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Mitleid (Schluß von Seite 8686).
„— ah — misericorde — misericoi'de!“
Und dann verstummte es ganz.
Es verstummte, aber gerade dadurch war
es dem Westfale» auf seiner Wacht, als lebe
es fort — hundertmal erschütternder als vor-
her. War der Franzose dort tot? Hatte er
nun die Augen geschlossen?
Der Westfale wischte sich mit dem Rücken
der Hand den Schiveiß von der Stirn. Zu
dumm! Hatte er nicht Tausend gesehen und
noch einmal Tausend, die vor seinen Augen
starben? Hatte er nicht viele kalten Herzens
selbst getötet — kalten Herzens — für das
Reich und die Heimat? Ja — aber sie waren
nicht todwund, ohne Wehr am Boden gelegen.
Das war schlimmer, als einen bissigen Hund
ohne Hilfe winseln zu lassen — das war so
etwas, als lasse man ein Kind im Wasser ver-
sinken, ohne die Hand zu regen.
„Ich geh' — ich geh' und meld's dein Herrn
Leutnant." Wieder nickte der Nachbar — und
seufzte erleichtert — so, als sei auch ihm jetzt
ein Kampf beendet.
Ilnd der Westfale ging — und meldete es
seinem Herrn Leutnant. Und ging, den Ver-
wundeten mit seinem Nachbar holen. Kam
glücklich hinüber — und wieder zurück — den
wunden Franzosen in den Armen.
Vielleicht hatten die da drüben doch auch
das Wimmern gehört, wußten, warum die
zwei Deutschen aus ihrem Graben kamen, und
fühlten, daß sie nun alle an diesem Graben
der belgischen Erde für eine kleine Spanne
Zeit keine Feinde ivaren — daß sich das Er-
barmen aufgemacht hatte und zwischen ihnen
auf leisen, sachten Sohle» eine Brücke schlug
— für eine kurze, kurze Spanne Zeit.
Der Franzose >var noch nicht tot, nur ganz
ermattet. „Da hast du ihn," sagte der West-
fale, als er ihn, für seine Verhältnisse sauft,
vor den Wundscher legte, als gebe es nur
einen wunden Franzosen auf der Welt für ihn.
Und war wie von einem Alp befreit. Dachte
sich, er hätte nie mehr als braver deutscher
Soldat weiterkämpfen können, wenn er den
armen wunden Bruder dort im Dickicht hätte
ohne Hilfe verröcheln lasse».
Zwei Fabelu.
Der lahme Löwe.
Es war einmal ein Löwe, der war, >vie die
Löwen nun einmal sind, äußerst freßlustig und
mordgierig. Tag und Nacht ging er auf Beute
aus. Wo ihm ein frerndes Tier zu kräftig oder
zu mißtrauisch schien, schmeichelte er sich mit
freundlichen Worten und heftigeni Schweif-
wedeln heran, lviegte es in Sicherheit und
sprang ihm dann in einein unbewachten Augen-
blick in den Nacken, um es zu zerreißen. So
wurde er weit und breit für unbesiegbar ge-
halten und heimste seinen
Ruhm als etwas Selbst-
verständliches ein.
Da geschah es, daß er,
durch seine Erfolge über-
mütig gemacht, über eine
Hürde setzte, um ein edles
Pferd, nach den, es ihn
schon lange gelüstete, zu
erbeuten. Aber sein erster
Sprung mißlang, und das
Pferd versetzte ihm eine
Anzahl heftiger, wohlge-
zielter Fußtritte. Stark
hinkend humpelte der
Löwe davon. Daun rief
er entrüstet die anderen
Tiere herbei. „Ist es nicht
eine Schmach," brüllte er,
„daß nrir, dem Unbesieg-
baren, Widerstand gelei-
stet wurde? Ist das nicht
ein empörender Bruch
unseres geheiligteil Tier-
rechts? Das muß gerächt
werde»! Auf, Freunde,
unterschreibt eine gemein-
same Kriegserklärung an
diesen Störer des Gleich-
gewichts im Tierreich!"
Einige Tiere drückten
sich. Andere zögerte» noch.
Die Schafe aber unter-
schrieben sofort. . . .
Der neutrale Affe.
