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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0142
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8698 —

Italien und der Krieg.

Aus dem in Turin erscheinenden Blatt ,,Il Fischietto“

Wofür?

Die junge Giovanna, die
Frau des Obsthändlers Ra-
pagna, der augenblicklich
seine Militärpflicht erfüllt,
hält Inder Hausarbeit inne.

Von der Straße her klingt
Lärm und lnuteS Singen.

Sie stürzt heraus.

Die Nachbarin begrüßt
sic strahlend. „Habt Jhr's
schon gehört, Gevatterin?

Italien wird Krieg führen!"

Giovanna kommt es vor,
als ob ihr das Herz vor
Schreck still stände: wenn
es Krieg gibt, muß ihrMann
ja mit in daS Ungewisse.

„Sind wir angegriffen?"
fragt sie erregt.

„Das weiß ich nicht, Ge-
vatlerin. Ich glaube es
aber nicht.".

„Ja, aber wofür sollen wir dann kämpfen?
Ich bitte Euch —"

Sie kann ihren Satz nicht vollenden. Denn
die Allenge, deren Lärm sie schon von weitem
gehört hat, zieht um die Ecke und erfüllt die
sonst so stille Straße mit Lärm und Getöse.
Junge, halbwüchsige Leute schwingen bunte
Fähnchen und stoßen Rufe aus, die begeistert
von den übrigen »achgebrüllt werden.

„Was sind das für Fähnchen?"

Die Nachbarin weiß es nicht. Touio, der
bucklige Schuster, schreit: „Hoch Rußland! Hoch
Frankreich! Hoch Serbien! Hoch Triest!" Es
folgen noch eine Menge Hochs auf alle mög-
lichen Dinge. Jedesmal folgt ihnen stürmischer
Beifall der Demonstranten.

„Zum Platz!" schreit einer.

Giovanna wird von dein Strom mitgerissen.
Bor ihr brüllt Touio andauernd. Den Hochs
sind jetzt das „Nieder mit Deutschland!" „Nieder
mit Österreich!" gefolgt. Der Enthusiasmus
steigert sich.

An den alten prächtigen Palästen der Bar-
berini, Spada, Doria, Farnese, Colonna geht
es vorbei auf den Platz zu, der voller Menschen
ist, voller rufender, schreiender, gestikulierender
Menschen.

„Waruin sind diese Menschen nur so freudig
und vergnügt?" denkt die junge Frau. „Sie
sind gerade so, als gingen sie 51t Hochzeiten
und Weinlesen. Denken sie denn gar nicht,
daß der Krieg Schmerz und Elend bringt, daß
er meinem liebe» Mann Verwundung und
Tod bringen kann? llnd wer wird dann für
mich sorgen und für das Kind, das ich er-
warte?"

Die Menge wird plötzlich still. Vom Balkon
oes Rathauses spricht einer. Er fuchtelt mit
oen Armen und wirft den Kopf zurück. Man
sieht seinen Mund sich öffnen und schließen,
seine Sätze sind nicht zu verstehen: nur ab-
gerissene Worte werden vernehmlich. Sie er-
regen jedesmal einen Jubelsturm bei der fieber-
haft erregten Menge. Hüte werden geschwenkt,
Fahnen und Fähnchen hochgehoben. Man hört:
„NationaleWünsche... Garibaldi...Trient...
unsere unerlösten Brüder . . . Adria ... die
lateinische Rasse ... die glorreiche Armee...

das größere Italien ... Es lebe der Krieg!"
Giovanna hört entsetzt zu. Ihre Gedanken
schiveifen zu ihrer venezianischen Heimat. Sie
sieht de» geschäftigen Hafen mit den Adria-
dampfer» und Gondeln. Ihr Bruder ist dort
Gondoliere und verdient gut. Den ganzen
Tag fährt er die Fremden n»f den Kanälen
an den schweigende» Palästen vorüber, bis
vom Kampanile her das Glöckchen die letzte
Tagesstunde ankündet. Auf dem Lido vor den
Hotels ein Menscheuschwarm, der Geld in das
arme Land bringt. Und auf dem Markusplatz,
der von unzähligen Glühbirnen erhellt ist,
drängt sich die Schar der Fremden um die
Musikkapelle der Bersaglheri.

