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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0202
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8758

Rot blüht der Mohn im bunten Feld,
lind leuchtet über's weite Land,
Blutstropfen gleich, die mancher Held
Verstreute auf dem weißen Sand.

Blühender Mohn.

Und wo er wogt in Sommersglut,
Rotleuchtend wie ein flammend Meer,
Da sog die Erde warmes Blut,

Da ging es heiß beim Kämpfen her.

Eugen Fritsch, im Schützengraben bei St.S-

Die Erde gibt den Trank zurück.

Es ist ihr wohlverstandner Lohn:

Mo jäh zerbrach ein Menschenglück,
Da blüht und glüht der rote Mohn.

o

Wie die Struppin ihren Mann
geholt hat.

Ein KriegSausschnilt aus dem Elsaß. Don A. £.

„Die Strupps", sagte» sie in S . . . . und
meinten einen Mann und eine Frau damit.
Die Strupps waren nichts Besonderes. Ein
Arbeiter eben und seine Frau. Und daß sie
in einer der Spinnereien da drüben arbeiteten,
das ivar auch nichts Besonderes. Denn so ivie
die Strupps, so gab es in dem kleinen Grenz-
dorf noch Hunderte und Hunderte, schlecht
und recht. Manche schlechter, manche rechter,
je nachdem.

Und daß ein Büchsenschuß weit von ihrem
Arbeitssaal Frankreich anfing — sie konnten's
sehen, ivenn sie von ihren Drehspindeln auf-
sprangen —, das war sicher auch nichts Be-
sonderes. Wenigstens im Frieden nicht. Frei-
lich, jetzt im Kriege ivar es etwas anderes.

Denn kaum, daß der Krieg sein Maul auf-
tat, gingen die Tore der Spinnereien von S ...
zu. Ganz automatisch und sicherlich viel eher
als sonst die Tore irgend einer Fabrik im
inner» Reich. Das, ivas darauf folgte — die
Einberufung Strupps und seiner Arbeils-
kanieraden, blasse Gesichter ihrer Ehefrauen,
Reservistentritte auf dem S... scheu Pflaster,
Winken, Rufen aus den Fenstern —, daS
alles war nun allerdings auch wieder anders,
ivie es überall im Neunundsechzigmillionen-
reich war. Max Strupp war eingerückt.

„Sei ruhig, Struppin," hieß es, „der Staat
zahlt dir ein Monatsgeld für deinen
eingerückten Mann."

„Ja," sagte sie einfach, „dafür näh'
ich jetzt die Bettücher fürs Lazarett."

Und sie meinte es nicht ironisch, son-
dern verband nur eines mit dem
andern.

Die Struppin begann eben das
zweite Dutzend Bettücher zu nähen,
als die Franzosen über die Grenze
in S . . . einmarschierten.

Das zweite Dutzend Bettücher der
Marie Strupp ist niemals fertig ge-
worden. Die Franzosen kamen und
nahmen die Bettücher mit.

Ta saß sie nun, die Marie Strupp,
mit ihrer Nadel, von der es weiß
und müßig herunterhing, und schaute
zum Fenster hinaus.

Allerlei sah sie da. übermütige
Franzosen, die Blunien in den Flin-
lenläufen stecken hatten, die Zettel
verteilten und die Gassen entlang
schrien, sie kämen als Befreier der
Leute von S . . ., als Befreier vom
deutschen Joch.

Das verstand die Marie Strupp
nicht.

„Mein Max ivird's euch schon lehren,"
dachte sie und schaute weiter zum Fenster
hinaus. Und wie sie jetzt gedankenvoll die
müßige Nadel in den Fenstervorhang steckte,
sagte sie laut: „Vielleicht muß sein Regiment
gerade hier durch. Wenn er nur schon da
wäre!"

Aber da kam eine Nachbarin und erzählte
hundertundeins Sachen von der Einquartie-
rung der Franzosen. Daß sie erklärt hätten,
kein Teufel bringe sie wieder aus S .. . hin-
aus. Daß sie von S. . . direkt nach Berlin
marschieren wollten. Daß ihr Präsident dem
Deutschen Kaiser vier Stunden Bedenkzeit ge-
geben hätte, sich zu unterwerfen. Und daß der
telegraphisch um vierundzwanzig gebeten hätte.

