— 8686
Aus Flandern.
Blutige Blüte.
Der Sommer dampft in gold'gem Brand...
Es glüht der Mohn am Wegesrand,
Wie rotes Blut, getropft aufs Land . ..
Und Nelke» brennen blutigrot.
Als hätte sie gestreut der Tod...
In grüne» Gärten ist erwacht
Der roten Rosen schwere Pracht,
Sie hauchen süß in dunkler Glut,
Und brenne» rot, wie Wundenblut. . .
Des Sommers glühe Flamme loht
In ungezähltem Blütenrot...
Und was vor Monden wir gepflückt
Den Kriegern, die ins Feld gerückt,
Blickt's noch so lachend auch und rot.
Es welkte rasch, starb frühen Tod.
Ein banges Jahr zog durch das Land:
Viel Äerzblut trank der dürre Sand. . .
Nun stehn die Rosen neu in Brand!
Ludwig Legen.
Mitleid.
Von A. S.
Seit einer Stunde war die Sonne unter-
gegangen — glutrot — über der wasserflim-
mernden Ebene. Nur mehr ein schinaler, dunkel-
purpurner Glanz war von all der Pracht, die
den Himmel eben noch überzogen hatte, am
äußersten Rande des dunklen Nachtgeivölks,
das nun die Landschaft wie ein schiverer Vor-
hang überspannte. Die Sterne konnten durch
all die Feuchtigkeit nicht recht hindurchblicken.
Ihr Licht blieb bei einem unsicheren Schim-
mern, bei dem man sich fragte: ist das jetzt
ein Stern oder keiner?
Nun ivar auch der Kampf zu Ende, der den
ganzen Tag hin und her gewogt hatte. Nur
ab und zu zerriß ein Kanonenschuß dröhnend
und grollend die Ruhe der Nacht; aber auch
-o o o-
das war nur wie ein letztes Sichausgeben vor
der Ruhe. Die Pausen zwischen den Schüssen
wurden länger, länger. Als sei auch die Schlacht,
das Grauen schlaftrunken geworden.
Zwei Posten standen dicht beisammen hinter
einem Erdwall Wacht — deutsche Posten —
Westfalen. Sahen unverwandt, hellen Auges,
das Gewehr im Arm zum Westen. Dort —
hundert, zweihundert Schritt weit — lag der
Feind in seinen Gräben. Dort auch lagen un-
entwegten Blickes Soldaten am Ausguck. Die'
Westfalen wußten's wohl das schärfte ihr
Ohr, das ließ nicht zu, daß ihre Aufmerksam-
keit selbst für Sekunden nur abschweifte.
Der Kanonendonner verstummte nun ganz,
und die Nacht war so still, daß man von weit
hinter der Front das Wiehern der Pferde
irgend eines Fouragewagens hörte. Oder war
es aus dem nächsten Gehöft?
Aber plötzlich hob der deutsche Soldat, der
am äußersten Ende des Grabens Wache stand,
den Kopf. Er hörte ein Wimmern. Aus dem
Gestrüpp kam's, beim nächsten Tümpel. Fünf
Meter wohl nur vor dem Grabe». Dafür sind
längst die Sinne geschärft, für solch ein wun-
des Röcheln der Not — hundertmal, tausend-
mal vernommen in dieser blutigen Zeit.
Dort, bei dem Gebüsch hatte heute der Feind
stürmen wollen, war zurückgedrängt worden
und hatte dort wohl dicht vor dein deutschen
Graben, den er nicht hatte erobern können,
in der Hast einen Verwundeten liegen lasse».
„. . . au nom de Dieu . . .“ kam das Stöh-
nen herüber. Der Westfale maß den Weg mit
den Augen. Sieben, acht Schritt ohne Deckung,
wenn er de» dort holte. Genug, um selbst
zehnmak zu fallen. Wozu?
„Soll er sterben," sagte er vor sich hin.
kknd sein Nachbar, der auch das Stöhnen
hörte, nickte. Hatten die andern sich um die
deutschen Verwundeten bemüht? Und ivar's
nicht bekannt, daß der Feind hundertmal, ver-
wundet am Boden, verräterisch von rückwärts
auf deutsche Soldaten geschossen?
Trotzig dachte der Westfale das alles durch.
Eine Weile war drüben Ruhe.
