Arbeiterschaft. Aber dann müssen bestimmte
Ziele da sein. Du kennst sie. Wir haben oft
darüber gesprochen. Ihre Verwirklichnngkoinmt
allen zugute, und darum müssen auch alle
dafür eintreten. Warum tut Ihr es nicht?
Warum seht Ihr zu, wenn andere sich dafür
opfern und steckt nachher doch das ganz zu-
frieden ein, was wir erkämpft haben? Soll
das auch nach dem Kriege so weitergehe»?
Es heißt, dieser Krieg wird für die Freiheit
unseres Volkes geführt — und wenn es sein
muß, will ich gern dafür sterben. Aber könnt
Ihr, die Ihr daheim in warmen Betten schlaft,
nicht wenigstens dafür leben-? Ihr müßt es!
Oder Ihr müßt Euch in Grund und Boden
schämen vor denen, die einst wieder nach Hause
kommen. Es ist mein letztes Wort an Euch:
Prüft Euer Gewissen — und tut Eure Schul-
digkeit! Haltet unsere Forderungen aufrechl
und laßt sie lebendig bleibe», wenn auch Zehu-
tausende ihrer Vorkämpfer jetzt dahinsinkeu.
Bis über den Tod hinaus: Es lebe die Or-
ganisation! Hein Rössel."
In das gelbe, trockene Gesicht des alten
Thieß stieg eine leichte Röte. Er faltete die
Blätter sorgsam zusammen und tat sie ivieder
in den Umschlag. Und saß
noch lange und sah in das
Aprilwetrer hinaus.. . .
Einige Tage später gab es
eine Überraschung in der
Werkstatt: au der Wand, in
einem schmalen, schwarzen
Nahmen, hing ein Brief.
Die beiden Blätter waren
untereinander geklebt und
jedes Blatt wies zwei kleine
Löcher mit blutigen Rän-
dern auf.
Es dauerte nicht lange
und alle standen vor dein
seltsamen Bilde, das sich
über Nacht hier eingesunden
hatte. Und dann las einer
den Brief vor. Laut, mit
starker Stimme, so daß es
in allen Ecken des großen
Arbeitssaales zu hören war.
Als er geendet, begaben
sich alle wieder an ihre
Plätze. Mit leuchtenden Au-
gen die einen, beschämt und
geduckt die andern. Alle aber
blickten verwundert zum al-
ten Thieß hin, der ruhig ar-
beitend an seinem Platze
stand. Er ließ ihnen Zeit,
das Gehörte innerlich zu
verarbeiten. Jeder fühlte,
daß diese Mahnung, die so-
zusagen aus einer andern
Welt kam, nicht folgenlos
bleiben könne.
In der Frühstückspause
rief Thieß seinen Anhang
zusammen. „Kommt mit!"
Er führte sie zum Ver-
trauensmann des Verban-
des und sagte: „Du, schreib
uns ein!" Und er wandte
sich nach hinten: „Was der
lebendige Rössel nicht fertiggebracht hat, der
tote hat's geschafft — nämlich unser Gewissen
sprechen zu lassen. Wer's noch nicht spürt von
euch, der kann ja warten. Aber bis der letzte
da ist, wird das Schreiben jeden Tag laut
vorgelesen!"
Und alle sahen nach dem Brief im schwarzen
Rahmen. Die Abendsonne ruhte darauf und
die roten Flecke leuchteten wie Feuer. Pan.
Zrühlingsgruß.
Mit einem Strauß von goldnen Schlüsselblumen,
Oie aufgeblüht trotz Uegen, Schnee und Wind,
Knm jüngst zu mir, verschüchtert und befangen,
Wein Sonnenschein, mein sanftes Enkelkind.
Sch glaube fast, in ihrer llindcrseele
Ist dunkles Mitgefühl mit mir erwacht —
llie Ulcine hat, so schien es mir, erraten,
Was mich so starr, was mich so düster macht.
Es hat in mir, mich plötzlich überfallend,
Sich seltsam tiefes vankgefühl geregt,
klls dann mit zierlich-bittender Gebende
Sie ihren Strauß in meine ssand gelegt.
Abschied.
Wer für sein Lieb nicht sterben kann.
Otzs lkinderköpfchen in die lfände nehmend,
ssab' ich der armen Worte nicht gebraucht:
Und einen ttuß Hab' ich mit feuchten klugen
Uuf ihre reine liinderstirn gehaucht.
Wie leuchten in der Zeit des holden Frühlings
Oie Blumen mir mit ihrem milden Schein,
Sie werden drum vor allen andern Gaben
Ein Trost in meinem herben Leide sein.
