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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0062
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8618


Opferlust.

„Ein schöner Artikel!" sagte Herr Rentier
Käsebanm und wischte sich eine echte Träne
der Rührung aus dem Auge. Dann las er
seiner Frau die Schlußsätze vor, die in schönen
Worten von der Gemeinsamkeit aller Volks-
interessen sprachen und von der notwendigen
Betätigung des Opfersinns aller Klassen. „Das
ist das mindeste, was wir zu Hause für unsere
im Felde stehenden Brüder leisten können,"
schloß der Aufsatz.

„Bravo!" sagte seine Frau und bestrich sich
Vesperbrot recht schön mit Butter und legte
ein rosiges Stück Schinken darauf. „Wenn
man so bedenkt, wie die int Felde oft froh
wären, nur ein Stückchen Brot zu haben,
kann man solche Anschauungen gar nicht laut
genug aussprechen."

„Nun, so schlimm wird es wohl nicht sein."

„Doch, doch. So ist es," bemerkte Frau
Käsebanm. Ihr Schinkenbrot schien ihr nun
doppelt gut zu schmecken; es hob sich gewisser-
maßen von dem dunklen Untergrund derFeld-
strapäzen doppelt rosig ab.

„Du tust ja gerade so, als kämst du eben
ans dem Felde nach Hause", scherzte der Gatte.

„Das gerade nicht," sagte sie etwas ärger-
lich. „Aber man erfährt doch allerlei, wenn
man sich so uinsieht."

„Nun bin ich aber neugierig, von wem du
etivas erfahren hast. Willst du es mir nicht
verraten?"

„Von unserer Minna. Oder vielmehr von
ihrem Bräutigam im Felde."

„Aha," sagte der Rentier. „Wo ist Minna
jetzt übrigens?"

„Auf der Post. Sie schickt wieder ein Pfund-
paket an ihn."

Der Äunne.

(Zu nebeiistchendem Bilde.)

Aus dem großen „Vorratshanse der Völker",
den geheimnisvollen Steppen des inneren
Asiens, brachen während des vierten nach-
christlichen Jahrhunderts Attilas kriegerische
Nomadenhorden in Europa ein. Mordend und
plündernd ergossen sie sich über die Länder,
jagten die Völker vor sich her und drängten
die alteingesessenen germanischen Stämme
gegen die Grenzen des altersschwachen Römer-
reiches, dessen zerbröckelnde Dämme der Völker-
flutwelle nicht standzuhalten vermochten. Unter
dem Ansturm der Barbaren brach die antike
Kultur zusammen und auS beit Trümmern
erhob sich in jahrhundertelanger Entwick-
lung ein neues Zeitalter der Menschheitsge-
schichte.

Die Hunnen — so wurden die asiatischen
Eindringlinge vott den römischen Geschichts-
schreibern genannt — erscheinen »ach den
Zeugnissen der verängstigten Europäer jener
Zeit als tvahre Ausbünde von körperlicher
und seelischer Scheußlichkeit. Und so hat auch
der Schöpfer der oben abgebildeten Statue
seinen Hunnenkrieger dargestellt. Auf einem
ungepflegten, aber starkknochigen Pferde, zu dein
ein heutiges Kosakenpferd hätte Modell stehen
können, kam er über die weite Steppe dahin-
gefegt. Plötzlich ward sein scharfer Blick ge-
fesselt durch einen Gegenstand, der am Boden

„Hm, hm." Der Rentier nahm sich eine neue
Zigarre aus der Kiste, zündete sie an und
blies nachdenklich den blauen Rauch zur Decke
empor. „Es ist mir schon längst ausgefallen,
dies ewige Pakete-Wegschicken. Wo hat sie
denn das Geld dazu her?"

„Pst. Sie kommt!"

Es hatte geklopft. Auf das „Herein" trat
Minna ein und brachte eine Karte, die sie
eben dem Briefträger abgenommen hatte.

„Na, Sie strahlen ja so? Sie haben gewiß
wieder was vonJhrem Bräutigam bekommen?"

„Ja," sagte Minna. „Er bedankt sich für
mein letztes Päckchen."

„So. Das istja schön. Was war denn darin?"

„Zucker," sagte Minna etwas geniert. „Sie
brauchen den so nötig."

Rentier Käsebaum warf seiner Gattin einen
warnenden Blick zu und räusperte sich.

„Haben Sie den Zucker von unserem Krämer
gekauft?" fragte seine Frau.

„Nein," stotterte Minna. „Gekauft habe ich
ihn nicht - "

Der Rentier runzelte die Stirn. Sein rundes
Gesicht bekam die Würde des Richters, „llnd
wo haben Sie ihn her, wenn man fragen darf?"

„Ich habe ihn mir von meinem Frühstücks-
kaffee abgespart," sagte Minna leise. „Wenn
man das jeden Tag tut, lohnt cs sich schon..."

