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Die Verstimmung beim amerikanisch-deutschen Notenaustausch.
In dem überseeischen Telegrammophonduette Michels und Uncle Sams sind neuerdings akustische Nebengeräusche so stark vernehmbar,
daß keine reine Harmonie zu erzielen ist.
Kriegsernte.
Die Kornfruchk reift im Sonnenglanz:
Wer windet Strauß und Erntekranz?
Die Hand, die sonst mit Sensenschlag
Auf ährenschweren Äckern lag,
Heimst heuer blut'ge Garben ein.
Wo Not und Tod Kartätschen spein.
Und heimst den blut'gen Erntelohn
Zwölf lange, bange Monde schon!
Gar manche Hand ward still und müd, —
Manch heißes Blut hat ausgeglüht.
Ein Seufzen, tränenlos und stumm.
Geht in den Heimatgauen um.
Verweinten Augen schwand der Glanz.
Wer windet Strauß und Erntekranz?
Ludwig Lessen.
Auf Arlaub.
Aus dem Briefe eines Feldgrauen.
Von L.G. B.
. . Eine Zeit der höchsten Spannung liegt
hinter mir, in der sich jede Gefühlsäußerung,
jede stilltreibende Gedankenwelle zu der stumm-
hallenden Frage verdichtete: Wie wird es sein,
was wirst du empfinden, wenn du wieder, nach
zehnmonatiger Abwesenheit, deine Behausung
betrittst?
Endlich — endlich ist nun der Zeitpunkt her-
angekommen. Mein Heim hat mich in seine
molligweichen Arme ausgenommen.
Es ist so ruhig, so friedlich, nichts deutet
darauf hin, daß sich die Welt draußen in namen-
losem Jammer verzehrt. Ab und zu berichtet
-o---
mir wohl meine Frau von einer Preissteigerung
auf allen Gebieten, oder die Zeitungshändler
verkünden in marktschreierischen Tönen die
neuesten, sensationellen Nachrichten vom Kriegs-
schauplatz. Das ist aber auch alles, sonst geht
das Leben seinen gewohnten Gang ivie da-
mals im Frieden. Im Herzen Deutschlands ist
es ruhig.
Und ivie ich so ganz stille sitze und diese köst-
liche Ruhe auf mich wirken lasse, da begrüßen
mich auch meine Bücher, die eine -liebe, stille
Hand sorgsam gewahrt und gepflegt hat, und
mein Schreibtisch glitzert und blinkt und ladet
freundlich zu neuer Arbeit ein.
Durch das halbgeöffnete Fenster dringt der
Dust der Linden, die vor meinem Hause blühen,
und ein leichter leiser Wind trägt die verhallen-
den Klänge eines alten, herrlichen Liedes zu
mir ins Gemach, das eine schöne junge Frau
auf einem guten Klavier jämmerlich herunter-
poltert. Wie oft habe ich früher über dieses
Höllenkonzert, wie ich es damals nannte, ge-
flucht, wenn ich in meine Arbeit vertieft am
Schreibtisch saß, und jeder Gedanke verflog
wie Spreu im Winde, sobald das vermaledeite
Geklimper anhub. Jetzt, — ich höre es mit an,
aber böse werden kann ich nicht, liegt doch
so viel friedliche Gemütlichkeit darin.
Ich lasse meine Blicke weiter schweifen. Da
sieht ja auch wie immer mein Gegenüber,
der alte, verhüstelte Hutfabrikant aus dem
Fenster, der uns in besseren Zeiten, wenn wir
beim Frühstück saßen, die Bissen sorgsam in
den Mund zählte. Wie sonst raucht er die un-
vermeidliche Havanna. Jetzt blickt er herüber,
verzerrt den Mund zu binem Lächeln, nickt
mit dem wackelnden Köpfchen und aus seinen
Augen spricht die ganz erstaunte Frage: „Ra,
sind Sie auch wieder da?"
Nichts hat sich scheinbar verändert, seit ich
fort bin, und doch so manches. Viele sind aus-
gezogen, die nimmer wiederkehren werden und
doch einst getreue Kameraden und Studien-
genossen, streng-ernste Lebenskämpfer waren.
