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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0026
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8582


Zarte Seelen.

Sie sprachen so viel von der Kultur,

Zu der sich Europa erhoben,

Sie standen auf höchstem Gipfel schon
Der Weltgeschichte droben.

Sie hatten errichtet ein Himmelreich
Bon chemisch reiner Ethik
Und hatten es trefflich ausgeschmückt
Mit rosig blüh'nder Ästhetik.

Sie hatten sich künstlich verstopft das Ohr.
Um ihre Nerven zu schonen.

Und jetzt wird gesprengt ihr Trommelfell
Vom Donnerschlag der Kanonen. ?i.

Berlin im Kriegszustände.

Wahrheitsgetreuer Bericht des Korrespondenten
der londoner „Times".

Mit Hilfe eines gefälschte» Passes bin ich
gestern in Berlin eingetroffen. Die nngliickliche
Stadt bietet einen trostlosen Anblick, der selbst
das Herz eines Feindes erschüttern must. In»
Gegensatz zu der würdigen und seelenvollen
Einsamkeit, die jetzt das Strastenlcbe» von
London und Paris charakterisiert, herrscht in
Berlin ein krankhaft »nslates Treiben. Alle
Läden und Rcstanrants sind geöffnet, auf den
Trottoirs und in den Straßenbahnen drängt
sich von früh bis spät eine nervöse Menge,
die in hastiger Eile den Fabriken und Bureaus
znstrebt, ivo sie in aufreibender Arbeit das
Schreckliche ihrer Lage zu vergessen sucht. Jin
Gegensatz zu London brennen hier nachts alte
Straßenlaternen, denn die Dunkelheit, die der
von ständiger Todesangst überreizten Phan-
tasie entsetzliche Schreckbilder vorgankelt, würde
den aufgeregten Berlinern unerlräglich sein.

Eine ganz besondere Furcht herrscht hier
vor der englischen Flotte, deren Eintreffen man
jeden Augenblick erivarlet. Ans den jetzt von
Eis bedeckten Geivässern der Ningegend von
Berlin drängt sich Tag für Tag eine zahllose
Menge sreiivilligerWachnrannschaften beiderlei
Geschlechts, die auf Schlittschuhen planlos hin-
>:nd herlaufen und nach deni Horizont spähe»,
um das Herannahen unseres Geschwaders recht-
zeitig dein Generalstab metben zu können.

Unheilbar ist die Spaltung zivische» Nord-
und Süddentschland, die durch de» Krieg her-
beigeführt worden ist. Man bereitet sich hier
energisch ans einen feindlichen Einfall nament-
lich der schwäbischen Armeekorps vor. Das;
man dabei in de» Abwehrmitleln nicht iväh
lerisrh ist und selbst zum Gift seine Zuflnchi
nimmt, wird keinen Kenner der preußischen
Barbarenseele i» Erstaunen versetzen. So habe
ich mit eigenen Augen i» zahlreichen Apotheken
Plakate hängen sehen, auf denen „Unfehlbare
Bcrlilguugsmiltel gegen Schwaben" mit znni
scher Offenheit angepriesen werden.

Uber die wahre Kriegslage herrscht bei den
Berlinern vollkommene Unwissenheit. Die Un-
glücklichen haben, wje ich in zahlreichen Ge-
sprächen feststellte, keine Ahnung von den an-
dauernde» russischen Siegen in Pole», sie wissen
nichts davon, daß die Franzosen noch vor dem
ersten Februar bestimmt Belgien zurückerobern
und daß die englische Regierung dann.sofort
in Berlin den Frieden diktieren und das deutsche
Volk mit einer ungeheuren Kriegskonlribution

belegen ivird. Dagegen sieht man hier noch
immer das Bild v.Hindenburgs, jenes preußi-
schen Generals, der bekanntlich beim Beginn
des Krieges die deutsche Heeresleitung durch
lügenhafte Siegesmeldungen irre führte, jetzt
aber schon seit mehreren Monaten als russischer
Gefangener in den sibirischen Bergwerken nütz-
lichere Arbeit verrichten muß. Bon dieser Tat-
sache, die dank der zuverlässigen Berichterstat-
tung der englischen Presse jeden. Londoner
Straßenjungen seit langem bekannt ist, hat
keiner der unglücklichen Einwohner Berlins
bis heule eine Ahnung!

Durch Zufall inachte ich heute vormittag
eine sehr interessante Bekanntschaft. In der
Nähe des Görlitzer Bahnhofs bat mich ein
distinguiert aussehender Herr um Feuer für
seine Zigarre und begann mit mir ein Gespräch.
Es stellte sich heraus, daß der Fremde der
einflußreiche . Berliner Korrespondent des süd-
deutschen Weltblattes „DerWahreJacob" ivar.
Herr Gotthilf Rauke, so ist sei» Raine, gab
mir in, Laufe der Unterhaltung eine Fülle
wertvoller Mitteilungen über innerpolitische
deutsche Zustände. Doch nun kam das Schauer
liche. Herr Rauke führte mich in sei» Früh-
stücksrestaurant, wo sich die Elite der diplomn
tischen und militärischen Aristokratie Berlins
zu versammeln pflegt.