Radikalkuren.
Die Ortsgruppe Mailand der Internatio-
nalen Friedensgesellschaft forderte das Ein-
greifen Italiens in den Weltkrieg, da er da-
durch schneller beendigt würde.
Die wackere Ortsgruppe, die, wie wir hören,
als Verbandsarzt den bekannten Doktor Eisen-
bart angestellt hat, wist demnächst noch folgende
Forderungen aufstellen:
Allen Fußkranke» sind die Beine zu ampu-
tieren, iveil dadurch die Schmerzen des Fußes
aufhöre».
Sänitliche Geldschränke müssen offen gelassen
werden, iveil dadurch den Dieben die Möglich-
keit genommen wird, sie aufzubrechen.
Alle Menschen sind ge-
waltsam zum Katholizismus
zu bekehren, weil dadurch
alle Religionsstreitigkeiten
aufhören.
Die italienischen Richter
sind säintlich einzukerkern,
iveil dadurch allein die
hohe Kriminalität Italiens
aus der Welt geschafft wer-
den könnte.
Das Analphabetentum
muß in Europa siegen, weil
dann die Forderungen der
Ortsgruppe Mailand nicht
mehr so auffalleu würden.
Schwäbisches.
In der Schenke eines
Remstalortes saß gutge-
launt, ein Schöpplein Wein
vor sich, der Schultheiß und
suchte sein Gegenüber, einen
Viehhändler aus dem Nach-
bardorf, zu foppen. Dabei
behauptete er, alle Vieh-
händler wären Spitzbuben;
er wisse einen Fall, wo ein
solcher einem Bauern eine
iveiße Geiß für eine schwarze
Kuh aufgehängt habe.
Der Viehhändler hörte
aufmerksam zu, verzog aber
keine Miene.
„Net möglich!" sagte er
dann ruhig, „'s wird scho
a schwarze Kuh gwea sei!
M'r täuscht se ebe manch-
mol. Erscht vorich ischt m'r
dös passiert. Do Han i vo
weitem glaubt, a Esel guck
zom Rothausfenschter raus,
wia i aber nächer komma
be, no isch halt d'r Schuttes
Ist keines Kusses wert.
(Theodor Körner.)
gwea!
Ziele da sein. Du kennst sie. Wir haben oft
darüber gesprochen. Ihre Verwirklichnngkoinmt
allen zugute, und darum müssen auch alle
dafür eintreten. Warum tut Ihr es nicht?
Warum seht Ihr zu, wenn andere sich dafür
opfern und steckt nachher doch das ganz zu-
frieden ein, was wir erkämpft haben? Soll
das auch nach dem Kriege so weitergehe»?
Es heißt, dieser Krieg wird für die Freiheit
unseres Volkes geführt — und wenn es sein
muß, will ich gern dafür sterben. Aber könnt
Ihr, die Ihr daheim in warmen Betten schlaft,
nicht wenigstens dafür leben-? Ihr müßt es!
Oder Ihr müßt Euch in Grund und Boden
schämen vor denen, die einst wieder nach Hause
kommen. Es ist mein letztes Wort an Euch:
Prüft Euer Gewissen — und tut Eure Schul-
digkeit! Haltet unsere Forderungen aufrechl
und laßt sie lebendig bleibe», wenn auch Zehu-
tausende ihrer Vorkämpfer jetzt dahinsinkeu.
Bis über den Tod hinaus: Es lebe die Or-
ganisation! Hein Rössel."
In das gelbe, trockene Gesicht des alten
Thieß stieg eine leichte Röte. Er faltete die
Blätter sorgsam zusammen und tat sie ivieder
in den Umschlag. Und saß
noch lange und sah in das
Aprilwetrer hinaus.. . .
Einige Tage später gab es
eine Überraschung in der
Werkstatt: au der Wand, in
einem schmalen, schwarzen
Nahmen, hing ein Brief.
Die beiden Blätter waren
untereinander geklebt und
jedes Blatt wies zwei kleine
Löcher mit blutigen Rän-
dern auf.
Es dauerte nicht lange
und alle standen vor dein
seltsamen Bilde, das sich
über Nacht hier eingesunden
hatte. Und dann las einer
den Brief vor. Laut, mit
starker Stimme, so daß es
in allen Ecken des großen
Arbeitssaales zu hören war.