Die beiden anderen schwiegen. Der Rentier
wandte sich um und sah interessiert zum Fenster

O o o

vor ihm liegt. Mit kräftiger Parade bringt
er den Gaul zum Stehen. Er beugt sich weit
nach vorn und betrachtet gespannt das selt-
same Etwas. Es sind menschliche Überreste,
ein Schädel und ein paar Knochen, also all-
tägliche Dinge, denen er auf seinen Ritten
durch das verwüstete Land gewiß schon un-
zählige Male begegnet ist. Trotzdem nimmt
das Antlitz des Barbaren einen merkwürdigen
Ausdruck an: Neugier, Staunen und Grauen
mischen sich in seinen Zügen. Was ist es, das
den mordgewohnten Krieger plötzlich so er-
greift? Die Gebeine, die im Steppengrase
vor ihm modern, gehören nicht einem erschla-
genen Feinde an, sondern er erkennt in ihnen
die Überreste eines Geführte»! Ilud nun ist in
dem Herzen des brutalen Halbtiers eine Art
von menschlichem Gefühl erwacht.

Einen in doppelter Hinsicht komplizierten
Vorgang sehen wir in der Statue des früh ver-
storbenen Dresdener Bildhauers Erich Hösel
(1869 bis 1906) zur Darstellung gebracht: die
seelische Ergriffenheit des stumpfen Barbaren
und die Bewegung des Pferdes, das in schnell-
stem Laufe plötzlich angehalten tvird. Das un-
gesattelte, nur mit einem Fell bedeckte Tier
stemmt, durch den Ruck des Zügels gefesselt,
den Körper rückwärts, während ihm die Haare
des Schweifes und der Mähne nach vorn fliegen.
Dadurch ist die äußere Situation in einfacher
und klarer Weise augenfällig gemacht, llnd
mit derselben schlichten Meisterschaft tvird der

hinaus. Seine Frau fragte, um die Verlegen-
heitspause nicht zu verlängern: „Und heute
haben Sie wieder Zucker geschickt?"

„Nein. Heute ein bißchen harte Wurst. Ich
habe mir keine neuen Stiefel gekauft, tvie ich
eigentlich wollte. Der Schuhmacher sagte, die
alten gingen noch zur Not, wenn man sie ordent-
lich vornähme. Dafür kann ich ihm nun jede
Woche etivas schicken." Und wieder strahlte
ihr Gesicht, wie vorhin, als sie mit der Karte
ihres Liebsten in der Hand hereinkam.

Dann ging sie hinaus in die Küche. Sie las
die wenigen Zeilen der Feldpostkarte wieder
und wieder, als ivollte sie sie ausivendig lernen.
Er lebte itoch und war gesund trotz aller Ent-
behrungen und Anstrengungen! Er dachte an
sie und war so dankbar für jedes Liebeszeichen
von ihr. Nun sollte er aber auch jede Woche
etivas haben, wo sie es nur erübrigen konnte. —

Im Wohnzimmer drehte sich Herr Käsebaum
um. „Na, glaubst Du daran?"

„Nein. Soivas kann ich einfach nicht glau-
ben. Ich werde von jetzt ab doch noch mehr
aufpassen als früher."

„Ja. Sowas kann ich auch nicht glauben,"
tviederholte der Rentier.

Er trat an den Geldschrank ttttb zählte alle
Goldstücke durch, die er sich rechtzeitig eiuge-
tvechselt hatte und die er allen Verlockungen
der Reichsbank zum Trotz zu behalten gedachte.
Er verwunderte sich fast, daß sie noch alle vor-
handen waren.

Dann verschloß er den Schrank und ver-
wahrte den Schlüssel in einem Geheimfach sei-
nes Schreibtisches.

llnd beruhigter setzte er sich wieder in den
Fenstersessel und vertiefte sich in die Zeitung,
auf deren erster Seite jener Opferartikel stand,
der ihn so entzückt hatte. ... P. E.

Hunne in seinem Typus, seiner Haltung, Be-
kleidung und Bewaffnung charakterisiert. Schon
seine Silhouette allein gibt ein suggestives Bild.
Verivickelte seelische Vorgänge darzustellen, ist
nicht eigentlich die Aufgabe der Plastik, deren
Wirkungen auf großzügiger Einfachheit be-
ruhen. U»t so bewundernswerter erscheint die
Kunst Hösels, der in dem Antlitz des Hunnen,
ohne in malerische Details sich zu verlieren,
einen ganzen Komplex von Gefühlen zuin deut-
lichen Ausdruck gebracht hat. Freilich kam ihm
dabei das Material seiner Statue, die Bronze,
tvesentlich zu Hilfe, die mit ihren eindrucks-
vollen Oberflächenreflexen für solche über die
reine Formwirkung hinausgehenden Zivecke
besser geeignet ist als der Marmor.

Das Original der Statue steht in Berlin
auf dem Platz vor der Nationalgalerie. Mit
eigenartig gemischten Gefühlen tvird vielleicht
mancher Vorübergehende gerade in der gegen-
wärtigen Zeit dieses Kunstwerk betrachten. Er
tvird sich des Wortes „Hunnen" erinnern, mit
dem englische und französische Chauvinisten
das deutsche Volksheer zu beschimpfen wagten,
und er ivird zugleich an den östlichen Bundes-
bruder dieser Verleumder denken, dessen den
alten Hunnen tatsächlich zum Teil stammver-
wandte Heldenscharen in unserem Ostpreußen
Greueltaten verübt haben, die hinter den Lei-
stungen der Mörderhorden Attilas keineswegs
zurückstehen.

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