, da könnt
Ihr Euch als Zivilisten gar keine Vorstellung
von machen. Der Radau war derartig, als
wenn Vater Sonnabend abends nach Elfe zu
Hause kommt und Du, geliebte Mutter, ihm
Guten Abend sagst. Unser Feldwebel hatte
vor Wut Schaum vors Maul und Meier vor
Beschämung eine Träne ins Auge. Das Un-
glückswurm rannte mit seine große Brille vier
Stunden lang ins Gelände herum, um den
Entwichenen wiederzufinden, doch es war Essig.
Inzwischen fing es sachte an dunkel zu wer-
den, und wir bereiteten uns auf unser Nacht-
lager vor. Der Einjährige hatte natürlich
Strafwache zn schiebe» und stand auf vor-
dersten Vorposten. Aber kaum hatte» wir uns
gelegt, da geht mit einmal ein Lärm los, daß
das ganze Biwak wieder lebendig wird, und
vor unser» Hauptmann erscheint der Einjäh-
rige Meier und meldet, er habe dem Flücht-
ling wieder und noch zivöls andere unverwun-
deteJurkas gefangen genommen! Wir glaubten
erst, er hätle Frost in'» Kopp, aber er war
ganz gesund und die Sache stimmte. Dem
bewußten Jurka hatten Mutter Meiern ihre
Spickgänse derartig hingerissen, daß er dem
unabweisbaren Drang fühlte, diesen Genuß
 
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