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3m belgischen Kohlenrevier (Bonnage). Don Konstantin Nleunier.
halb der Grenzen des Proletarierlebens, im
Laufe derJahre. Zu den Berg-und Fabrikleute»
gesellte» sich die Hafenarbeiter und Lastträger,
die Fischer, Schnitter und Säeinänner. Ei»
großes Hohes Lied der Jlrbeit entstand iu
Büsten, Statuen, Gruppen und Reliefs. Da-
neben boten auch einige religiöse Stoffe, wie
die Heimkehr des verlorenen Sohnes oder
Christus am Kreuz, Anregung zu künstlerischem
Schaffen. Aber der Behandlung dieser Sujets
blieb jeder kirchliche Beigeschmack fern und nur
das rein Menschliche wurde hervorgehobeu.
Meuuiers letzte und größte Arbeit, die er
kurz vor seinem im April 1905 erfolgten Tod
vollendete und die zugleich die Krönung seines
Lebenswerkes bedeutet, ist das berühmte „Denk-
mal der Arbeit". Es zeigt auf einem halbkreis-
förmigen architektonischen Hintergrund die vier
Reliefdarstellunge» der „Industrie" — Arbeiter
vor den lodernden Flammen des Hochofens —,
des „Bergbaus" — Minenarbeiter, die in der
Tiefe der Erde Erz aus dem harten Gestein
schlagen —, des „Handels" — Lastträger, die
Säcke, Kisten und Fässer vom Schiff in den
Speicher schaffen — und des „Ackerbaus" —
Schnitter und Garbenbinder im sonnedurch-
glühten Erntefeld. Diese Reliefs sind flankiert
von den Statuen und Gruppen des jugend-
lichen „Bergmanns", des männlich kräftigen
„Hammermeisters", des greisen „Ahnen" und
der „Mutterschaft", welche de» Arbeiter im
Zustand der Ruhe zeigen: den Jüngling, dem
ein kurzes Aufatmen genügt, um mit neuer
Kraft zu neuem Schaffe» und neuem Kämpfe»
zu eile», den Mann, der die karg bemessene
Rast zum Grübeln und Nachdenken verwendet,
den apathisch ruhende» Greis und das Weib,
das sich seinen Mutterpflichten nur während
der Mußestunden widmen darf, die ihm die
Fronarbeit im Dienst des Kapitals übriglaßt.
Die Mitte des Ganzen nimmt der „Säemann"
ein, eine kraftvolle, rüstig vorwärtsschreiteude
Männergestalt, die aus der geöffnete» Rechte»
die Saat der Zukunft über das Land streut
— ein schlichtes und stolzes Symbol der neues
Leben und neue Werte schaffenden Arbeit. Das
„Denkmal der Arbeit" sollte nach des Meisters
ursprünglichem Wunsche auf einem großen freien
Platz seiner Vaterstadt aufgestellt werde», wo
Tausende und Abertausende täglich au ihm vor-
überziehen würden. In Form eines mächtige»
Würfels sollte es sich erheben, überragt von der
weithin sichtbaren Gestalt des Sämanns, der
mit seiner symbolische» Geste den Samen der
Zukunft in das Land hinausstreut. Politische
und künstlerische Gründe haben jedoch die Ver-
wirklichung dieses Planes verhindert.
Meuniers Kunst ist keine Tendenzkunst. Sie
will nicht belehren, überreden und aufreizen,
sondern sie begnügt sich mit einer treuen, wahr-
haften und unbefangenen Wiedergabe der Ein-
drücke, die ihr Schöpfer von den Dingen emp-
fing. Aber sie ist auch keine eigenllich natura-
listische Kunst, denn ihr mangelt vor allem die
Freude am fein beobachteten Detail, an den
individuellen Zufälligkeiten der Naturerschei-
nungen. Meuniers Arbeit ging von Anfang
an ins Große. Er strebte weniger nach einer
vollkommene» künstlerischen Beherrschung der
Natur, als nach einem Stil. Es lebt in seinem
Schaffen derselbe Zug, der die Größe aller
klassischen Plastik ausmacht. Es ist, um einen
viel mißbrauchten Ausdruck zu gebrauchen,
der Ewigkeitszug, die Richtung aufs allge-
mein Gültige, unverändert Bleibende. Nicht
Individuen, sonder» Typen suchte Meunier
zu gestalten. De» modernen Arbeiterlypus hat
seine Plastik geschaffen, und durch diese künst-
lerische Tat hat er seinem Namen die Unsterb-
lichkeit gesichert. Er stellt den Arbeiter als
unterdrückten Proletarier dar, der in Schweiß
und Leiden front. Aber er stellt ihn nicht dar
mit jener Rührseligkeit des braven Bürgers,
der es „gut meint" mit dem niederen Volk
und sentimentales Mitleiden hegt mit seiner
Armut. Die ausgemergelten, aus Haut, Knochen
und Sehne» zusammengesetzten Arbeitergestal-
tenMeuniers offenbaren vielmehr die trotz aller
Leiden gewaltige und achtunggebietende Kraft
und Zähigkeit, die sich im modernen Proletariat
verkörpert. Sie offenbaren die Würde und den
Stolz eines unverwüstlich lebenskräftigen, in
allem Elend ungebrochenen Menschentums.
Der von Meunier geschaffene Arbeitertypus
ist der Typus des Geschlechts, dem die Zu-
kunft gehört. John Schikorvsti.
