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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0011
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8567

Das Eiserne Kreuz.

Er schrieb mir, daß er verwundet zurück-
käme; ich möchte ihn doch auf dem Bahnhof
erwarten.

Mit vielen Hunderte» stand ich dort und
wartete auf den Verwundetentransport. Als
einer der letzten verließ mein Freund den Zug.
Ein Sanitäter führte ihn, unter dem rechten
Arm hatte er eine Krücke. Sein langer Mantel
verbarg seine Verletzung.

In einer Droschke fuhr ich mit ihm nach
Hause. Unterwegs sagte er nur: „Ja, das Bein
ist vom Knie ab weg!" Dann schivieg er.

Daheim half ich ihm aus dem Mantel. Er
trug am Waffenrock das Eiserne Kreuz. Bald
lag er bequem gebettet. Nachdem er mit recht
gutem Appetit gegessen hatte, zündete er sich
eine Zigarre an. Und nun erzählte er:

„Der Krieg, Sepp, darüber schiveigt man
am beste». Ich Hab' das Eiserne Kreuz an der
Brust und ein Stück Bein zu wenig. Das
Eiserne Kreuz verdient man nicht leicht. Bei
einem gefährlichen Patrouillengang
bi» ich dazu gekommen. Die Geschichte
hat am andern Tag vielen Menschen
das Leben gekostet."

Er schwieg und starrte eine Weile
zur Decke des Zimmers hinauf. Dann
fuhr er fort:

„Das Bein, Sepp, ist eine andere
Sache!" Über sein bleiches Gesicht
ging ein frohes Leuchten.

„Wir lagen im Schützengraben, da
an der Marne herum. Tie Franzosen
hatten einen Sturm unternommen —
alle Ehre! Aber unser Schnellfeuer
und unsere Maschinengewehre haben
sie nur so hingemäht. Das ist etwas
Schauerliches! Bis kurz an den Gra-
ben kamen sie heran, aber weiter
nicht. Da lagen sie nun, Hunderte
von Menschen, tot und verwundet.

Wir hätten den Verwundeten gern
geholfen, aber eine französische Bat-
terie nahm uns unter Feuer. Wir
konnten nicht aus unserem Graben
heraus.

„Sie schossen zivar zumeist ein biß-
chen kurz und haben bei ihren eige-
nen, vor uns liegende» Verwundeten
mehr Schaden angerichtet als bei
uns. Keine dreißig Schritte vom
Graben lag ein Franzose; ich konnte
sehen, daß er noch ein junger Mensch
>var. Er streckte die Arme empor, und
ich hörte ihn in all dem Getöse
schreien. Mir hat's das Herz zer-
rissen, den armen Kerl da liegen zu
sehen, dem sicheren Tode ausgesetzt,
lind ich konnte nicht helfen! Auf ein-
»>al hat's in mir geradezu geschrien:

Du mußt! Und ich kletterte trotz dem
Geschrei meiner Kameraden aus dem
Graben und kroch auf allen vieren
zu dem Menschen hin. Kam auch zu
ihm, stand auf, packte ihn und rannte
mit ihm ztirück. Es ging ums Leben;
denn um mich prasselte es, als wäre
die Hölle los. Kam auch bis auf ein
paar Schritte an den Graben, da
trachte es hinter mir, und ein Granat-

splitter zerschmetterte mir das Bein. Ich schlug
nach vorne hin und verlor das Beivußtsein.

„Als ich wieder zu mir kam, lag ich im
Graben und der Franzose auch. Der Feld-
webel stand bei mir und sagte: ,Das haben
Sie nun weg - - Sie Dummkopf!' Aber er
drückte mir die Hand.

„Am Abend kam ich mit dem Franzosen
ins Etappenlazarett. Mir nahmen sie gleich
das Bein am Knie ab; der Franzose hatte nur
einige Fleischschüsse. Wir lagen vier Wochen
nebeneinander — ich und der Franzose. Wohl
tausendmal hat er mir von seinem Bett aus
die Hand herüber gereicht und gesagt: ,Ah,
mon camarade!'

„Siehst du, das hat mich das Bein ver-
gessen lassen. Ich Hab' jetzt meine zwei Eiser-
nen Kreuze."

Erzeigte auf seine Brust: „Das ist das zweiter
Klasse!" Dann wies er auf seinen Beinstumpf:
„Und das ist das erster Klasse!"

Und ein wehmütiges Lächeln huschte über
sein Gesicht. So.

Russischer Patriotismus.

Von Leo Tolstoi.

Wie in Rußland Kundgebungen des Volkes
von oben herab künstlich „gemacht" werden,
schildert Leo Tolstoi einmal in folgender Weise:
„Der Enthusiasmus der Menge wird zumeist
künstlich von jenen hervorgebracht, die it»n
brauchen, und der Grad der von der Menge
zur Schau gestellten Begeisterung ist nur ein
Schlüssel zu de:» Raffinement ihrer Kunst.
Diese Kunst wird schon lange Zeit geübt, und
daher haben die Spezialisten darin eine große
Geschicklichkeit erlangt.

„AlsAlexanderII.noch Thronfolger war und,
ivie es Herkommen ist, das Preobaschensky-
regiment kommandierte, stattete er einmal deili
Regimente, das sich damals im Lager befand,
einen Besuch nach Tisch ab.

„Sobald seine Kalesche in Sicht kam, liefen
die Soldaten, die sich damals nur im Heinde
befanden, hinaus, um ihren „erhabenen Kom-
mandanten", wie die Phrase lautet, mit Ent-
husiasmus zu begrüßen. Alle rannten
dem Wagen nach, und viele schlugen
während des Laufes, den Prinzen
anblickend, das Kreuz. Alle, die dem
Empfange beiwohnte», waren von
dieser einfachen Anhänglichkeit des
russischen Soldaten an den Zaren und
seinen Sohn und durch die echt reli-
giöse und offenbar spontane Begeiste-
rung, die sich in ihren Gesichtern,
Bewegungen und durch das Kreuz-
schlagen ausdrückte, tief gerührt.

„Aber all dies war in folgender
Weise künstlich vorbereitet worden.

„Nach einer Revue am vorher-
gehenden Tage teilte der Prinz dem
Brigadekommandanten mit, daß er
das Regiment am nächsten Tage noch
einmal inspiziere» würde.

„,Wann haben wir Eure kaiserliche
Hoheit zu erwarten?"

Wahrscheinlich abends, aber bitte,
nnch nicht zu erivarten, cs sollen
auch keine Vorbereitungen getroffen
werden.'

„Kaum ivar der Prinz fort, so be-
rief der Brigadekommandant alle
Hauptleute zusammen und gab den
Befehl, daß am nächsten Tage alle
Soldaten reine Hemden anzulegen
hätten und in dem Momente, wo der
Wagen des Prinzen in Sicht käme (zu
diesem Zivecke sollten besondere Be-
obachter ausgestellt werden), sollten
alle ihm cntgegenlaufen, mit Hurra
rufen Nacheilen und jederzehnteMann
einer jeden Kompagnie sich bekreuzi-
gen. Die Fähnriche stellten die Kom-
pagnien auf und kommandierten jeden
zehnten Mann, sich zu belreuzigen.
„Eins, zwei, drei ... acht, neun, zehn
— Sirodenko, Du hast Dich zu bekreu-
zigen. Eins, zwei, drei ... Jwanov,
bekreuzigen!"

„So wurde der Befehl ausgeführt,
und der Prinz und alle, die es sahen,
sogar die Soldaten, Offiziere, der
Brigadier selbst erhielten den Eindruck
einer spontanen Begeisterung."
 
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