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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0168
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8724

Die Altersgrenze (Schluß von Seite 8722).

Die staubige Landstraße war menschenleer,
nur hier und da knarrte ein schwerer Last-
wagen langsam daher. Die Fuhrleute saßen
schläfrig vorne auf, die Gäule ließen die Köpfe
hängen, denn die Sonne brannte heiß aufs
Land herab. Von drüben herüber glühten rote
Dächer im Sonnengold. Der metallene Gockel-
hahn dort auf dem Kirchturm im Dörflein
spreizte sich so gravitätisch, als wollte er auf
althergebrachte Rechte pochen. Vom Walde
rechts an der Straße her klang Vogelgesang.
Jetzt ivurde die Straße enger, bog talwärts
ein und führte geradeaus hin zu seinem Ziel,
zu der Fabrik. Über dein Schornstein, der wie
ein Niesenarm ins Blaue ragte, hing eine
große, langgezogene Rauchfahne.

Hein Schmid wollte aber zuerst ein-
mal bei seinem Jugendfreund pri-
vatim vorspreche». Er konnte dessen
Wohnung leicht erfragen. Ein sau-
beres Häuschen in lebendiges Grün
eingebettet. Als der Motorführer
am Gartentürchen stand, bellte ihm
ein zottiger Bursche entgegen. Hin-
ter dom Hund kam ein Mädchen
in heller Schürze, tat recht ver-
ängstigt und sagte: „Madam ist in
der Küche, bleiben Sie draußen."

Und da war auch schon die Gnä-
dige und winkte freundlich mit
der Hand.

„Kommen Sie in die Küche, etwas
Suppe ist noch da," sagte sie. Der
Mann am Gartentor brachte nicht
gleich Worte heraus, trat in die
Küche und brachte da sein Anliegen
vor. Er suche Arbeit, und Herr
Meier sei sein Jugendfreund ge-
wesen.

„Mein Mann — Ihr Jugend-
freund?" machte Madame etwas
befremdet, „Marie, hole mal den
Herrn Betriebsleiter herüber!" be-
fahl sie dem Mädchen unb zeigte
dann mit der Hand auf die Küchen-
bank. Hein setzte sich wortlos hin.

Auch die Gnädige blieb still. Nur
einmal liefen ihre Blicke über die
Gestalt des Besuchers und blieben
an der etwas zerschlissenen Klei-
dung des Mannes hasten. Diesen überkam
da ein bitteres Gefühl von Elend und Hilf-
losigkeit.

Endlich kam der Herr Betriebsleiter, tat
ein paar Schritte auf Hein zu, blieb über-
rascht stehen und hob langsam die Hand zum
Gruß. Diese kalte Begrüßung gab dem an-
dern freilich nicht viel Mut, aber er über-
wand, was ihm wehe tat, und schaute den:
Jugendfreund init stillem Lachen voll in das
Gesicht.

Zuletzt fand Meier es doch der Mühe wert,
etwas zu sagen: „Bist wohl immer noch der
alte, der sich in jeder Lebenslage zurecht-
findet. Immer ein Lachen im Gesicht ... hm,
hättest es aber dem Aussehen nach gar nicht
so nötig. Etivas . .. hin . . . defekt, meine
ich." Der Betriebsleiter sprach nach der Art
von Leuten, die im Leben immer Glück habe».

Darauf besann sich Hein Schmid nicht lange
unb sagte ehrlich und glatt hin: „Ist doch

alles eins! Ein Freund der unterwürfigen
Grimassen war ich nie. Kurz und gut, ich
brauche Arbeit. Hast du solche, danke ich es
dir. Das andere hat alles keinen Ziveck."

„Wie alt bist du, doch nicht über die vier-
zig?" fragte nun der glücklichere Jugendfreund
den andern.

„Doch, doch! Aber immer noch flott oben-
auf. Schaffe noch wie ein Junger. Kannst dich
ja davon überzeugen. Da schau her, sind das
nicht rechte Arbeitszangen?" lachte der Motor-
führer und zeigte seine harten Hände hin.

„Unsere Firma stellt Leute über vierzig Jahre
nicht ein. Vierzig ist die Altersgrenze. Das
ist bei uns Grundsatz," sagte nun der Betriebs-
leiter in geschäftsmäßigem Ton.

Viktor emanuel und ItUuta.