Ein Reisender zog durch
den Urwald. Er war sei-
ner Karawane voraus-
gegangen und hatte nur
einen kleinen Affen bei
sich, deni er viel Wohltaten erwiesen und da-
durch ganz an sich gewöhnt hatte.
Da griff plötzlich ein Jaguar den Reisenden
an. Dieser schoß, konnte den Angreifer aber
nur verwunden und kletterte, als seine Mu-
nition zu Ende ging, auf eine» Palmbaum,
um hier seine Karaivane zu erwarten. Der
Affe floh auf die Nachbarpalme.
„Wirf ihn mit Kokosnüssen!" schrie der Ja-
guar dem Affe» zu, „damit er herunter muß
und mir zum Fräße dient, ehe seine Helfer
konimen können." Der Affe gehorchte und
schleuderte die schiveren, harten Nüsse nach
dem Reisenden, iiach dem von unten die grü-
nen Augen und das schäniiieude Maul des
wütenden Raubtiers gierten.
„Pfui über dich!" rief der Reisende. „Habe
ich dir je etwas Übles getan? Schäm' dich,
jetzt über mich herzufallen!"
„Wähle deine Worte besser!" keifte der Asse
zurück. „Ich falle gar nicht über dich her,
sondern wahre nur meine Neutralität gegen-
über dem Jaguar."
Und er fuhr fort, seine Wurfgeschosse gegen
den Reisenden zu richten. . . .
Die Blume und das Gewehr.
Von Willibald Kral».
Der Frühling brach die Erde auf
Mit altgewohnten Händen.
Doch über seiner Spuren Lauf
Stand hell die Welt in Brände».
Die seelcnzarte Wunderhaut
Von einem Blütenkinde,
Von erster Träne schon betaut.
Bot sich dem ersten Winde.
And »eben ihm im Grase blickt
Ein Auge, graus und dunkel —
Das Blümleiu zittert und erschrickt
Vor blankem Stählgefuukel.
Groß, lauernd, atemheiß und schwer
Ruht hart in, blüh'nden Lande
Ei» fremder Bruder — ein Gewehr
Am Schühengrabenrande.
„Wer bist du, unbekanntes Tier,
Verzauberter Geselle?
Was willst du. Ankraut, neben mir
21» dieser heil'ge» Stelle?"
„„Ich wachse Heuer neben dir
Auf aller Länder Wiesen!
Es hat der Tod sein Gärtlein hier
And allerwärts erkiesen.""
„Was soll dann ich, ich Friedenspfaud,
In dieses Frühlings Wehen?
Wie kann ich schönster Gottestaud
In Blust und Blühen stehen?"
„„Ich Todesmuud mit gifr'gcr Gier
Muß heiß die Menschen küsse».
Die Feind' ich nenne, daß sie dir
Zur Seite sinken müssen.
„„Dir sind sie alle Freund und gut
And ewig deinesgleichen -
So küsse du ihr letztes Blut,
Du Friedensmund und -zeichen!""
Da steht der Sonne heil'ger Geist
Hell in dein jungen Triebe —
And übers blüh'nde Kampffeld gleißt
Tod — Leben — Laß — und Liebe.
Der gütige Schöpfer.
„Sieh doch, mein Sohn,
wie weise die Vorsehung
alles gemacht hat. Der
Vogel legt seine Eier ins
Nest. Tie Jungen wer-
den auskriecheu gegen die
Zeit, >vo es Würmer gibt,
sie zu nähren. Dann sin-
gen sie ein Loblied zu
Ehren des Schöpfers, der
seine Geschöpfe überschüt-
tet nnt Wohltaten. . . ."
„Singen die Würiner
mit, Papa?" Multatun.
Disharmonie.
„Wie konnte es nur
kommen, daß im europä-
ischen Konzert eine so ko-
lossale Verstimmung ein-
getreten ist?"
„Sehr einfach! Es sind
zu viel Noten gewechselt
worden."
Anzeige.
Große Mengen echt--
französischer Vorschußlor-
beeren verknust billigst
Nikolai
Nikolajewitsch,
Knrpathengasse.
Daselbst sind atlch einige
„gigantische Pläne" als
Makulatur abzugeben.
