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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 31.1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.8258#0367
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8539

Damals, als der Feuerbrand zu glimmen an-
fiug, der seitdem das Haus Europa in Braud
gesteckt hat, war in sein armseliges Hüttchen
der Verführer gekommen. Erst listig tastend,
ausfyrscheud, dann mit großen Worten und
noch größeren Versprechungen. Er hatte sofort
begriffen, was man von ihm wollte: den:
Feinde schaden, den er glühend haßte, mit dem
Hasse, den er von seinem Vater geerbt. Aber
als er hörte, daß man von ihm verlangte,
eine Bombe aus dem Hinterhalt zu werfen,
mit ihr Hunderten von Leuten den Garaus
zu machen, hatte sich doch sein Innerstes em-
pört. Psui, welch ein ehrenrühriger, verbreche-
rischer, heinitückischer, niedriger Auftrag! In-
dessen, der Mann mit den großen Gesten und
der aalglatten Zunge hatte schließlich alle Be-
denken verscheucht. Ehrenrührig? Wo es sich um
das Vaterland handelte, wo selbst Offiziere sich
nicht scheuten, Spionendienste zu verrichten!...
Verbrecherisch? Waren die Leute, die Kanonen
abfeuerten, Minen sprengten, Torpedos lösten,
Salven kommandierten, eine bessere Sorte
Mörder? . . . Heimtückisch? Hatte man nicht
überall in Lothringen den Helden des Hinter-
halts, den Männern im Bauerntittel, den
Franktireurs, Denkmäler gesetzt?... Niedrig?
Wo eine einzige Bahnsperrung Zehntausende
von Feinden vom Schlachtfeld feruhalten, einen
Sieg erzielen, vielleicht den Krieg entscheiden
konnte?... Nein, solch eine Tat konnte nicht
niedrig sein, -sie mußte in den Augen der
Nalion den Täter zum Helden stempeln, lind
wer brauchte es deun auch zu wissen, daß da
eine hübsche Försterstelle im b'orst cis In 8azs
n>ar, die den: erfolgreichen Bombenwerfer
nebenher zugesprochen werden würde, daß ir-
gendwo verbrieft und versiegelt 10000 Franken
lagen, daß Frau und Kinder reichlich versorgt
würden, wenn ein unerwartetes Mißgeschick...
Ja, dieses „Wenn" war nicht zu leugnen,
aber—sagte der Verführer die Gefahr würde
für ihn, den Orts- und Sprachkundigen, für
ihn, der reichlich Zeit hätte, den Anschlag vor-
zubereiten, für ihn, dem gewiegte Helfer zur
Seite stehen würden, nicht sonderlich groß sein,
unvergleichlich niedriger als bei jedem belie-
bigen Schlachtengange. Im übrigen: Frankreich
brauche seine Söhne, so oder so. . . .
lind Jacques Klein ging auf den Handel
ein. Alsbald mußte er sich in Dieuze als Ge-
legenheitsarbeiter verdingen, dort empfing er
auch nähere Weisung. Ein Mann, der sich in
eine Wolke von Geheimnissen hüllte, führte ihn
in einen Steinbruch inmitten des Walddickichts,
zeigte ihm die Stelle, wo Briefe zu finden und
zu hinterlegen seien, wo auch das Zerstörungs-
zeug lagerte, und unterwies ihn, die Spreng-
bombe anseinander zu nehmen, zu transpor-
tieren, zusammenzusetzen und zur Wirkung zu
bringe».
Drei Nächte hatte er dann gebraucht, um
unauffällig die einzelnen Teile an den Tatort
zu schleppen, Nächte voller Angst und Anstren-
gung, aber auch Nächte, denen Tage des freien
Aufatmens, der Begeisterung folgten, in denen
er in seine Aufgabe wie in etwas Heiliges und
Großes hineinwuchs, in denen er sich auch in
die qualvolle Wonne des Martyriums hinein-
lebte. . . .
Dann kam die Zeit, in der der Kriegsausbruch
von der Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit, von

der Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit wurde.
Wie wogte da in dem kleinen Grenzstädtchen
der Streit der Parteien! Hie Frankreich, hie
Deutschland! Und was Jacques Klein da von
den Führern der politische» Richtungen hörte,
waren nicht nur Improvisationen, von der
Minute geboren, es waren Meinungen, die
im jahrzehntelangen Wortkampf gehämmert
worden waren.
Ultrafrauzösisch gesinnt war Chrysosiome
Hauptmann, der sich pers Chrysosiome nennen
ließ. Seine Sippe war 1871 nach Nancy aus-
gewandert, er aber Hatto sich nicht trennen mögen
von dem Haus seiner Väter, auch hielt er sich
für berufen, das heilige Feuer der Liebe zu
dem französischen Vaterlande im Volke zu
lodernder Flamme zu schüren, die Fäuste ge-
gen die Usurpatoren geballt zu erhalten. Als
Korporal der algerischen Schützen Halle er bei
Weißenburg und Wörth mitgefochten. Wenn
er von diesen seinen Ruhmestaten erzählte,
dann rauschten seine Worte wie ein Gebirgs-
bach, seine Arme fuchtelten wie Dreschflegel,
und seine Augen unter den buschigen weißen
Brauen sprühten Feuer. Da wurde selbst die
Schlacht bei Weißenburg eine französische
Ruhmeslat. Wie herzlich er lachte, wenn er er-
zählte, wie sie, ein schwaches Häuflein, die Spitzen
einer ganzen Armee auf sich gezogen hätten.
Wenn nur MacMnhon zur Stelle gewesen wäre!
Aber der fehlte, wie nachmals bei Wörth Failly
fehlte, als sie, die letzte Reserve, den Menschen-
wall um Fröschweiler gesprengt hatten.
Diese Episode bedeutete den Höhepunkt in
den Schilderungen von psrs Chrysostome. Man
sah sie zum Greifen, diese Turkos, wie sie in
langen Sätzen, wilden Tigersprüngen, mit hoch-
geschwungenen Flinten, buntfarbig, schreiend,
die Zähne gefletscht, über die Felder wetterten


rind nur allein durch den Elan dieses Angriffes
panischen Schrecken beim siegesfrohen Gegner
bereiteten. Bis der bleierne Hagelschauer aus
den Züudnadelgewehren und der Wolkenbruch
von Artilleriegeschossen auch diese Braven auf
den Rasen streckten. Nein, ganz gewiß, der
französische Soldat von 1870 war nicht besiegt
worden, nur das unselige. System. Aber die
wundervolle Armee Neufrankreichs würde den
Erbfeind niederringen, würde Revanche neh-
men, würde der Mutter I-u bstsncw zwei ent-
rissene Kinder zurückgeben.
So etwa sprach psrs Chrysosiome; und doch
— das Häuflein seiner Getreuen schmolz in
diesen Tagen zusehends, während die Freunde
der Neuordnung das Übergewicht erhielten.
Achills Constant gehörte zur jüngeren Gene-
ration. Er hatte Deutschland als Handwerker
gründlich kennen gelernt und dabei war aus
dem Lothringer ein überzeugter Deutscher ge-
worden: so kam es, daß er in seiner Heimat-
stadt Stimmung für das Deutschtum machte:
Kameraden, führte Constant aus, psrs
Chrysostome hat recht: das französische Heer
ist dank der unvergleichlichen Opferwilligkeit
der Nalion militärisch sehr stark geworden!...
Der französische Soldat ist voll unwidersteh-
lichem Elan, doch denkt auch an die Tage
nach Wörth, nach Sedan, wo in kurzer Zeit
alles zusammenbrach! Und gesetzt den Fall,
Frankreich erwüchse wiederum ein Napoleon,
eine Jean d'Arc, die Elsaß-Lothringen zurück-
gewännen. Was dann? Dann würde unser
unglückliches Heimatland wiederum sehr bald
der Schauplatz eines unsagbar schweren Rin-
gens werden, schlimmer als je.
So hatte Achills Constant gesprochen, und
seine Anhängerschaft war stets gewachsen.
Das also waren die Leute, für deren Be-
freiung Jacques Klein sein Leben einsetzen
wollte! Aber er mußte ja schweigen, so war
es ihm eingeschärft, schweigen, um seine wichtige
Mission nicht zu gefährden.
Da knarrt die Türe, man packt ihn, führt
ihn vor die Richter. Und sogleich erfährt er
auch, daß er verloren ist, weil der Hund seine
Spur bis zu dem Schauplatz des Anschlages
ausgenommen hat, er also überführt ist.
Merkwürdig, wie wenig tief ihn das trifft.
Wohl weil er sich seit Wochen eingesponncn
hat in den Gedanken, dem möglichen Tode als
Mann, als Franzose eutgegenzusehen. So setzt
er deun jeder Frage nichts' als ein verstocktes
Schweigen entgegen.
Doch einmal wird er schwankend: „Sag uns,
ivaS du weißt von Spionen und Agenten, und
du rettest dir das Leben, erwirbst dir Geld."
Er ringt mit sich. Die Sonne scheint so schön.
Er denkt an Frau und Kinder, er denkt an
Ruhe und Sattwerden, er denkt aber auch an
Vater und Mutter, die um des Vaterlandes
willen die heimische Scholle verlassend ins
Elend zogen, er denkt an Ehre und Schmach,
und wieder preßt er die Lippen zusammen
und schweigt.
Und als nach Stunden hinter der Forsthaus-
mauer acht Gewehrläufe sich auf ihn richten,
als das Kommando „Legt an!" ertönt, da Hilst
ihm über die bange Not der Sekunde der
Ausruf „Vivs In Brunes!" hinweg.
 
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