Hier lernte ich dann Herrn Rankes Freund
Eduard kennen, der als General des Land-
sturms das Heerlager zu Döberitz befehligt und
an einen, unbedeckten Tische sitzend sei» ans
Sauerkraut und einem gepökelten Fleischstück
bestehendes Mahl verzehrte. Ich ivollte mir
schon dasselbe Gericht bestellen, als mich der
General noch rechtzeitig über Beschaffenheit
und Herkunft desselben aufklärte. Täglich, so
erzählte er i» leichtem Plaudertone, sterben
hunderte von gefangene» Engländer» in den
Konzentrationslager», und ihre Leichen iverde»,
»», der herrschenden Fleischnot zu steuern, »ach
Berlin geschafft und hier doch die Feder
sträubt sich, das Entsetzliche niederzuschreibe»!
Da die Leichen in gefrorene», Zustand trans-
portiert werden, nennt man das fürchterliche
Gericht „Eisbein". Ich ivollte es erst nicht
glauben, aber die charakteristischen blonden
Haare, die ich »och hier und da aus der Haut

Vorsorglich.

„Ru, Herr Pariser, ,vollen So jetzt Ihren Name»
noch weiter behalten?"

„Wissen Sc waS, ich wer' mich verdaitschc» uns
,rcr' mir!) nennen: Berliner!"

der Fleischslücke erblickte, ließen keinen Zweifel
daran auskomme», daß ich tatsächlich Überreste
meiner unglücklichen Landsleute vor mir sah!
Ein kalter Schauder faßte mich, und ich eilte
säst besinnungslos ans den. Lokal, verfolgt von
dem brutalen Hohngelächter der preußische»
Menschenfresser.

Unglückliche Stadt, unglückseliges Land, in
de», noch solche Zustände möglich sind, wann
wird dir die Stunde der Befreiung schlagen?

Archibald B. Sheepshead.

Glossen.

Ein physikalisches Problem drängt sich uns
jetzt auf: Not, Orange, Gelb, Grün, Blau,
Violett geben zusammen das Sonnenlicht. Wird
»u» ans den Orange-, Not-, Gelb-, Grün- und
Blaubüchern auch das sonnenklare Licht der
Wahrheit hervorgehen?

Ein freies.Volk solle» wir werden, - so h tt
es der Reichskanzler angekündigt. Wie wir
hören, haben die Agrarier unter Berufung
hierauf von der Regierung die Befreiung vom
Zwang der Höchstpreise gefordert.

Auch in Rußland liegt das wirtschaftliche
Leben danieder, lim nun wenigstens der Holz-
industrie. aufzuhelfen, hat die Regierung eine
größere Lieferung an Galgen ausgeschrieben.

Ein Austausch von Liebenswürdigkeitc» fand
kürzlich zwischen zwei feindlichen Heerführer»
statt. Rennenkanipf und Potiorek tauschte» vor
versammeltem Kricgsvolk die Zylinderhüte.

Soldatenhumor im Felde.

G'stanzl» aus der Weihnachtszettung für das
2. Bayerische Landstur,».Infanterie-Bataillon
München, t. Kompagnie.

Redaktion und Bcrlag von E.Ti »er, Roubaix.

A MUtzn für'» Landsturm war's ursprünglich nur.
Doch jetzt ist's die schönste Schwannnerlknltnr,
Wannst davo a G!atz» kriagst, »acha kei nurgrad stad,
Dö Pcructn, dös brauchst, zahlt der boarische Staat.

A Joppe» and Loden von Isidor Bach,

BatS di a mal ansrörkst, »acha gibt's an Mordskrach.

An den Stiejin die Sohl'» fan a niina stark.

Was willst a me)r Hab'» für dritte zwölf Mark.

Dö Hosen san zünfti aus hellblauem Tuach,

Weil's Bänchcrl >s g'schwnnd», san's uns jatz weit
g»»a.

Iwoa Hemd» sa» z'weni für dö Dauer des Kriags,
Drum innaß i jatz schau», daß i a Waschmadl hcrziag.

Am Lff'n i» Frankreich >s allweil »öt vui g'lcg».
Mir Hab'» halt boarische, n»d koanc französische
Mäg».

Da Siotwei >s guat, er hilft ertrag'» uns dös Leb'»,
Rur müatz ma's erreich'», daß »ns öfter oa» gcb'n.

Das Verlade» von Wci ls kolossal schwer.

Wo käme» denn sunft dö Rausch der Bereitschaft
alt her.

Im Kriag guit gleich, hoastt's, a jede Religion,
Beim Proviantamt gibt's scho nur oa Konfession.

Im Quartier schan» do oa» anfs Este» und a» Wci»,
Dö ander» fa» liaba dort, wo Madl tuan sei».

Do oa» san do, wv's am Tag Ham v»i Plag,

Mia Hab'» abn oa, dö nix inan am Tag.

Jatz iS ab» Zeit, daß i komme zum Schluß,

De»» wenn i mach weiter, »acha gibt's an Verdruß.
 
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