Mitleid (Schluß von Seite 8686).
„— ah — misericorde — misericoi'de!“
Und dann verstummte es ganz.
Es verstummte, aber gerade dadurch war
es dem Westfale» auf seiner Wacht, als lebe
es fort — hundertmal erschütternder als vor-
her. War der Franzose dort tot? Hatte er
nun die Augen geschlossen?
Der Westfale wischte sich mit dem Rücken
der Hand den Schiveiß von der Stirn. Zu
dumm! Hatte er nicht Tausend gesehen und
noch einmal Tausend, die vor seinen Augen
starben? Hatte er nicht viele kalten Herzens
selbst getötet — kalten Herzens — für das
Reich und die Heimat? Ja — aber sie waren
nicht todwund, ohne Wehr am Boden gelegen.
Das war schlimmer, als einen bissigen Hund
ohne Hilfe winseln zu lassen — das war so
etwas, als lasse man ein Kind im Wasser ver-
sinken, ohne die Hand zu regen.
„Ich geh' — ich geh' und meld's dein Herrn
Leutnant." Wieder nickte der Nachbar — und
seufzte erleichtert — so, als sei auch ihm jetzt
ein Kampf beendet.
Ilnd der Westfale ging — und meldete es
seinem Herrn Leutnant. Und ging, den Ver-
wundeten mit seinem Nachbar holen. Kam
glücklich hinüber — und wieder zurück — den
wunden Franzosen in den Armen.
Vielleicht hatten die da drüben doch auch
das Wimmern gehört, wußten, warum die
zwei Deutschen aus ihrem Graben kamen, und
fühlten, daß sie nun alle an diesem Graben
der belgischen Erde für eine kleine Spanne
Zeit keine Feinde ivaren — daß sich das Er-
barmen aufgemacht hatte und zwischen ihnen
auf leisen, sachten Sohle» eine Brücke schlug
— für eine kurze, kurze Spanne Zeit.
Der Franzose >var noch nicht tot, nur ganz
ermattet. „Da hast du ihn," sagte der West-
fale, als er ihn, für seine Verhältnisse sauft,
vor den Wundscher legte, als gebe es nur
einen wunden Franzosen auf der Welt für ihn.
Und war wie von einem Alp befreit. Dachte
sich, er hätte nie mehr als braver deutscher
Soldat weiterkämpfen können, wenn er den
armen wunden Bruder dort im Dickicht hätte
ohne Hilfe verröcheln lasse».
Zwei Fabelu.
Der lahme Löwe.
Es war einmal ein Löwe, der war, >vie die
Löwen nun einmal sind, äußerst freßlustig und
mordgierig. Tag und Nacht ging er auf Beute
aus. Wo ihm ein frerndes Tier zu kräftig oder
zu mißtrauisch schien, schmeichelte er sich mit
freundlichen Worten und heftigeni Schweif-
wedeln heran, lviegte es in Sicherheit und
sprang ihm dann in einein unbewachten Augen-
blick in den Nacken, um es zu zerreißen. So
wurde er weit und breit für unbesiegbar ge-
halten und heimste seinen
Ruhm als etwas Selbst-
verständliches ein.
Da geschah es, daß er,
durch seine Erfolge über-
mütig gemacht, über eine
Hürde setzte, um ein edles
Pferd, nach den, es ihn
schon lange gelüstete, zu
erbeuten. Aber sein erster
Sprung mißlang, und das
Pferd versetzte ihm eine
Anzahl heftiger, wohlge-
zielter Fußtritte. Stark
hinkend humpelte der
Löwe davon. Daun rief
er entrüstet die anderen
Tiere herbei. „Ist es nicht
eine Schmach," brüllte er,
„daß nrir, dem Unbesieg-
baren, Widerstand gelei-
stet wurde? Ist das nicht
ein empörender Bruch
unseres geheiligteil Tier-
rechts? Das muß gerächt
werde»! Auf, Freunde,
unterschreibt eine gemein-
same Kriegserklärung an
diesen Störer des Gleich-
gewichts im Tierreich!"
Einige Tiere drückten
sich. Andere zögerte» noch.
Die Schafe aber unter-
schrieben sofort. . . .
Der neutrale Affe.
