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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0084
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8640 —

Walter Crane.

In Walter Crane, der fast 70 Jahre
alt in London gestorben ist, hat der
Sozialismus nicht nur einen über-
zeugten Anhänger, sondern vor allem
auch einen hervorragenden Künstler
verloren, dessen Werke zugleich Zeug-
nis ablegten von den Anschauungen,
die ihren Schöpfer beherrschten. Im
Jahre 1845 zu Liverpool als Sohn
des Miniaturmalers Thomas Crane
geboren, trat er nach dessen Tode bei
dem Holzschneider I. W. Linton, der
zugleich ein Anhänger des Chartis-
mus war, in die Lehre. Schon mit
20 Jahren trat er als hervorragen-
der Illustrator von Kinderbüchern an
die Öffentlichkeit. Schon hierbei wie
auch später bei seinen Gemälden und
sonstige» Arbeiten trat seine eminente
Zeichenkunst in den Vordergrund. Von
seinen Bildern sind zwei, „Ödipus und
die Sphinx" sonne das großzügig an-
gelegte Gemälde „Die Brücke des
Lebens", im Jahre 1805 ini Wahren
Jacob veröffentlicht worden. Außer-
dem kennen die deuischen Arbeiter
Cranes Kunst aus zahlreichen Gedenk-
blättern zu Arbeitersesten, so vor allem
aus seinem „Triumph der Arbeit", einer
idealen Komposition in der derben
Holzschnittmanier Albrecht Dürers.

Crane hat seine künstlerischen An-
schauungen auch in einigen Schrif-
ten niedergelegt, so in der Abhand-
lung „Die Ansprüche der dekora-
tiven Kunst". Nach seiner Meinung
ist so viel Kunst und Geschicklichkeit
in der einfachsten Arbeit — sofern
sie zweckmäßig ausgeführt wird —
und so viel körperliche Anstrengung in
jeder Art von Kunst, daß es fast un-
möglich wird, die Linie zu ziehen, wo
die Arbeit aufhört und die Kunst be-
ginnt. Jeder Handwerker, der in seiner
Arbeit aufgeht, ist ihm Künstler. „Wir
müssen tief im Leben des Volkes gra-
ben und aus der schlichten Sprache
der einfache» Arbeit und dein Hand-
werk muß das Gebäude der Kunst er-
richtet iverden. Ohne diese Elemente
können wir in der Kunst nichts haben,
als etiva glänzende Spielzeuge. Alle
Versuche zur Wiederbelebung d cr Kunst
ohne Rücksicht ans die ökonomische Lage
des Volkes müssen deshalb scheitern.
Sie gleichen dem Versuche deS Gärt-
ners, einen Baum mit der Krone, statt
mit der Wurzel in den Boden zu pflan-
zen." Und er kam in seinen Betrach-
tungen zu dem Schluß: „Die einzige
Hoffnung sowohl für die Kunst ivie für
die Humanität liegt im Sozialismus."

Der Traum.

Vo» Oskar Wöhrle, Kanonier, im Felde.

Die Winternacht ist hark und kalt.

Ich steh' als Posten vor dem Wald.

Da kommt ei» Mann. Sein Schritt ist schwer.
Ich ruf'ihn an: „Wohin? Woher?"

Er spricht: „Ich bin Äerr Jesus Christ,

Der einst am Kreuz gestorben ist.

„Der Geist hieß mich ins Weite gehn,

Ließ mich der Menschen Werk besehn.

„Doch als ich kam ins breite Feld,

Da war viel Kriegszeug aufgestellt.

„Da lag der Toten bleiche Schar
Wie Opferlilien vorm Altar.

„Und Tausend, Tausend riefen mich
Mit Kummerworten bitterlich.

„And Tausend schrien: Du großer Gott!
Mein Liebstes in der Welt ist tot!

„Da dacht' ich jener schweren Nacht,

Da ich mich selber dargebracht.

