Im Schneesturm.
Wie eine langgestreckte Kulisse schob sich der
dunkle Nadelwald vor das hügelreiche Gelan-
der. Schwarz und düster lag die stille Wal-
dung in der reinweisten Winterlandschast.
Drinnen im Walde zitterten und glitzerten die
Eiskristalle ain überschneiten Geäste wie reines
Silber auf schwarzein Untergrund.
Da zog ein dumpfes, langgezogenes Heuleir
durch den Wald. Die dürren Aste ächzten, als
der Sturm an ihnen rüttelte. Er fuhr mit >vil-
dem Gebrause um die uralte» Stämme, warf
sich unbändig in die Bailinkronen und trieb
schneeflauinige Wolken vor sich her. Unzählige
Eissternlein tanzten einen rasenden Reigen,
bis sie der heulende Sturm auf große Hansen
zusammentrieb. Drüben an den Kirchhofmauern
brachen sich die Sturmivellen, tanzten um die
verschneiten Grabhügel und fegten schließlich
seitwärts ins freie Feld. Am Waldessaum ent-
lang waren Schützengräben ansgehoben. Die
s eldsoldaten hoben die Köpfe, horchten dem
Getöse und fühlten sich geborgen vor der
schneidenden Kälte des Sturmes, der dort im
Walde wetterte.
Fünfzig Meter tiefer im Wald kauerte ein
einsamer Mann im dichten Kleinholz. Er saß
ans einem Baumstumpf, das schußbereite Ge-
wehr im Arm. Das dichte Gestrüpp ringsum
schützte ben Einsamen halbwegs vor dein
ivütenden Anprall des Schneesturmes. Nur
zivischendrein ivarfen ihm die Sturmwellen
eisige Schneesplitter ins Gesicht.
Da, horch! Durch das Geheul des Sturmes
klangen die harten, gleichmäßigen Schritte von
Soldaten. Dort hinten vom Waldweg kamen
sie her. War'S Freund oder Feind? Viel-
leicht die Ablösung! Richtig, zwei Feldgraue,
also Kameraden, llnd der einsame Posten freute
sich schon im stillen auf die primitive Begnem-
lichkeit im Schützengraben. Aber seine beschei-
dene Sehnsucht wurde nicht gestillt. Der Mann
erhielt Befehl, einigeHundert Meter vorwärts
einen geeigneten Auslug zu besetzen. Also schul-
terte der Einsame das Geivehr, grüßte die
Kameraden, die seine Stellung einnahmen, und
marschierte vorwärts.
Der Sturm ließ nach, nur vereinzelte Wind-
stöße fuhren noch durch den winterlichen Wald.
Aus dunklen, fernen Höhen sielen dichte Flocken
auf die Lande der Menschen. Da und dort
blitzte das ewige Licht der Sterne, bis es
schließlich im nebligen Grau langsam ver-
schwamm. Der Marschierende bahnte sich müh-
sam einen Weg aufwärts zur schneelichten
Bergkoppe. Droben fand er eine windfreie
Mulde, die er sich zum Ausguck wählte. Vorn
das niedere Gestrüpp diente zur Deckung. Da-
hinter grub er sich in den Neuschnee ein.
Rings um den Lauschenden ivar feierliche
Ruhe. Es war nun ganz ivindstill, nur da-
zwischen einmal das leise Knacken eines dürren
Astleins, ans dem der Schnee lastete, bis es
brach. In dieser Einsamkeit überkamen den
Soldaten die Gedanken an die Heimat. Beim
Anblick des stillen Ortes vor ihm da unten im
Tal kamen die Erinnerungen an das Heimat-
dörflein. An die Jugendzeit! Und war sie auch
zehnmal voll Armut und Elend, es ivar doch
ein schönes Erinnern an die Zeit der sorglosen,
lebensfreudigen Jugend. An unschuldiges Kin-
derspiel und reine Kinderherzen.
