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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0014
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8570

Eine Silvester-Bekehrung.

Als Herr Felix Zuckermann am 31. Dezember
in den Zug stieg, tauchte noch einmal das ge-
rötete Gesicht seines alten Stammtischfreundes
Wolf vor ihm auf: „Also wir sehen dich doch
heute abend bestimmt bei uns zu Hause zum
Silvesterpunsch?"

„Natürlich! Wenn sie mich in Zossen nicht
auch internieren - "

Der Zug nach Zossen fuhr ab. Herr Zucker-
mann dachte gar nicht daran, sein Versprechen
zu erfüllen. Er gehörte zur Klasse der „eiser-
nen" Junggesellen, die alle Attacken auf ihr
Herz hartnäckig abschlagen. Und bei Wolfs
warteten vier Töchter bei der Silvesterbowle
ans ihn-* . *

Nach einer Stunde hielt der Zug. Heute
stieg nur ein kleiner Trupp Menschen aus, um
sich das Gefangenenlager anzusehen.

Er nahm einen Wagen, der ihn rasch durch
die kleine Stadt über den Kanal hinweg zu der
Barackenstadt führte, wo die Kriegsgefangene»
hausten. Herr Znckermann war mit ungefähr
dem gleichen Gefühl hierhergefahren, mit dem
man einer Hagenbeckschen „Völkerschau" ent-
gegenstrebt.

Aber es gab nichts Absonderliches hier zu
sehen. Keiner der Gefangenen kümmerte sich
um ihn. Engländer in Khakiuniform, kleine
stämmige Belgier, rothosige Franzosen gruben
und rodeten. Sie sprachen viel miteinander
und lachten sogar.

Dies Lachen mißfiel Herr» Znckermann aufs
äußerste. Ist das eine Gefangenschaft? dachte
er — na, wartet, wenn ich euer Gouverneur
wäre! Und seine dürftige Phantasie malte sich
eine ganze Menge handfester Schikanen aus,
mit denen man sie ein bißchen kürzer halten
konnte.

Einige Afrikaner hüllten sich frierend in ihren
iveißen Burnus. Ihre Gesichter sahen kaum
aus den Falten heraus. Haha, friert nur! froh-
lockte Herr Zuckermann, das geschieht euch ganz
recht, ihr schwarzen Halunken!

Eine Schar Russen zerkleinerte Holz. Ihre
Gesichter zeigten keine Spur von Zerknirschung,
eher eine grenzenlose Gleichgültigkeit gegen ihr
Geschick. Herr Znckermann hätte ihnen gar zu
gern ei» paar Bosheiten zugerufen, die sie
ärgern konnten. Alber einmal reichten seine
russischen Kenntnisse nicht weit, und dann sah
jener Wachtsoldat nicht so aus, als ob er ihn
das Verbot, mit den Kriegsgefangenen zu
sprechen, übertreten lassen würde.

So begab er sich denn ans den Heimweg
und schmiedete im Eisenbahnwagen an einem
„Eingesandt" für sein Leibblatt, das eine schär,
fere, strengere Behandlung der KriegSgefange-
nen forderte. , ,

Die kleine Tour in der frischen Luft hatte
das Bedürfnis nach einer ordentlichen Stär-
tung und Erwärmung in ihm geweckt. In
seinein Stammlokal war alles leer. Mißmutig
saß er auf dem Ledersofa am Stammtisch. Erst
der Glühwein weckte seine gute Laune. Beim
dri ten Glas lehnte sich Herr Zuckermann be-
haglich zurück und schlief, die Hände über dem
Bauch gefaltet, ein bißchen ein.

Da öffnete sich die Türe und ein Franzose
trat ein und rüttelte ihn. Wahrhaftig, es war
die starkfarbige unpraktische Uniform des Erb-
feindes! Das ging doch über alle Begriffe, daß
man die Kerls auch hier in Berlin frei her-
umlaufen ließ. „Herr Wirt!"

Aber ehe sich jemand sehen ließ, stand der
Franzmann schon an seinem Tisch und sagte:
„Geben Sie sich keine Mühe, Monsieur Zucker-
mann! Hier wird uns niemand stören. Be-
antworten Sie mir die Frage: Waren Sie
schon einmal in einer Schlacht?"

„Nein. Ich bin Landsturm ohne Waffe," ent-
gegnete Herr Zuckermann und er wunderte
sich selber über den höflichen Ton seiner Ant-
wort.