Warum das alles?
Ein frommer Herr, mit dem ich neulich diese
Frage besprach, erklärte alle Wechselschläge
im menschliche» Leben aus dem Walte» eines
unabwendbaren Geschicks. Wenn dem so wäre,
wozu dann unser Lebenskampf, wozu alles
Ringen und Streben?
Warum üben wir nicht Kismet, lassen unS
still treiben?
Da las ich in einer Zeitung einen Artikel:
Das Eingreifen Italiens in den Krieg. Sein
Verfasser meinte, es wäre vermeidlich ge-
wesen. Das mag wohl so sein. Der Mensch
ist der Gestalter seines Lebens, in seiner Hand
liegt sein Schicksal. Wieviel stolze, friedliche
Kraft könnte der Mensch sich nutzbar machen
vermöge seiner technischen Errüngenschafteu.
Wieviel Elend, wieviel Ungeheuerlichkeiten
könnte er sich ersparen bei vernünftiger Aus-
nutzung seiner Instrumente für Kulturzwecke.
Machtlos steht er nun den Erfindungen seines
eigenen Geistes gegenüber, sich zitternd in den
Schoß der Erde verbergend und an ein un-
abwendbares Schicksal glaubend, das er doch
selbst herausbeschworen hat und dessen im-
pulsive Gewalt ihn jetzt zerschmettert. .. .
o
Nun stehe ich schon wieder mitten im Ge
triebe, und mein Urlaub ist nur noch die weh-
mütige Erinnerung stiller Stunden. Indes, ich
lasse den Kopf nicht hängen und gebe allen den-
selben gutgemeinten Rat. Wir Sozialisten glau-
ben an die Menschheit und wissen, daß jede,
noch so auspannende Zeit de» Geist der Ent-
wicklung in sich trägt, der uns einst zum Lichte
emporführen wird.
Ich grüße Dich. — Auf Wiedersehen!"
Die Verstimmung beim amerikanisch-deutschen Notenaustausch.
In dem überseeischen Telegrammophonduette Michels und Uncle Sams sind neuerdings akustische Nebengeräusche so stark vernehmbar,
daß keine reine Harmonie zu erzielen ist.
Kriegsernte.
Die Kornfruchk reift im Sonnenglanz:
Wer windet Strauß und Erntekranz?
Die Hand, die sonst mit Sensenschlag
Auf ährenschweren Äckern lag,
Heimst heuer blut'ge Garben ein.
Wo Not und Tod Kartätschen spein.
Und heimst den blut'gen Erntelohn
Zwölf lange, bange Monde schon!
Gar manche Hand ward still und müd, —
Manch heißes Blut hat ausgeglüht.
Ein Seufzen, tränenlos und stumm.
Geht in den Heimatgauen um.
Verweinten Augen schwand der Glanz.
Wer windet Strauß und Erntekranz?
Ludwig Lessen.
Auf Arlaub.
Aus dem Briefe eines Feldgrauen.
Von L.G. B.
. . Eine Zeit der höchsten Spannung liegt
hinter mir, in der sich jede Gefühlsäußerung,
jede stilltreibende Gedankenwelle zu der stumm-
hallenden Frage verdichtete: Wie wird es sein,
was wirst du empfinden, wenn du wieder, nach
zehnmonatiger Abwesenheit, deine Behausung
betrittst?
Endlich — endlich ist nun der Zeitpunkt her-
angekommen. Mein Heim hat mich in seine
molligweichen Arme ausgenommen.
Es ist so ruhig, so friedlich, nichts deutet
darauf hin, daß sich die Welt draußen in namen-
losem Jammer verzehrt. Ab und zu berichtet
-o---
mir wohl meine Frau von einer Preissteigerung
auf allen Gebieten, oder die Zeitungshändler
verkünden in marktschreierischen Tönen die
neuesten, sensationellen Nachrichten vom Kriegs-
schauplatz. Das ist aber auch alles, sonst geht
das Leben seinen gewohnten Gang ivie da-
mals im Frieden. Im Herzen Deutschlands ist
es ruhig.