Ihr folgte die rauhe Zeit mühevoller Land-
arbeit, die Trauer um den Verlust der Eltern,
und schließlich die Stadt, die Fabrik mit neuen
Bildern, Hoffnungen und Zielen. Das Leben
in der Kaserne, die unvergeßliche Zeit der ersten,
tiefen Liebe. Die Aussicht auf ein trautes, eignes
Heim, das der Tod mit rauher Hand zerstörte,
indem er die Braut in sein dunkles Reich holte.
Das war ihm dainals hart ans Gemüt ge-
gangen. In emsiger Arbeit suchte er zu ver-
gessen, dein Schicksal zu trotzen. Nach voll-
brachter Pflicht in der Fabrik gab manches
gute Buch ihm Erholung und innere Ruhe.
Die Kollegen, die Kameraden boten ihm Ab-
wechslung und harmlose Geselligkeit. Wo moch-
ten sie jetzt >vohl alle stecken?
Da krähte drunten im Dörflein ein Hahn.
Lichter flammten am dunklen Kirchlein ans.
Sollte es dort nicht sauber sein? Vielleicht
Rothosen? Der Mann kroch vorwärts, hob
den Kopf, hielt scharfen Ausguck. Jetzt waren
die Lichter wieder ansgelöscht. Nochmals klang
der schrille Hahnenschrei herauf. Dann wieder
dieselbe Stille wie vorher. Immer noch sielen
die zartflaumigen Schneekristalle und sangen
ihr eigenartig Lied aus ihrer Heimat in Sternen-
nähe. Metallene Glockeuschläge klangen durch
die Stille.
Der Soldat kroch in die Mulde zurück. Wen»
nur bald die Ablösung käine! Er war müde,
schläfrig, bleischwer lag's ihm in den Gliedern.
Eine wohlige Ruhe und Wärme überkam ihn,
ein Schlafbedürfnis, dem er standhaft aber ver-
gebens wehrte.
Noch einigemal blinzelten die Augenlider,
dann lag der Mann ganz still und bewegungs-
los. Ein schöner Traum hielt seinen Geist ivach.
Wie er bei den Freunden »ach der Heimkehr
aus dem blutigen Krieg beim Spiele saß. Wie
sich Freund Emil über ihn lustig machte, iveil
er ganz derbe Böcke schoß. Und der lange Hein-
rich, sein Kompagniespieler, ivurde bitterböse,
schimpfte über seine Tollpatschigkeit und, wahr-
haftig, er hob den Arm und — klatsch — da
hatte er eine weg, die ivar nicht von schlechten
Eltern.
Ter Soldat fuhr in die Höhe. Himmel! ivas
war denn das? In den Kronen der Banm-
gruppe rechter Hand krachte es, als wäre der
Blitz dreingefahre». Ein fallender dicker Ast
schlug ihm den Helm vom Kopf und im Ge-
sicht floß Blut. Kein Zweifel! Eine Granate
ivar droben in den Baumkroinn geplatzt! Ohne
sie hätte er vielleicht hier den ewigen Schlaf
gefunden. Nun aber auf und Meldung machen.
Der Mann reckte die steifen Glieder, schüttelte
den Schnee vom Mantel und trat an den Rand
des Hügels. Holla! ivar das ein Leben da
unten im Dorf. Es wimmelte von feindlichen
Soldaten und hinterm Dorf ivar Artillerie!
Drunten im Tal schivamm der Nebel. Der
Morgen graute. Bon neuem erhob sich der
Schneesturin und heulte dnrch's Gelände. Um
die Bergivände brauste» die Schneewolke».
Bald werden Granaten dazwischen donnel»
undBüchsenkngeln pfeifen. Also! Kehrt,marsch!
und im Laufschritt zurück zu den Kameraden.
Der Schneesturnl machte seine grausige Musik
zum Kampfe auf Tod und Leben, der jetzt an-
hob. Er blies den Tütenchoral und die Sieges-
hymne mit gleichen eisigen, harten Tönen und
schmückte die Brust des gefallenen Helden >vie
die Fahne des lebenden Siegers mit dem
gleichen Silberflor. ... L. P.