Als er geendet, begaben
sich alle wieder an ihre
Plätze. Mit leuchtenden Au-
gen die einen, beschämt und
geduckt die andern. Alle aber
blickten verwundert zum al-
ten Thieß hin, der ruhig ar-
beitend an seinem Platze
stand. Er ließ ihnen Zeit,
das Gehörte innerlich zu
verarbeiten. Jeder fühlte,
daß diese Mahnung, die so-
zusagen aus einer andern
Welt kam, nicht folgenlos
bleiben könne.
In der Frühstückspause
rief Thieß seinen Anhang
zusammen. „Kommt mit!"
Er führte sie zum Ver-
trauensmann des Verban-
des und sagte: „Du, schreib
uns ein!" Und er wandte
sich nach hinten: „Was der
lebendige Rössel nicht fertiggebracht hat, der
tote hat's geschafft — nämlich unser Gewissen
sprechen zu lassen. Wer's noch nicht spürt von
euch, der kann ja warten. Aber bis der letzte
da ist, wird das Schreiben jeden Tag laut
vorgelesen!"
Und alle sahen nach dem Brief im schwarzen
Rahmen. Die Abendsonne ruhte darauf und
die roten Flecke leuchteten wie Feuer. Pan.
Zrühlingsgruß.
Mit einem Strauß von goldnen Schlüsselblumen,
Oie aufgeblüht trotz Uegen, Schnee und Wind,
Knm jüngst zu mir, verschüchtert und befangen,
Wein Sonnenschein, mein sanftes Enkelkind.
Sch glaube fast, in ihrer llindcrseele
Ist dunkles Mitgefühl mit mir erwacht —
llie Ulcine hat, so schien es mir, erraten,
Was mich so starr, was mich so düster macht.
Es hat in mir, mich plötzlich überfallend,
Sich seltsam tiefes vankgefühl geregt,
klls dann mit zierlich-bittender Gebende
Sie ihren Strauß in meine ssand gelegt.
Abschied.
Wer für sein Lieb nicht sterben kann.
Otzs lkinderköpfchen in die lfände nehmend,
ssab' ich der armen Worte nicht gebraucht:
Und einen ttuß Hab' ich mit feuchten klugen
Uuf ihre reine liinderstirn gehaucht.
Wie leuchten in der Zeit des holden Frühlings
Oie Blumen mir mit ihrem milden Schein,
Sie werden drum vor allen andern Gaben
Ein Trost in meinem herben Leide sein.
Radikalkuren.
Die Ortsgruppe Mailand der Internatio-
nalen Friedensgesellschaft forderte das Ein-
greifen Italiens in den Weltkrieg, da er da-
durch schneller beendigt würde.
Die wackere Ortsgruppe, die, wie wir hören,
als Verbandsarzt den bekannten Doktor Eisen-
bart angestellt hat, wist demnächst noch folgende
Forderungen aufstellen:
Allen Fußkranke» sind die Beine zu ampu-
tieren, iveil dadurch die Schmerzen des Fußes
aufhöre».
Sänitliche Geldschränke müssen offen gelassen
werden, iveil dadurch den Dieben die Möglich-
keit genommen wird, sie aufzubrechen.
Alle Menschen sind ge-
waltsam zum Katholizismus
zu bekehren, weil dadurch
alle Religionsstreitigkeiten
aufhören.
Die italienischen Richter
sind säintlich einzukerkern,
iveil dadurch allein die
hohe Kriminalität Italiens
aus der Welt geschafft wer-
den könnte.
Das Analphabetentum
muß in Europa siegen, weil
dann die Forderungen der
Ortsgruppe Mailand nicht
mehr so auffalleu würden.
Schwäbisches.
In der Schenke eines
Remstalortes saß gutge-
launt, ein Schöpplein Wein
vor sich, der Schultheiß und
suchte sein Gegenüber, einen
Viehhändler aus dem Nach-
bardorf, zu foppen. Dabei
behauptete er, alle Vieh-
händler wären Spitzbuben;
er wisse einen Fall, wo ein
solcher einem Bauern eine
iveiße Geiß für eine schwarze
Kuh aufgehängt habe.
Der Viehhändler hörte
aufmerksam zu, verzog aber
keine Miene.
„Net möglich!" sagte er
dann ruhig, „'s wird scho
a schwarze Kuh gwea sei!
M'r täuscht se ebe manch-
mol. Erscht vorich ischt m'r
dös passiert. Do Han i vo
weitem glaubt, a Esel guck
zom Rothausfenschter raus,
wia i aber nächer komma
be, no isch halt d'r Schuttes
Ist keines Kusses wert.
(Theodor Körner.)
gwea!