DaS alles soll nun aufhören? Tie Fremden
werden flüchten. Kein Händler, kein Gondoliere
ivird einen Centesimo verdienen. Die Plot wird
einziehen in die Gassen und sich nicht sobald
daraus verscheuchen lassen. Und warum?

Eine Bewegung geht durch die Menge — ein
Jnfantericbataillon überquert den Platz. Die
Menge lobt vor Begeisterung und jubelt den
Soldaten zu. Aber sonderbar keiner von
diesen erwidert die Zurufe. Alle gehen ernst
und schweigend vorüber. Giovanna glaubt in
den Gesichtern der Soldaten sogar den "Aus-
druck der Erbitterung zu sehe». Sie werfen
böse Blicke auf die Schreier. Giovanna begreift
ihr Verhalten gut: die da müssen hinaus und
ihr junges Leben in die Schanze schlagen für
das Phantom, das diese Schreier aufgerichlet
haben, die wohl nicht daran denken, selber Gut
und Blut dafür zu opfern.

Giovanna packt ein heißer, wilder Zorn gegen
diese Unvernünftigen, Gewissenlosen. Und als
alle ringsum in die Schlußworte des Nedners
brausend einstimmen: „Es lebe der Krieg!"
schreit sie mit all ihrer Lungenkraft: „Nein,
nein! Friede! Friede!"

Aus der herumstehenden Menge haben einige
die Worte vernommen.

„Was schreit das Weib?"

„Sie ist verrückt."

„Sie ist eine Spionin."

Und im Nu ist sie von haßerfüllten Men-
schen umgeben, die drohend die geballten Fäuste
erheben.

Aber Giovanna will nicht
schweigen. Ihr ist zumute,
als könnte ihr Ruf das
Entsetzliche noch abwenden.
Ihre ganze Gestalt bebt.

„Nein, nein,Friede! Nicht
Krieg!" schreit sie immer
wieder. „Wofür wollt ihr
denn Krieg führen?"

Giovanna bekommt keine
Antwort mehr: der Faust-
schlag eines entrüsteten
Kriegsfreundes streckt sie
nieder.

Schutzleute drängen sich
durch die Menge. „Was
gibt's?"

„Eine Spionin! Ein:
deutsche Agentin! Ein
Feindin!" Wirr durchei»
ander ruft man es ihnen zu
„Sie hat gegen denKric.
protestiert," sagt einer ach
selzuckeud. „Es ist ihr reck,!
geschehen." Und er stimmt noch lauter in bei
sich immer wiederholenden Ruf ein: „Ewiv.
la g-uerra!“ Und Tausende schreien wieder unl
wieder mit, ihre Kehlen heiser sind. . .

Neues von Onkel Sam.
Präsident Wilson hat nach Italien ein Glück
wunschtelegramm gesandt, in welchem dem
Ministerium Salandra die Bewunderung Ame
rikas für das Übermaß echt christlicher Gesin-
nung und wahrer Menschenliebe ausgesprochen
wird, das cs durch seine Entschließungen be
kündet hat.

Ferner hat der würdige Präsident einen all-
gemeinen Bettag in den Vereinigten Staate:,
ungeordnet, um vom Himmel zu erflehen, daß
der europäische Krieg noch ei» paar Jahre
dauern möge.

An Italiens Machthaber!

Durch Meer und Lande rast der Krieg
Und Ströme Blutes fließen —

Ihr aber durftet ungestört
Des Friedens Glück genießen.

Die Menschheit trug ihr "Angesicht
Verhüllt, in bittrem Leide —

Ihr aber saht dem Schauspiel zu
Mit unverhohlncm Neide.

Was ihr begehrt, verhießen wir
Euch edlen Patrioten,

Doch immer dreister wurdet ihr.

Je mehr man euch geboten.

Nach einem Anlaß suchtet ihr.

Der euch das Recht gewährte.

Mit teilzunehmen an dem Brand,

Der alle Welt verheerte.

So ward denn euer Wunsch erfüllt:

Des Krieges Not und Grauen
Hielt Einzug jetzt, wie ihr's gewollt.

Auch in Italiens Auen.

Nun feste in die Faust gespuckt.

Heran, ihr Biederknaben!

Und wenn euch jetzt das Leder jnckt, —
Ihr wolllet's ja so haben! Anninius.
 
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