Dann aber begann's von neuem „pur pitiö
aus Erbarmen" — erstickt, gequält — lang-
gezogen — als sickere rotes Blut zwischen
jedeur Laut.
Der Westfale auf seiner Wacht kämpfte
gegen das Stöhnen. „Ich mag nicht," sagte er
wieder laut, „sollen die Franzosen ihn holen!"
Und sein Nachbar nickte wieder.
Aber sonderbar, das Stöhnen war wie etwas
Lebendiges, das an ihn herankroch, etwas aus
Fleisch und Blut. Obschon es Nacht war und
der Franzose im Gestrüpp lag, so daß keiner
auch nur sehen konnte, an welcher Stelle er
verröchelte — war dem Westfalen, als sehe
er die Augen des Verwundeten vor sich. Augen
voll Todesnot.
„Blödsinn," sagte er sich, „das sind die
Augen des Johann Wagner, der mich gestern
so anschaute, als er neben mir fiel"; aber ob-
schon der Gedanke ihn gegen den Feind, der
am Tod seines Kameraden Wagner vielleicht
mit die Schuld trug, hätte erbittern sollen,
wappnete er ihn nicht gegen das Stöhnen.
Irgendwie tauchte die Heimat vor ihin auf.
Der breitspurige Hof. Die Mutter. Jetzt saß
sie gewiß an der Ofenbank im Herrgottswinkel,
flickte an Vaters Joppe wie alle Abend. Ein-
mal hatte er an einem Hund Vorbeigehen
wolle», den ein Pferd geschlagen und der nun
winselnd im Grabe lag. Da hatte die Mutter
ihn mit harter Hand gezüchtigt. „Du elender
Racker," hatte sie gesagt, „erbarmt dich das
arme Vieh denn nicht? Bist denn kein Christen-
mensch?" Dumm und sonderbar, daß ihm das
jetzt in den Sinn kam.
Er stampfte mit den Füßen, denn es war
eine kalte Nacht. Der da drüben fror wohl
auch. Brachte er denn den Kerl gar nicht
mehr aus dem Sinn? Er berechnete - der
Feind in den Gräben drüben konnte den Ver-
wundeten wohl nicht hören. Das Stöhnen
war ja nur schwach. (Schluß auf Seite 8088 )
Aus Flandern.
Blutige Blüte.
Der Sommer dampft in gold'gem Brand...
Es glüht der Mohn am Wegesrand,
Wie rotes Blut, getropft aufs Land . ..
Und Nelke» brennen blutigrot.
Als hätte sie gestreut der Tod...
In grüne» Gärten ist erwacht
Der roten Rosen schwere Pracht,
Sie hauchen süß in dunkler Glut,
Und brenne» rot, wie Wundenblut. . .
Des Sommers glühe Flamme loht
In ungezähltem Blütenrot...
Und was vor Monden wir gepflückt
Den Kriegern, die ins Feld gerückt,
Blickt's noch so lachend auch und rot.
Es welkte rasch, starb frühen Tod.
Ein banges Jahr zog durch das Land:
Viel Äerzblut trank der dürre Sand. . .
Nun stehn die Rosen neu in Brand!
Ludwig Legen.
Mitleid.
Von A. S.
Seit einer Stunde war die Sonne unter-
gegangen — glutrot — über der wasserflim-
mernden Ebene. Nur mehr ein schinaler, dunkel-
purpurner Glanz war von all der Pracht, die
den Himmel eben noch überzogen hatte, am
äußersten Rande des dunklen Nachtgeivölks,
das nun die Landschaft wie ein schiverer Vor-
hang überspannte. Die Sterne konnten durch
all die Feuchtigkeit nicht recht hindurchblicken.
Ihr Licht blieb bei einem unsicheren Schim-
mern, bei dem man sich fragte: ist das jetzt
ein Stern oder keiner?
Nun ivar auch der Kampf zu Ende, der den
ganzen Tag hin und her gewogt hatte. Nur
ab und zu zerriß ein Kanonenschuß dröhnend
und grollend die Ruhe der Nacht; aber auch
-o o o-
das war nur wie ein letztes Sichausgeben vor
der Ruhe. Die Pausen zwischen den Schüssen
wurden länger, länger. Als sei auch die Schlacht,
das Grauen schlaftrunken geworden.