Wie eine langgestreckte Kulisse schob sich der
dunkle Nadelwald vor das hügelreiche Gelan-
der. Schwarz und düster lag die stille Wal-
dung in der reinweisten Winterlandschast.
Drinnen im Walde zitterten und glitzerten die
Eiskristalle ain überschneiten Geäste wie reines
Silber auf schwarzein Untergrund.
Da zog ein dumpfes, langgezogenes Heuleir
durch den Wald. Die dürren Aste ächzten, als
der Sturm an ihnen rüttelte. Er fuhr mit >vil-
dem Gebrause um die uralte» Stämme, warf
sich unbändig in die Bailinkronen und trieb
schneeflauinige Wolken vor sich her. Unzählige
Eissternlein tanzten einen rasenden Reigen,
bis sie der heulende Sturm auf große Hansen
zusammentrieb. Drüben an den Kirchhofmauern
brachen sich die Sturmivellen, tanzten um die
verschneiten Grabhügel und fegten schließlich
seitwärts ins freie Feld. Am Waldessaum ent-
lang waren Schützengräben ansgehoben. Die
s eldsoldaten hoben die Köpfe, horchten dem
Getöse und fühlten sich geborgen vor der
schneidenden Kälte des Sturmes, der dort im
Walde wetterte.
Fünfzig Meter tiefer im Wald kauerte ein
einsamer Mann im dichten Kleinholz. Er saß
ans einem Baumstumpf, das schußbereite Ge-
wehr im Arm. Das dichte Gestrüpp ringsum
schützte ben Einsamen halbwegs vor dein
ivütenden Anprall des Schneesturmes. Nur
zivischendrein ivarfen ihm die Sturmwellen
eisige Schneesplitter ins Gesicht.
Da, horch! Durch das Geheul des Sturmes
klangen die harten, gleichmäßigen Schritte von
Soldaten. Dort hinten vom Waldweg kamen
sie her. War'S Freund oder Feind? Viel-
leicht die Ablösung! Richtig, zwei Feldgraue,
also Kameraden, llnd der einsame Posten freute
sich schon im stillen auf die primitive Begnem-
lichkeit im Schützengraben. Aber seine beschei-
dene Sehnsucht wurde nicht gestillt. Der Mann
erhielt Befehl, einigeHundert Meter vorwärts
einen geeigneten Auslug zu besetzen. Also schul-
terte der Einsame das Geivehr, grüßte die
Kameraden, die seine Stellung einnahmen, und
marschierte vorwärts.
Der Sturm ließ nach, nur vereinzelte Wind-
stöße fuhren noch durch den winterlichen Wald.
Aus dunklen, fernen Höhen sielen dichte Flocken
auf die Lande der Menschen. Da und dort
blitzte das ewige Licht der Sterne, bis es
schließlich im nebligen Grau langsam ver-
schwamm. Der Marschierende bahnte sich müh-
sam einen Weg aufwärts zur schneelichten
Bergkoppe. Droben fand er eine windfreie
Mulde, die er sich zum Ausguck wählte. Vorn
das niedere Gestrüpp diente zur Deckung. Da-
hinter grub er sich in den Neuschnee ein.
Rings um den Lauschenden ivar feierliche
Ruhe. Es war nun ganz ivindstill, nur da-
zwischen einmal das leise Knacken eines dürren
Astleins, ans dem der Schnee lastete, bis es
brach. In dieser Einsamkeit überkamen den
Soldaten die Gedanken an die Heimat. Beim
Anblick des stillen Ortes vor ihm da unten im
Tal kamen die Erinnerungen an das Heimat-
dörflein. An die Jugendzeit! Und war sie auch
zehnmal voll Armut und Elend, es ivar doch
ein schönes Erinnern an die Zeit der sorglosen,
lebensfreudigen Jugend. An unschuldiges Kin-
derspiel und reine Kinderherzen.