3m belgischen Kohlenrevier (Bonnage). Don Konstantin Nleunier.
halb der Grenzen des Proletarierlebens, im
Laufe derJahre. Zu den Berg-und Fabrikleute»
gesellte» sich die Hafenarbeiter und Lastträger,
die Fischer, Schnitter und Säeinänner. Ei»
großes Hohes Lied der Jlrbeit entstand iu
Büsten, Statuen, Gruppen und Reliefs. Da-
neben boten auch einige religiöse Stoffe, wie
die Heimkehr des verlorenen Sohnes oder
Christus am Kreuz, Anregung zu künstlerischem
Schaffen. Aber der Behandlung dieser Sujets
blieb jeder kirchliche Beigeschmack fern und nur
das rein Menschliche wurde hervorgehobeu.
Meuuiers letzte und größte Arbeit, die er
kurz vor seinem im April 1905 erfolgten Tod
vollendete und die zugleich die Krönung seines
Lebenswerkes bedeutet, ist das berühmte „Denk-
mal der Arbeit". Es zeigt auf einem halbkreis-
förmigen architektonischen Hintergrund die vier
Reliefdarstellunge» der „Industrie" — Arbeiter
vor den lodernden Flammen des Hochofens —,
des „Bergbaus" — Minenarbeiter, die in der
Tiefe der Erde Erz aus dem harten Gestein
schlagen —, des „Handels" — Lastträger, die
Säcke, Kisten und Fässer vom Schiff in den
Speicher schaffen — und des „Ackerbaus" —
Schnitter und Garbenbinder im sonnedurch-
glühten Erntefeld. Diese Reliefs sind flankiert
von den Statuen und Gruppen des jugend-
lichen „Bergmanns", des männlich kräftigen
„Hammermeisters", des greisen „Ahnen" und
der „Mutterschaft", welche de» Arbeiter im
Zustand der Ruhe zeigen: den Jüngling, dem
ein kurzes Aufatmen genügt, um mit neuer
Kraft zu neuem Schaffe» und neuem Kämpfe»
zu eile», den Mann, der die karg bemessene
Rast zum Grübeln und Nachdenken verwendet,
den apathisch ruhende» Greis und das Weib,
das sich seinen Mutterpflichten nur während
der Mußestunden widmen darf, die ihm die
Fronarbeit im Dienst des Kapitals übriglaßt.
Die Mitte des Ganzen nimmt der „Säemann"
ein, eine kraftvolle, rüstig vorwärtsschreiteude
Männergestalt, die aus der geöffnete» Rechte»
die Saat der Zukunft über das Land streut
— ein schlichtes und stolzes Symbol der neues
Leben und neue Werte schaffenden Arbeit. Das
„Denkmal der Arbeit" sollte nach des Meisters
ursprünglichem Wunsche auf einem großen freien
Platz seiner Vaterstadt aufgestellt werde», wo
Tausende und Abertausende täglich au ihm vor-
überziehen würden. In Form eines mächtige»
Würfels sollte es sich erheben, überragt von der
weithin sichtbaren Gestalt des Sämanns, der
mit seiner symbolische» Geste den Samen der
Zukunft in das Land hinausstreut. Politische
und künstlerische Gründe haben jedoch die Ver-
wirklichung dieses Planes verhindert.
Meuniers Kunst ist keine Tendenzkunst. Sie
will nicht belehren, überreden und aufreizen,
sondern sie begnügt sich mit einer treuen, wahr-
haften und unbefangenen Wiedergabe der Ein-
drücke, die ihr Schöpfer von den Dingen emp-
fing. Aber sie ist auch keine eigenllich natura-
listische Kunst, denn ihr mangelt vor allem die
Freude am fein beobachteten Detail, an den
individuellen Zufälligkeiten der Naturerschei-
nungen. Meuniers Arbeit ging von Anfang
an ins Große. Er strebte weniger nach einer
vollkommene» künstlerischen Beherrschung der
Natur, als nach einem Stil. Es lebt in seinem
Schaffen derselbe Zug, der die Größe aller
klassischen Plastik ausmacht. Es ist, um einen
viel mißbrauchten Ausdruck zu gebrauchen,
der Ewigkeitszug, die Richtung aufs allge-
mein Gültige, unverändert Bleibende. Nicht
Individuen, sonder» Typen suchte Meunier
zu gestalten. De» modernen Arbeiterlypus hat
seine Plastik geschaffen, und durch diese künst-
lerische Tat hat er seinem Namen die Unsterb-
lichkeit gesichert. Er stellt den Arbeiter als
unterdrückten Proletarier dar, der in Schweiß
und Leiden front. Aber er stellt ihn nicht dar
mit jener Rührseligkeit des braven Bürgers,
der es „gut meint" mit dem niederen Volk
und sentimentales Mitleiden hegt mit seiner
Armut. Die ausgemergelten, aus Haut, Knochen
und Sehne» zusammengesetzten Arbeitergestal-
tenMeuniers offenbaren vielmehr die trotz aller
Leiden gewaltige und achtunggebietende Kraft
und Zähigkeit, die sich im modernen Proletariat
verkörpert. Sie offenbaren die Würde und den
Stolz eines unverwüstlich lebenskräftigen, in
allem Elend ungebrochenen Menschentums.
Der von Meunier geschaffene Arbeitertypus
ist der Typus des Geschlechts, dem die Zu-
kunft gehört. John Schikorvsti.