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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0083
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8639

schleunige Fertigstellung der Brücke. Franz
Weber arbeitete, daß ihm trotz der Nacht-
kälte, die seinen nassen Körper anfangs über-
rieselte, bald glühender Schweiß hernieder-
tropfte. Rings um ihn schlugen Kugeln ein.
Sie schlugen in das Wasser, das hoch auf-
spritzte, uud in die Brücke, ohne aber Scha-
den anzurichten.

Endlich waren die Taue befestigt. Seine
Kameraden warfen neue Verbindungsbretter
herüber und nagelten sie fest. Und nun be-
gannen schon die ersten Infanteristen die Brücke
zu betreten und herüberzustürmen.

In diesem Augenblick traf ihn eine Kugel
und durchbohrte seine Brust. Er sank, ohne
ein Wort hervorzubringen, rücklings nieder
in das hohe Schilf am Ufer. Er lag halb im
Wasser und sah die Seinen vorwärts stürmen
und das Ufer betreten. Pferde wurden ge-
führt, Maschinengewehre wurden herüberge-
zogen. In dem donnernden Lärm verhallten
Franz Webers Rufe vollständig.

Da wußte er, daß alles zu Ende war: ehe
sie alle herüber waren, würde er von seinem
Trupp nicht vermißt werden. Und bis dahin
konnten Stunden vergehen. Nein, ihm half
kein Lazarett und kein Arzt mehr. Er würde
hier sterben und vielleicht kaum gesunde»
werden.

Ein altes Lied fiel ihm ein, das er einmal
gelesen; es handelte von einem jungen Sol-
daten, der in treuer, heldenhafter Pflicht-
erfüllung gefallen und im fremden Land be-
graben wurde.

„ES reiten viel Generale
Mit Kreuzlein an ihm vorbei,
lind keiner denkt, datz der hier
Auch wert eines Kreuzleins sei - "

So würde es ihm ergehe»: Keiner würde
seine Tat vermelden. Keiner würde je wissen,
ivieviel sein Opfertod zu dem Siege über die .
belagerte Festung, zu dem endgültige» Siege
des Vaterlandes beigetragen habe.

Und ein letzter Blick auf die in endloser
Reihe herüberziehenden Kolonnen gab ihm den
letzten Trost: so ivie ihm erging es ja vielen,
vielen. Es war nur einer aus der großen
Schar der still und »»gefeiert am Wege ver-
blutenden Helden. . . .

Im vierte» Stock.

Max trat vorsichtig in die Stube und legte
den Schulranzen auf den Tisch.

„Bist du schon da, Max?" rief eine matte
Frauenstimme von dem Bette im Hiuter-
grund her.

Im Nu war der Vierzehnjährige bei ihr.
„Mutti, wie geht es?"

„Gut," sagte sie lächelnd. Aber die Fieber-
röte ihres Gesichts strafte ihr Lächeln und ihr
Wort Lügen.

„Es ist wieder ein großer Sieg erfochten,
Mutter. Die Russen haben 50000 Gefangene
verloren."

Sie lächelte ivieder. Aber im stillen dachte
sie: im Osten steht auch er, mein Mann, dieses
Kindes Vater. Sie wußte, daß es nun keine
ruhige Stunde für sie geben würde, ehe nicht
eine Karte von ihm Kunde brächte, daß er die
Kämpfe gesund Überstunden. Denn >vas würde
sonst aus ihr und aus dem Kinde?

Max ging an den Herd, machte Feuer und
setzte Wasser auf. Seit die Mutter krank war,
kochte er jedesmal, wenn er aus der Schule
kam, das Mittagessen, so gut es eben ging.
Manchmal half die Nachbarin. Aber sie hatte
selbst meist vollauf zu tun und nur herzlich
ivenig übrig zum Abgeben.

Die Mutter gab ihm täglich etwas Geld
mit, wenn er niorgens zur Schule ging, und
ließ ihn einkaufeu. Sie konnte sich nur ivenig
beivegen: die Überarbeit als Wäscherin hatte
sich früh gerächt. Nur strengste Ruhe, so hatte
der Arzt gesagt, konnte in einiger Zeit die
frühere Kraft iviederherstelle». Sie glaubte
daran, weil sie daran glauben ivollte.

„Gehst du heute ivieder zu Erich?"

„Ja," sagte Max, und er errötete leicht. „Dil
erlaubst es doch?"

„Spiele nur, solange es geht, Junge."

Jede» Nachmittag ivar Max seit vierzehn
Tagen fort.

