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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0059
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- » 8615 • •

mußte einer den anderen stützen, aber es ging
nur mühselig langsam vorwärts,

„Obacht, Kameraden! .. • rief der Führer
und hielt sich seitivärts. Aber es war zu spät.
Links am Wege rutschten zwei, drei in den
Sumpf. Andere wollten zugreifen, helfen, ret-
ten, Hand an Hand eine Rettungskette bilden,
„Laßt das, der Sumpf verschlingt uns, alle!"
rief warnend der Kosak und sprang auf den
festen Boden, Die anderen folgten. Die
schwarzen Wasser gurgelten einige Minuten,
zogen ihre Opfer hinab, ein paar schrille
Schreie, dann war es wieder still. Eine An-
höhe hinan schleppte sich der Unglückshaufe,
Der Mond zeigte ihnen den Weg zu zer-
fallenem, zusammeugeschossenem Mauerwerk.
Nun zog die Nacht ihr schivarzes Gehänge über
die Lande, Die müden Soldaten suchten in dem
Mauerwerk Unterstand. Ein kalter Regen-
schauer, untermischt mit winzigen Eiskristallen,
prasselte nieder. Mit kurzen, harten Stößen
warf sich ein harscher Widenvind zwischen die
Ruinen,

Die Opfer der schweren Zeit hatten alle den
einen Wunsch, die Morgensonne, den Tag zu
sehe». Sie ivaren fest davon überzeugt, daß
der Tod bald komme» müsse, so oder so, nur
wußten sie nicht, auf welche Art der Tod ihr
letztes Stüudlein bringen ivürde. Alle hinge»
stumm ihren Gedanken nach. Dies Hange» und
Bangen zwischen Leben und Sterben schärfte
ihre Gedanken, drängte Bilder der Vergangen-
heit vor das geistige Auge und reizte das Hirn,
bis alles im Menschen fieberte. Der alte Kosak,

der sonst roh und brutal war, dachte liebevoll
au Weib und Kind, Der leichtsinnige junge
Kamerad kämpfte vergebens gegen die quä-
lende Reue und wollte gern dem gekränkten
Mütterlein vor die Füße fallen, um Verzeihung
zu erbitten. Alles Rachegefühl, jeder Haß gegen
die Mitmenschen war aus dem Geistesleben
der Elenden in dieser sturmgepeitschten Ruine
ausgelöscht, denn mit dem nahen Tage mußte
ja der Tod kommen. Eutivcder verhungern
oder vom Feinde hingemordet iverden, das
>var ihr Los, Ja, wenn eS nur rasch ginge!

Aber was hatte ihnen der Popo nicht alles
erzählt von der barbarischen Grnusanckeit der
grauen Teufel! Man ivürde sie pfählen, spießen
ivie Bratvögel; man ivürde sie blenden, ihnen
die rechte Hand abhacken. In deni Hirn jedes
einzelne» jagten sich diese Bilder und ihre
innere Verziveiflung ivuchs stündlich.

Nichts regte sich, Manche lagen ivie tot da.
Der Regenschauer ließ nach. Die letzten schwe-
reu halbgefrorenen Tropfen klopften eintönig
ans morsche Gestein, Im Osten tief unten am
grauen Himmel schob sich ein fahler Lichtstreif
höher, wurde länger und breiter. Ein feuriger
Strahl schoß übers Gelände, zivei, drei, mehr,
unzählige, der Tag brach an, das Licht des
Lebens. „Die Sonne!" sagte laut der alte
Kosak. Dann sahen alle dem Licht entgegen
lind horchten gespannt. Jetzt mußte es komme»,
das Ende. . . .

Sie sahen graue, ivohlbeivaffuete Soldaten
heranmarschieren, an bereu Spitze ein Reiter
galoppierte. Todesmutig und zuiii Sterben

bereit traten sie aus dem Mauerwerk. Und
es kam, sie wußten nicht ivie es geschah , . .
ihre Waffen lagen auf einem Haufen und die
grauen Teufel boten ihnen Brot an, teilte»
mit ihnen. Zaghaft griffen die Gefangenen
zri. Aber sie ivagte» noch nicht zu essen ,. ,
hatte ihnen der Pope doch gesagt, daß diese
Teufel sogar vergiftetes Brot für ihre Feinde
mit sich führten. Bis einer von den Feldgrauen
mit lachendem Gesicht ins Brot biß. Dann
griff der ganze Trupp herzhaft zu.

Als Ordnung in ihre Herde gebracht war,
ging der Marsch los, und als sie gar im Feld-
lager ankamen, Suppe, Fleisch und Brot er-
hielten, trauten sie ihre» Augen kaum.

„Henkersmahlzeit! Jetzt wird's kommen!"
meinte grimmig der alte Kosak, Aber es kam
anders. Die Verwundeten wurden in sorgsame
Pflege genommen. Und die andern erhielten
während des Transports mit der Bahn sogar
Bier und Zigarren.

Endlich schwand jeder Argwohn, der Trotz
ivich von ihnen. Jeder Blick war roll Dank-
barkeit, Sie fühlten die Menschlichkeit dieser
arg verleumdeten feldgrauen Barbaren, llnd
in> Geistesleben der gefangenen Gegner, die
schon mit dem Leben abgeschlossen hatten, regte
sich etivas bisher Unbekanntes, Liebevolles
auch den Feinden gegenüber; aus künstlich
gezeugtem und genährtem Haß wurde ei» liebe-
volles Verstehen alles Geschehens. Aus Hangen
und Bangen zwischen Nacht und Todesahncn
ivaren sie der Sonne, dem Leben wieder-
gegeben, L, P,

Bayrische Zuversicht.

So lang 's Bier-reicht, gibt's koa Aushungerung!
 
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