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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0190
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8747

„Se. Exzellenz, der Herr Minister ist nicht zu sprechen."
„Aha, unnahbar! Doch gehen wir zur Industrie--

„Tja, mein Lieber, seelisch Hab' ich mer gerade »ich verändert,
aber körperlich bin ich während des Krieges dreißig Pfund schwerer
geworden."

„Dieses Resultat war eigentlich bei den Herren Agrariern vor-
auszusehen —-—

„Hm, liebe Frau, es ist ja furchtbar peinlich, daß der Gatte
und Ernährer gefallen ist; vielleicht kann ich Ihre Not mit einer
Brotkarte lindern-."

Der Kampf mit dem Tod.

Kriegs-Skizze.

Auf der kleinen Station des Ostens, die durch
die Trnppenverschiebuugen zu einer wichtigen
Etappenstation geworden war, herrschte große
Freude: war doch soeben der Liebesgabenzug
angemeldet worden! Der brachte tausend nütz-
liche und angenehme Dinge. Das Schönste
aber war doch, daß er Grüße von der Heimat
und den Lieben daheim brachte, von denen
uns so viele Meilen trennten und wohl noch
aus lange Zeit hin trennen würden.

Nun fuhr er ein, begrüßt von einem Hurra
aus vielen Kehlen. Hinrichsen, der Überbringer
der Liebesgaben, wurde von dem Chefarzt,
dem die großen Lazarette unterständen, mit
freundlichem Handschlag willkommen geheißen.
Beide wohnten im Frieden in derselben han-
növerschen Stadt und kannten sich gut.

„Das hat lange gedauert, bis wir uns mal
wiedersahen. Gute sechs Monate sind Sie nun
fort, nicht wahr?"

„Mir kommt es wie ebensoviel Jahre vor,"
sagte der Arzt ernst.

„Haben Sie zu viel oder zu wenig zu tun?"
fragte Hinrichsen lachend.

„Sie werden ja sehen."

Die Plombe an dem ersten Waggon wurde
gelöst und allerlei verheißungsvolle Kisten und
Kistchen kamen zum Vorschein. Die gebräunten
Gesichter der Soldaten strahlten. Was auf den
einzelnen kam, war nicht gerade überwälti-
gend viel: ein paar Zigarren oder Zigaretten,
süßes Gebäck, ein Fläschchen, hie und da ein
Wurst oder ein Wäschestück. Aber alles dies
wirkte in dieser russisch-polnischen Einöde wie
ungeheure Werte.

„Schade, daß die Spender nicht die Ge-
sichter der Beschenkten sehe» können!" sagte
Hinrichsen. „Sie würden dann vielleicht noch
einmal so tief in die Tasche greifen."

„Das könnte ihnen nichts schaden," stimmte
der Arzt bei. „Denn die Feldgrauen hier haben
schon mehr geopfert als die Geber, so opfer-
willig diese auch manchmal sein mögen!"

„Ja," meinte Hinrichsen, der nun auch ernst
geworden war. „Mehr als sich selber kann
keiner geben."

Sie schritten langsam den Lazaretten zu,
die in ehemaligen, nunmehr verlassenen Fabrik-
sälen untergebracht waren. Ein paar hung-
rige, ausgemergelte Kinder standen ain Weg-
rand, ihre Augen bettelten. Hinrichsen gab
ihnen eine Schokoladentafel. Sie griffen scheu
zu und schlangen die seltene Gabe gierig her-
unter, ein „Dank, Panje!" stotternd.

Der furchtbare Ernst des Krieges hatte auf
die jugendlichen Gesichter bereits längst seinen
Stempel gedrückt: sie schienen um Jahre ge-
altert, und ihre schmalen Schultern senkten
sich, als trügen sie eine allzu große Last.

„Hier gibt es viel Elend." sagte der Arzt.
„Zuviel, um zu helfen. Wir tun, was wir
können, die Soldaten geben von ihren eigene»
Rationen ab. Aber das sind nur Tropfen auf
heiße Steine."

Von ihrem Platz ans sahen sie jetzt die
Weichsel, die mehrere hundert Meter breit da
 
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