„Sehen Sie, das dachte ich mir. Sonst hätten
Sie heute andere Gedanken über unsere Be-
handlung gehabt. Wissen Sie, wieviel von
meinem Bataillon übrig geblieben sind? Hun-
dertvierundfünfzig Mann! Die anderen kamen
ins Kreuzfeuer der deutschen Artillerie. Wissen
Sie, was das heißt, seine Brüder, seine Kame-
raden ringsum fallen zu sehen, ohnmächtig deni
Geschoßhagel ausgesetzt zu sein und sich dann
gefangen geben gu müssen, da die letzten Pa-
tronen verschossen sind — und alles ohneZweck,.
ohne seinem Lande auch nur den geringsten
Dienst damit geleistet zu haben? Bekommen
Sie aus Ihrer behaglichen Ruhe heraus es
ivirklich fertig, uns wie Verbrecher zu behan-
deln? Schämen Sie sich, Monsieur Zncker-
mann!"

„Alber erlauben Sie mal —!"

Er kam nicht weiter. Denn das Lokal füllte
sich mehr und mehr mit Kriegsgefangenen aller
Waffengattungen und aller Nationen.

Die weihe Fahne in der
Neujahrsnachl.

„Sie, warum winken Sie denn immer mit
dem Taschentuch?"

„Na, Herr Wachtmeester, sehn Se denn »ich,
det ick mir iberjeben will?!"

„Haben Sie einmal eineFlucht wie die unsrige
mitgemacht?" fragte einerin belgischer Uniform.
„Win mußten Woche für Woche känipfend zu-
rnckgehen. Es ging in immer schnellerem Tempo,
so daß Proviant und Kleidung zu fehlen be-
gannen. Meine Vaterstadt ist zerschossen, mein
Haus, das ich mir mit meinen letzten Erspar-
nissen mühsam aufgebaut habe, ist in Flammen
aufgegangen. Und ich habe keine Ahnung,
warum das alles war, ob das Kämpfe» und
Zerstören nötig war oder nicht! Ich ivciß nur,
daß mein Geist halb zerstört ist von den Schreck-
nissen der Kämpfe und der Flucht, und daß
mein Körper nie mehr ganz gesund werden
wird! Denken Sie jetzt noch immer so niedrig
von den Kriegsgefangenen?"

Felix Znckermann sah sich hilfesuchend um.
Wo blieb denn nur der Wirt oder der Kellner?
Er mußte zum Telephon, um militärische Hilfe
herbeizurufen.

Da legte ihm einer im dunkelgrünen Mantel
die Hand auf die Schulter: „Bleiben Sie nur
hier und hören Sie lieber, wie wir Russen
zum Krieg kamen. Ich wurde mitten auS der
Landarbeit herausgerissen. Kein Mensch fragte,
ob mein"Weib und meine Kinder nun auch
ohne de» Ernährer etwas zu essen bekommen
oder ob sie verhungern würden. Es hieß, wir
gingen zu einem Manöver, sonst hätten wir
»ns wohl gewehrt. Erst an der Grenze wußten
wir, daß es in einen Krieg ging, dessen Grund
ivir nicht kannten und dessen Ausgang uns
gleichgültig war. Unsere Offiziere trieben uns
mit Drohungen und Gewalt in die Schlacht.
Und als auch das nicht immer half, wurden
hinter uns Maschinengewehre anfgefahren. So
kämpften und litten wir für eine Regierung,
die für uns nur Willkür und Unterdrückung
übrig hat. Haben Sie, der Sie sich einen
Christen nennen, wirklich nicht mehr Mitgefühl
für uns übrig?"

„Ja, ja," sagte Herr Znckermann, dem der
Angstschweiß auf der Stirne stand. „Aber was
sagen Sie zu dem Engländer da und dem
Neger?"

„Der Engländer da hat sich anwerben lassen,
weil ihn sein Chef entlasse» hatte und er sonst
verhungert wäre. Den Neger dort haben sie
gar nicht gefragt, sondern wie Vieh aufs Schiff
geladen und hierher transportiert in ein für
ihn mörderisches Ktima. Nun ist es aber die
höchste Zeit für Sie, sich zu bekehren und in
all Ihren nationalen Feinden auch Menschen
zu sehen! Sind Sie bereit, Ihr geplantes,Ein-
gesandt" über die zu milde Behandlung der Ge-
fangenen Ihrem Ofen einzuverleiben?"

Hundert drohende Blicke durchbohrten ihn....

„Zu Hilfe!" schrie Herr Zuckermann gellend
und — erwachte an seinein eigenen Schrei.

Vor ihm stand sein alter Freund Wolf. „Also
hier findet man dich? Eingeschlafen und träu-
mend? Und bei uns zu Hause wird der Sil-
vesterpunsch kalt! Nun aber forsch. Na, wie
rvar's denn in Zossen?"

„Ganz nett," entgegnete Felix Zuckermann
langsam. „Und weißt du, was mir dort am
besten gefiel?"

„Na?"

„Daß sie die armen Teufel da so menschlich
behandeln!"
 
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