Ein Reisender zog durch
den Urwald. Er war sei-
ner Karawane voraus-
gegangen und hatte nur
einen kleinen Affen bei
sich, deni er viel Wohltaten erwiesen und da-
durch ganz an sich gewöhnt hatte.
Da griff plötzlich ein Jaguar den Reisenden
an. Dieser schoß, konnte den Angreifer aber
nur verwunden und kletterte, als seine Mu-
nition zu Ende ging, auf eine» Palmbaum,
um hier seine Karaivane zu erwarten. Der
Affe floh auf die Nachbarpalme.
„Wirf ihn mit Kokosnüssen!" schrie der Ja-
guar dem Affe» zu, „damit er herunter muß
und mir zum Fräße dient, ehe seine Helfer
konimen können." Der Affe gehorchte und
schleuderte die schiveren, harten Nüsse nach
dem Reisenden, iiach dem von unten die grü-
nen Augen und das schäniiieude Maul des
wütenden Raubtiers gierten.
„Pfui über dich!" rief der Reisende. „Habe
ich dir je etwas Übles getan? Schäm' dich,
jetzt über mich herzufallen!"
„Wähle deine Worte besser!" keifte der Asse
zurück. „Ich falle gar nicht über dich her,
sondern wahre nur meine Neutralität gegen-
über dem Jaguar."
Und er fuhr fort, seine Wurfgeschosse gegen
den Reisenden zu richten. . . .
Die Blume und das Gewehr.
Von Willibald Kral».
Der Frühling brach die Erde auf
Mit altgewohnten Händen.
Doch über seiner Spuren Lauf
Stand hell die Welt in Brände».
Die seelcnzarte Wunderhaut
Von einem Blütenkinde,
Von erster Träne schon betaut.
Bot sich dem ersten Winde.
And »eben ihm im Grase blickt
Ein Auge, graus und dunkel —
Das Blümleiu zittert und erschrickt
Vor blankem Stählgefuukel.
Groß, lauernd, atemheiß und schwer
Ruht hart in, blüh'nden Lande
Ei» fremder Bruder — ein Gewehr
Am Schühengrabenrande.
„Wer bist du, unbekanntes Tier,
Verzauberter Geselle?
Was willst du. Ankraut, neben mir
21» dieser heil'ge» Stelle?"
„„Ich wachse Heuer neben dir
Auf aller Länder Wiesen!
Es hat der Tod sein Gärtlein hier
And allerwärts erkiesen.""
„Was soll dann ich, ich Friedenspfaud,
In dieses Frühlings Wehen?
Wie kann ich schönster Gottestaud
In Blust und Blühen stehen?"
„„Ich Todesmuud mit gifr'gcr Gier
Muß heiß die Menschen küsse».
Die Feind' ich nenne, daß sie dir
Zur Seite sinken müssen.
„„Dir sind sie alle Freund und gut
And ewig deinesgleichen -
So küsse du ihr letztes Blut,
Du Friedensmund und -zeichen!""
Da steht der Sonne heil'ger Geist
Hell in dein jungen Triebe —
And übers blüh'nde Kampffeld gleißt
Tod — Leben — Laß — und Liebe.
Der gütige Schöpfer.
„Sieh doch, mein Sohn,
wie weise die Vorsehung
alles gemacht hat. Der
Vogel legt seine Eier ins
Nest. Tie Jungen wer-
den auskriecheu gegen die
Zeit, >vo es Würmer gibt,
sie zu nähren. Dann sin-
gen sie ein Loblied zu
Ehren des Schöpfers, der
seine Geschöpfe überschüt-
tet nnt Wohltaten. . . ."
„Singen die Würiner
mit, Papa?" Multatun.
Disharmonie.
„Wie konnte es nur
kommen, daß im europä-
ischen Konzert eine so ko-
lossale Verstimmung ein-
getreten ist?"
„Sehr einfach! Es sind
zu viel Noten gewechselt
worden."
Anzeige.
Große Mengen echt--
französischer Vorschußlor-
beeren verknust billigst
Nikolai
Nikolajewitsch,
Knrpathengasse.
Daselbst sind atlch einige
„gigantische Pläne" als
Makulatur abzugeben.