Zwei Posten standen dicht beisammen hinter
einem Erdwall Wacht — deutsche Posten —
Westfalen. Sahen unverwandt, hellen Auges,
das Gewehr im Arm zum Westen. Dort —
hundert, zweihundert Schritt weit — lag der
Feind in seinen Gräben. Dort auch lagen un-
entwegten Blickes Soldaten am Ausguck. Die'
Westfalen wußten's wohl das schärfte ihr
Ohr, das ließ nicht zu, daß ihre Aufmerksam-
keit selbst für Sekunden nur abschweifte.
Der Kanonendonner verstummte nun ganz,
und die Nacht war so still, daß man von weit
hinter der Front das Wiehern der Pferde
irgend eines Fouragewagens hörte. Oder war
es aus dem nächsten Gehöft?
Aber plötzlich hob der deutsche Soldat, der
am äußersten Ende des Grabens Wache stand,
den Kopf. Er hörte ein Wimmern. Aus dem
Gestrüpp kam's, beim nächsten Tümpel. Fünf
Meter wohl nur vor dem Grabe». Dafür sind
längst die Sinne geschärft, für solch ein wun-
des Röcheln der Not — hundertmal, tausend-
mal vernommen in dieser blutigen Zeit.
Dort, bei dem Gebüsch hatte heute der Feind
stürmen wollen, war zurückgedrängt worden
und hatte dort wohl dicht vor dein deutschen
Graben, den er nicht hatte erobern können,
in der Hast einen Verwundeten liegen lasse».
„. . . au nom de Dieu . . .“ kam das Stöh-
nen herüber. Der Westfale maß den Weg mit
den Augen. Sieben, acht Schritt ohne Deckung,
wenn er de» dort holte. Genug, um selbst
zehnmak zu fallen. Wozu?
„Soll er sterben," sagte er vor sich hin.
kknd sein Nachbar, der auch das Stöhnen
hörte, nickte. Hatten die andern sich um die
deutschen Verwundeten bemüht? Und ivar's
nicht bekannt, daß der Feind hundertmal, ver-
wundet am Boden, verräterisch von rückwärts
auf deutsche Soldaten geschossen?
Trotzig dachte der Westfale das alles durch.
Eine Weile war drüben Ruhe.
Dann aber begann's von neuem „pur pitiö
aus Erbarmen" — erstickt, gequält — lang-
gezogen — als sickere rotes Blut zwischen
jedeur Laut.
Der Westfale auf seiner Wacht kämpfte
gegen das Stöhnen. „Ich mag nicht," sagte er
wieder laut, „sollen die Franzosen ihn holen!"
Und sein Nachbar nickte wieder.
Aber sonderbar, das Stöhnen war wie etwas
Lebendiges, das an ihn herankroch, etwas aus
Fleisch und Blut. Obschon es Nacht war und
der Franzose im Gestrüpp lag, so daß keiner
auch nur sehen konnte, an welcher Stelle er
verröchelte — war dem Westfalen, als sehe
er die Augen des Verwundeten vor sich. Augen
voll Todesnot.
„Blödsinn," sagte er sich, „das sind die
Augen des Johann Wagner, der mich gestern
so anschaute, als er neben mir fiel"; aber ob-
schon der Gedanke ihn gegen den Feind, der
am Tod seines Kameraden Wagner vielleicht
mit die Schuld trug, hätte erbittern sollen,
wappnete er ihn nicht gegen das Stöhnen.
Irgendwie tauchte die Heimat vor ihin auf.
Der breitspurige Hof. Die Mutter. Jetzt saß
sie gewiß an der Ofenbank im Herrgottswinkel,
flickte an Vaters Joppe wie alle Abend. Ein-
mal hatte er an einem Hund Vorbeigehen
wolle», den ein Pferd geschlagen und der nun
winselnd im Grabe lag. Da hatte die Mutter
ihn mit harter Hand gezüchtigt. „Du elender
Racker," hatte sie gesagt, „erbarmt dich das
arme Vieh denn nicht? Bist denn kein Christen-
mensch?" Dumm und sonderbar, daß ihm das
jetzt in den Sinn kam.
Er stampfte mit den Füßen, denn es war
eine kalte Nacht. Der da drüben fror wohl
auch. Brachte er denn den Kerl gar nicht
mehr aus dem Sinn? Er berechnete - der
Feind in den Gräben drüben konnte den Ver-
wundeten wohl nicht hören. Das Stöhnen
war ja nur schwach. (Schluß auf Seite 8088 )