„Soll denn mein Schweiß, mein' Todespein,
Mein Blut umsonst geflossen sein?

„Ist das die Liebe, die ick gab.

Daß Menschen schlachten Menschen ab?"

Das war sein letztes stummes Wort.

Dann schwand derTraum. Der Mann war fort.

Fern schallen Schüsse durch die Nacht.

Ich schrecke auf. Ich bin erwacht.

An meine lieben Eingekerkerten!

Nikolaus' neueste Proklamation.

Geliebte Brüder! Ihr ivißt, wie sehr ich
immer für euer Wohlergehen und euer Fort-
kommen — nach Sibirien oder in das noch
viel bessere Jenseits besorgt gewesen. Keine
Müdigkeit konnte mich noch an der Unter-
zeichnung jener Erlasse hinderen, die euch in
das gemütliche Heiin hinter jenen Gardinen
brachten, die man undankbareriveise immer
„schwedische" nennt, während sie doch in Wahr-
heit echt russische benannt iverden müßten.
Und welche Erfolge erzielte ich damit! Mit
stets wachsender Genugtuung habe ich ivahr-
genommen, daß sich eure Zahl unter meiner
stets wachsenden Regierung beständig ver-
mehrte. Im Jahre 1905 waren eurer erst
85000, im Jahre 1909 waren es schon 173000,
und heute sind es — o Freude! — über 250000.
Denkt, meine Brüder, einer viertel Million
meiner Landeskinder gebe ich freies Essen,
freie Wohnung, freie Rückenmassage und Er-
ziehung zum rechten Glauben an Mich und
zur gezieinenden Unterwerfung unter die hei-
ligen Jsprawniks und Gouverneure.

Wohl geht es ein ivenig eng bei euch her,
weil man die Gefängnisse für höchstens 100000
Insassen errichtet hat. Aber bedenkt, wie dies
gemütliche Beieinander euch in diesen kalten
Winterszeiten wärmt! Doch gebe ich mir auch
redliche Mühe, mehr Raum bei euch zu schaffen,
indem ich möglichst viele eurer Brüder von
diesem mühseligen Dasein befreie. Während
früher in achtzig Jahren nur insgesamt 525
Todesurteile ausgeführt ivurden, ivaren es

in den letzten fünf Jahre» allein 3700. Darum
hat es mich fast erzürnt, zu hören, daß so viele
von euch, ohne auf meine Anordnung zu war-
ten, freiwillig durch Selbstmord aus dem Leben
scheiden. Ich nehme zu ihren Gunsten an, daß
sie es aus Verzweiflung darüber taten, nicht
in meinein glorreichen Heere gegen die bar-
barischen Deutschen kämpfen zu dürfen. Das
soll nun anders iverden. Fortan sollt auch ihr
in das Heer eintreten und dabei nicht einmal
der kleidsamen Ketten beraubt werden, die ihr
an den Füßen tragt, und die sicher dazu bei-
tragen iverden, eure Standhaftigkeit gegenüber
dem Feinde zu erhöhen.

Ich hoffe bestimmt, daß ihr der vielen Wohl-
taten eures Zaren stets eingedenk sein iverdet.
Ihr werdet es am besten dadurch tun, daß
ihr überhaupt nicht wiederkehrt, sondern eure
bisherigen schönen Wohnquartiere anderen
Brüdern eures Volkes überlaßt, denen ich die
gleichen Wohltaten ivie euch zuzuwenden ge-
denke.

Meine Gebete sind allezeit bei euch!

Nikolaus.

Fiat Justitia.

Das Pariser „Journal" fordert die dortigen
Gerichte auf, die Führer der deutschen Armeen
wegen Landfriedensbruchs zu verklagen.

Das ist ganz praktisch, genügt aber nicht.
Ehe man nicht die deutschen Luftschiffer als
„Hochstapler" und die in Frankreich einge-
drungenen Truppen als „Einbrecher" ver-
urteilen kann, ist an eine Vertreibung der
Hunnen nicht zu denken.
 
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