Und ivie ich so ganz stille sitze und diese köst-
liche Ruhe auf mich wirken lasse, da begrüßen
mich auch meine Bücher, die eine -liebe, stille
Hand sorgsam gewahrt und gepflegt hat, und
mein Schreibtisch glitzert und blinkt und ladet
freundlich zu neuer Arbeit ein.
Durch das halbgeöffnete Fenster dringt der
Dust der Linden, die vor meinem Hause blühen,
und ein leichter leiser Wind trägt die verhallen-
den Klänge eines alten, herrlichen Liedes zu
mir ins Gemach, das eine schöne junge Frau
auf einem guten Klavier jämmerlich herunter-
poltert. Wie oft habe ich früher über dieses
Höllenkonzert, wie ich es damals nannte, ge-
flucht, wenn ich in meine Arbeit vertieft am
Schreibtisch saß, und jeder Gedanke verflog
wie Spreu im Winde, sobald das vermaledeite
Geklimper anhub. Jetzt, — ich höre es mit an,
aber böse werden kann ich nicht, liegt doch
so viel friedliche Gemütlichkeit darin.
Ich lasse meine Blicke weiter schweifen. Da
sieht ja auch wie immer mein Gegenüber,
der alte, verhüstelte Hutfabrikant aus dem
Fenster, der uns in besseren Zeiten, wenn wir
beim Frühstück saßen, die Bissen sorgsam in
den Mund zählte. Wie sonst raucht er die un-
vermeidliche Havanna. Jetzt blickt er herüber,
verzerrt den Mund zu binem Lächeln, nickt
mit dem wackelnden Köpfchen und aus seinen
Augen spricht die ganz erstaunte Frage: „Ra,
sind Sie auch wieder da?"
Nichts hat sich scheinbar verändert, seit ich
fort bin, und doch so manches. Viele sind aus-
gezogen, die nimmer wiederkehren werden und
doch einst getreue Kameraden und Studien-
genossen, streng-ernste Lebenskämpfer waren.
Warum das alles?
Ein frommer Herr, mit dem ich neulich diese
Frage besprach, erklärte alle Wechselschläge
im menschliche» Leben aus dem Walte» eines
unabwendbaren Geschicks. Wenn dem so wäre,
wozu dann unser Lebenskampf, wozu alles
Ringen und Streben?
Warum üben wir nicht Kismet, lassen unS
still treiben?
Da las ich in einer Zeitung einen Artikel:
Das Eingreifen Italiens in den Krieg. Sein
Verfasser meinte, es wäre vermeidlich ge-
wesen. Das mag wohl so sein. Der Mensch
ist der Gestalter seines Lebens, in seiner Hand
liegt sein Schicksal. Wieviel stolze, friedliche
Kraft könnte der Mensch sich nutzbar machen
vermöge seiner technischen Errüngenschafteu.
Wieviel Elend, wieviel Ungeheuerlichkeiten
könnte er sich ersparen bei vernünftiger Aus-
nutzung seiner Instrumente für Kulturzwecke.
Machtlos steht er nun den Erfindungen seines
eigenen Geistes gegenüber, sich zitternd in den
Schoß der Erde verbergend und an ein un-
abwendbares Schicksal glaubend, das er doch
selbst herausbeschworen hat und dessen im-
pulsive Gewalt ihn jetzt zerschmettert. .. .
o
Nun stehe ich schon wieder mitten im Ge
triebe, und mein Urlaub ist nur noch die weh-
mütige Erinnerung stiller Stunden. Indes, ich
lasse den Kopf nicht hängen und gebe allen den-
selben gutgemeinten Rat. Wir Sozialisten glau-
ben an die Menschheit und wissen, daß jede,
noch so auspannende Zeit de» Geist der Ent-
wicklung in sich trägt, der uns einst zum Lichte
emporführen wird.
Ich grüße Dich. — Auf Wiedersehen!"