Ihr folgte die rauhe Zeit mühevoller Land-
arbeit, die Trauer um den Verlust der Eltern,
und schließlich die Stadt, die Fabrik mit neuen
Bildern, Hoffnungen und Zielen. Das Leben
in der Kaserne, die unvergeßliche Zeit der ersten,
tiefen Liebe. Die Aussicht auf ein trautes, eignes
Heim, das der Tod mit rauher Hand zerstörte,
indem er die Braut in sein dunkles Reich holte.
Das war ihm dainals hart ans Gemüt ge-
gangen. In emsiger Arbeit suchte er zu ver-
gessen, dein Schicksal zu trotzen. Nach voll-
brachter Pflicht in der Fabrik gab manches
gute Buch ihm Erholung und innere Ruhe.
Die Kollegen, die Kameraden boten ihm Ab-
wechslung und harmlose Geselligkeit. Wo moch-
ten sie jetzt >vohl alle stecken?
Da krähte drunten im Dörflein ein Hahn.
Lichter flammten am dunklen Kirchlein ans.
Sollte es dort nicht sauber sein? Vielleicht
Rothosen? Der Mann kroch vorwärts, hob
den Kopf, hielt scharfen Ausguck. Jetzt waren
die Lichter wieder ansgelöscht. Nochmals klang
der schrille Hahnenschrei herauf. Dann wieder
dieselbe Stille wie vorher. Immer noch sielen
die zartflaumigen Schneekristalle und sangen
ihr eigenartig Lied aus ihrer Heimat in Sternen-
nähe. Metallene Glockeuschläge klangen durch
die Stille.
Der Soldat kroch in die Mulde zurück. Wen»
nur bald die Ablösung käine! Er war müde,
schläfrig, bleischwer lag's ihm in den Gliedern.
Eine wohlige Ruhe und Wärme überkam ihn,
ein Schlafbedürfnis, dem er standhaft aber ver-
gebens wehrte.
Noch einigemal blinzelten die Augenlider,
dann lag der Mann ganz still und bewegungs-
los. Ein schöner Traum hielt seinen Geist ivach.
Wie er bei den Freunden »ach der Heimkehr
aus dem blutigen Krieg beim Spiele saß. Wie
sich Freund Emil über ihn lustig machte, iveil
er ganz derbe Böcke schoß. Und der lange Hein-
rich, sein Kompagniespieler, ivurde bitterböse,
schimpfte über seine Tollpatschigkeit und, wahr-
haftig, er hob den Arm und — klatsch — da
hatte er eine weg, die ivar nicht von schlechten
Eltern.
Ter Soldat fuhr in die Höhe. Himmel! ivas
war denn das? In den Kronen der Banm-
gruppe rechter Hand krachte es, als wäre der
Blitz dreingefahre». Ein fallender dicker Ast
schlug ihm den Helm vom Kopf und im Ge-
sicht floß Blut. Kein Zweifel! Eine Granate
ivar droben in den Baumkroinn geplatzt! Ohne
sie hätte er vielleicht hier den ewigen Schlaf
gefunden. Nun aber auf und Meldung machen.
Der Mann reckte die steifen Glieder, schüttelte
den Schnee vom Mantel und trat an den Rand
des Hügels. Holla! ivar das ein Leben da
unten im Dorf. Es wimmelte von feindlichen
Soldaten und hinterm Dorf ivar Artillerie!
Drunten im Tal schivamm der Nebel. Der
Morgen graute. Bon neuem erhob sich der
Schneesturin und heulte dnrch's Gelände. Um
die Bergivände brauste» die Schneewolke».
Bald werden Granaten dazwischen donnel»
undBüchsenkngeln pfeifen. Also! Kehrt,marsch!
und im Laufschritt zurück zu den Kameraden.
Der Schneesturnl machte seine grausige Musik
zum Kampfe auf Tod und Leben, der jetzt an-
hob. Er blies den Tütenchoral und die Sieges-
hymne mit gleichen eisigen, harten Tönen und
schmückte die Brust des gefallenen Helden >vie
die Fahne des lebenden Siegers mit dem
gleichen Silberflor. ... L. P.