„Du, das ist unmenschlich und hart. Sollen
die über vierzig verhungern?" fragte der Ab-
gewiesene.

Der Betriebsleiter zuckte die Achseln. Sein
Schweigen sagte dem andern, daß er nun
gehen möge. Hein Schmid machte kurze Um-
stände, stand auf, grüßte und wollte gehen.

Der Jugendfreund wurde verlegen. „Halt,
warte mal!" sagte er, ging mit großen Schrit-
ten rasch ins andere Zimmer, sprach dort mit
seiner Frau und gab schließlich dem Haus-
mädchen irgendwelche Befehle.

Mit freundlichem Getue kam er zurück in
die Küche und war ganz Gemütsmensch. Nun
machte er in Humanität, sprach von Nächsten-
liebe und meinte schließlich mit großmütiger
Manier: „Bitte, warte noch 'neu Augenblick,
lieber Hein. Kannst ja doch so manches brau-
chen. Unsereiner hat immer etivas Überfluß
in abgetragenen Sachen ... na ja, man ist
doch Mensch, tut, ivas man kan»," und dabei

griff er in die Tasche und schob dem Jugend-
freund ein blankes Markstück hin.

Dieser trat ein paar Schritte zurück-, bekam
einen roten Kopf, als hätte ihn ein Peitschen-
schlag getroffen. Ganz dicht machte er sich nun
an den Betriebsleiter heran und sagte ihm
kurzweg ins Gesicht: „Ich kain nicht als
Bettler hierher. Arbeit wollte ich haben, kein
Almosen!" Dann ging er.

Der Heimweg schien ihm beschwerlicher.
Was er sonst mit klaren Augen und hellen
Sinnen genoß, war ihm nun gleichgültig,
Natur und Vogelfang waren ihm einerlei.
Die Hoffnungslosigkeit machte ihn stumpf und
schwer. So kam er in die Stadt, die voll war
von Soldatenleben.

Woche um Woche verging in
trostloser Dumpfheit, Tag um Tag
war die Nachfrage »ach Arbeit
umsonst. Die ivenigen Spargroschen
waren bald weg. Die Gewerkschaft
war noch der einzige materielle
Halt, das wenige geistige Leben,
das der Krieg übrig ließ, die ein-
zige Quelle, aus der Hein Schmid
inneren Lebensmut schöpfte in die-
sen harten Tagen.

Ein solcher Tag brachte ihm die
Einberufung zum Militär. Zum
Landsturm reichte also die Alters-
grenze doch noch! Und als Hein
Schmid in feldgrauer Uniform aus-
rückte, da war er einer der stramm-
sten unter den Landsturmleuten.

Er tat seine Pflicht als Soldat,
wie er sie einst als Arbeiter an
seiner Maschine erfüllte. Was ihm
engherzige Menschen in der Heimat
verweigerten, das Recht, seine Arme
zu rühren und seine Kräfte zu zei-
gen, das fand er an den Grenzen
seines Vaterlandes. ... L.P.

Wenn der Mensch zu seinem
Leid von heute nicht immer auch
sein Leid von gestern und sein
Leid von morgen hinzurechnete, so
wäre jedes Schicksal erträglich.

Politische Messerhelden.

Es gibt jetzt Leiden im deutschen Land,
Die sind von Wut und Glut entbrannt.

Die machen mit jedem, der uns scheel
Betrachtet, einen Mordskrakeel:

Ein neuer Krieg wär ihnen Genuß —

Nur sind sie selber weit vom Schuß!

Mißtönig klingt ihr Zorngeschrei,

Ihr ewiger Wunsch nach Rauferei,

Nach Rauferei um jeden Preis.

Denn ginge es nach ihrem Geheiß,

Gäb's längst manch neuen Kriegsbeschluß —
Sie selber sind ja weit vom Schuß!

Sie schleifen das Meffer am hellen Tag,
Daß jeder es funkeln sehen mag.

Sie krempeln sich die Ärmel auf
And stürmen tapfer dein Volk vorauf.
Nämlich . . . im tägliche» Zeitungscrguß
Im übrigen bleiben sie weit vom Schuß!

„Weißt du, Schwiegervater, ich getraue inich gar nicht, nach Hause zurück-
zukehren -, ich bin ja doch nur auf Kündigung augcstcllt!"
 
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