„Warum nicht gleich um fünfundzwanzig?"
sagte die Struppin und lachte seit dem Kriegs-
beginn zum erstenmal.

Aber die Nachbarin lachte nicht. „Einer von
S . . .", sagte sie, „der's immer mit den Fran-
zosen gehalten habe, der hätte diesen eine
Liste angefertigt. Und darauf ständen alle
wohlhabenden Leute von S . . ."

Und da ging die Türe ans. Eine dritte Ar-
beiterfrau war da. Die hatte das von der
Liste eben noch gehört. „Ja." sagte sie, „und sie
wüßte noch etwas dazu. Nämlich, auf der Liste
seien alle die Gläubiger des Franzosenfreun-
des gestanden, die er auf diese sonderbare Weise
los sein wollte." Und dann war es, daß die
drei Arbeiterfrauen auf einmal herzlich lache»
mußten, trotz der eisernen Zeit.

Aber mitten in dem Gelächter sing es draußen
zu krachen an, so daß die Frauen das Fenster
aufrissen. Und jetzt ein Schreien und Gelaufe
der Franzosen in den Gassen: „Uss Allemands!
Les Allemands!“

Ganz dicht setzten sich die drei Arbeiterfrauen
zusammen. Sie hätten auch in den Keller fliehen
können. Aber sie mußten es vergessen haben.
Nur das Fenster hatten sie wieder zugemacht.
Sie sahen, ivie ein Teil der Fabrik zusammen-
brach, ein anderer Teil in Flammen aufging,
sie sahen, wie die Franzosen herausstürzten, wie
sie schrien, wie sie in den Gassen fielen, wie ihre
Pferde sich am Boden wälzten und mit den
Hufen wild gegen den Himmel schlugen.

Noch immer waren die Stirnen der drei
Arbeiterfrauen fest ans Fenster gepreßt. Jetzt
aber fuhren sie zurück. Schräg gegenüber hatte
eine Granate ein riesiges Loch ins Pflaster
gerissen.

Und dann schwieg das Schießen ein paar
Minuten lang. Die Schlacht holte Atem.

Darauf: „Hurra! Hurra! Hurra!" kam es
grau in grau die Straße herauf. . . .

„Die Unsrigen!" schrien die Frauen und
rissen das Fenster auf. Und dann sah die
Struppin immerzu starr auf die Achseln der
Grauen, als ob sie etwas suche. Auf einmal
hatte sie es trotz des schrecklichen Gewimmels:
„Von meinem Mann das Regiment!" schrie
sie, „das Regiment von Max!"

Und dann kam es weiter feldgrau und immer
wieder feldgrau. Und jetzt entdeckte sie mit den
Augen des Eheweibs, die keinKriegs-
getümmel der ganzen Welt verdun-
keln kann, einen einzelnen Stürmen-
den: „Max!" schrie sie, „Max!"
Aber der Feldgraue da drüben

Stunden vergingen. Die Frauen
saßen noch immer da. Die Struppin
war ganz steinern geworden. Die
beiden andern sprachen auf sie ein.
Aber sie verstand kein Wort.

Der Sturm war vorüber. Das Ge-
fecht draußen auf dem Platz vor
dem Dorfe war vorüber. Die beiden
Nachbarinnen ivaren gegangen. Die
Struppin wußte es nicht. Jemand
rief zum Fenster herein, man könne
wieder heraus, es sei keine Gefahr
mehr. Die Struppin rührte sich nicht.

'Jetzt kam die Nachbarin wieder
am Fenster vorbei: „Geschwind,
Struppin, die Unsrigen kommen zu-
rück! Komm heraus!"

Aber die Struppin kam nicht her-
aus. Sie wartete auf ihren Mann
Der würde doch jetzt gerade zu ihr
kommen. Schon in der nächsten
tRort'etzimg aus Seite 8760.,

W.Steinert im Felde.

Jüdisches HauS in Lodz.
 
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