„Was hast du denn da?" fragte die Mutter
plötzlich erstaunt. „Das riecht ja nach Fleisch?"

„Es ist Kalbfleisch, ja. Der Arzt hat doch
gesagt, daß eine Kalbsbrühe für dich gut
wäre."

Die Mutter erschrak und rief ihn an ihr
Lager. „Fleisch ist teuer. Wo hast du das Geld
dazu her? Max, du hast doch nicht-?"

„Nee, das brauchst du nicht zu denken,
Mutter. Es ist bloß —"

„Nun, nun? Sag schnell!"

„Es ist ehrlich verdient, Mutter. Dem Rechts-
anivalt an der Ecke sind doch seine sämtlichen
Schreiber einberufen worden. Und da ich so
'ne gute Handschrift Hab', Hab' ich mir gedacht,
damit ist ivas zu verdienen —"

„Ja, aber wann hast bit es getan?"

„Am Nachmittag. Immer, ivenn ich sagte,
daß ich zu Erich ivollte. Ich dachte, du würdest
es mir sonst nicht erlauben."

Die Mutter nahm sein Gesicht in ihre Hände.
Ihre Tränen liefen hernieder.

„Bist du mir böse, Mutter?" Sie küßte ihn
nur. Denn sie bekam kein Wort über die Lippen.

Berechtigte Entrüstung.

„Herr Reallehrer, et is ’ne Jemeinheit, bet Se Ihre
Arm kraft bei mir statt bei de Russen erproben!"

Er verstand absr auch so ihre Antwort.
„Nun laß mich aber los, daß das Essen nicht
anbrennt!"

Und tapfer die auch in ihm nufgestiegene»
Tränen niederkämpfend, begab sich der kleine
Koch an den Herd zurück.

Die Nacht.

"Das Fenster des Lazarettsaals war halb-
geöffnet. Ein lauer Wiud strich herein. Draußen
erivachte der Frühling; die Fliederknospen
platzten bald, und die Amseln begannen schon
ihr Liebesspiel.

Der junge Soldat, der dem Fenster zunächst
mit verbundenem Kopfe lag, wußte, daß er
diesen Frühling nicht inehr sehen würde: alle
seine Wunden waren von sorglicher Hand ge
heilt; nur das zerstörte Augenlicht >var nicht
ivieder herzustellen. Vor ihm lag eine ewige
Nacht.

Eine Frauenstimme klang an sein Ohr:
„Alfred!"

Er fuhr auf und tastete nach ihr. Er hatte
die Stimme seiner Braut erkannt. „Marie,
bist du da?"

„Was machen deine Augen? Der Doktor
ivollte nicht recht heraus mit der Sprache.
Es ist doch nicht schlimm?"

Er dachte an den furchtbaren Augenblick,
als die französische Granate in dem Schützen-
graben zersprang. Er dachte an die ärztliche
Untersuchung der Augen, deren Sehkraft erst
allmählich erlosch: vor vierzehn Tagen hatte
er noch wie einen verlorenen Funken das Licht
einer elektrischen Lampe wahrgenommen. Snt-
dem war auch das vorbei.

Er hörte die bebende Angst in ihrer Stimme,
als sie ihn wieder fragte. Ich will den Doktor
bitten, dachte er, daß sie nicht wieder vorge-
lassen wird. Ich kan» ihr diesen Schmerz un-
möglich zufügen.

„Danke. Es geht schon besser. Ich brauche
nur viel Ruhe," sagte er mit fester Stimme.
Dann legte er sich zurück und wandte seinen
Kopf der Wand zu.

„Auf Wiedersehn, Alfred!"

Sie ging, ohne sein bitteres Lächeln bei
diesem Worte zu verstehen.. . .

Kriegsbrot!

Wie war es vor dem Strieg so nett.

Es gab da noch kein Brotbilletk,

Man aß — das Geld vorausgesetzt -
Bedeutend weniger als jetzt
Vom Schwarz-Brot!

Nun kostet, seit das Reich mobil.

Das Brot uns noch einmal so viel.

Auch kam Kartoffelmehl hinein —

Die Presse schrieb dann im Verein:

Eßt U-Brot!

Doch weil das U-Brot minder wert.
Wird von ihm auch weit mehr verzehrt;
Die Hemmung dieser Staatsgefahr
Nimmt mit dem Ruf die Presse wahr:
Spart U-Brot!

Wenn höher nun der Brotpreis steigt.
Die Not uns keinen Ausweg zeigt
Getrost, die Presse hat parat
Auch hier noch einen guten Rat:

Eßt kein Brot! W. e.
 
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