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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0263
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8819 —

Die Kriegsziele.

Von Eugen Fritsch, im Felde.

Da streitet sich das Publikum,

Derweil wir noch im Felde stehn.

Gar hitzig um die Frage 'rum.

Worin das Kriegsziel soll bestehn.

Noch eh' die Beute ist erlegt.

Den Feind sein Schicksal hat ereilt.

Wird in der Leimat unentwegt
Das Fell des Bären schon verteilt.

Die Lerren von der Industrie,

Die finden Deutschland viel zu klein,

And fordern von der Strategie
In Ost und West viel Beute ein.

Auch Landwirtschaft und Landelswelt
Legt für den Plan viel Sympathie,
Antwerpen als ein Opfergeld
Scheint ihnen Zukunftsgarantie.

Das gilt dem bösen Engeliand,

Dem Vetter, einst so lieb und wert.

Der neidisch an dem Themsestrand
Gen Deutschlands Handel aufbegehrt.

Da mischt in den Froschmäusekrieg
Sich eine Stimme mächtig ein.

Die selbst gekämpft für Deutschlands Sieg,
And fragt: Das soll das Kriegsziel sein?

Ihr wünscht, daß Deutschland groß und stark —
Eroberung machl's nicht allein!

Wir kämpfen für des Reiches Mark,

Am endlich frei und gleich zu sein!

Wir sind vor den Granaten gleich.

Auch jeder Kugel bleibt das Recht,

Sich auszusuchen arm und reich.

And manche trifft, und oft nicht schlecht.

Wir haben all ein köstlich Gut
Dem Vaterlande dargebracht.

Es ist das warme rote Blut,

Das reichlich floß in mancher Schlacht.

Denkt daran auch zur Friedenszeit
And daran, daß so mancher fiel!

Mehr Freiheit und Gerechtigkeit —
Das ist der Kämpfer Friedensziel!

o Urlaub, o

Freund Leberecht ist von Beruf Dachdecker.
Das heißt: er war's vor dem Kriege.

Im vorigen Herbste mußte er von seiner
jungen Frau und seinein Söhnchen Abschied
nehmen und „Soldat lernen", wie er sagte.

„Wird dir auch nicht leicht sein," meinte ich.
„Gelenkig bist du ja, aber grade kein Athlet."

„Werden's schon schaffen. Sind ja an Ar-
beit gewöhnt, wenn auch nicht an die." Er
lachte sorglos. „Frei Kost und Logis und drei
Groschen dazu — lustig ist das Soldatenleben,
sagen manche. Bloß Mutter wird zu krebsen
haben, was, Anne?"

„Keine Angst, Franz!" Die junge Frau
machte zuversichtliche Augen und zwang sich
ein Lachen ab. „Der Schorsch und ich, wir
essen wie die Spatzen, und zwei Spatzen bring'
ich schon durch. Es wird ja auch nicht lange
dauern, was?"

„Ne - e." Er zog die Stirn in Falten.
„Hoffentlich nicht, Anne. Und wenn — was
hilft's?"

Ja, was half's? Franz Leberecht kam in
eine östliche Garnison zur Ausbildung und
schrieb mir von dort eine Karte:

„Und drückt auch der Affe
Und drückt das Gewehr,

Einem richtigen Landsturmmanne,

Ist überhaupt nichts zu schwer."

Dann sah und hörte ich nichts mehr von
ihm. — Bis gestern.

Gestern ging ich die Straße entlang und
ninßte vor einem Bauzaun ausweichen, der sich
über den Gehsteig erstreckte. Ein Wagen, mit
Mauersteinen beladen, hielt davor. Und zwi-
schen Zaun und Wagen stand ein Steinträger,
die plattgedrückte Militärmütze im Nacken,
über den eine rote Hand ein buntes Taschen-
tuch hin und her rieb.

„Hallo, man nicht so stolz!" sagte er.

Ich beguckte ihn näher: „Franz? Franz Lebe-
recht? Nee, bist du das?"

„In Lebensgröße, oller Freund. Oder haste
schon mal 'n Geist als Steinträger gesehen?"

„Nee . . . aber Mensch! Ich denk', du er-
oberst Rußland und —"

„Hat er auch."

und Frankreich."

„Alles schon besorgt, mein Lieber. Aber jetzt
woll'n wir erst mal wieder 'n Happen Draht
verdienen, keinen Stacheldraht. Mutter braucht
dies und der Junge das. . ."

Er begann seine Molle mit Steinen zu füllen.

„Weshalb gehst du denn nicht als Dach-
decker, der du bist?"

„Lohnt sich nicht anzufangen. Das hier ist
bloß 'ne Gelegenheitsarbeit, die ich mitnehme,
iveil sie mir grade so paßrecht in den Weg
kam." Er schulterte die Molle.

„Warum haben sie dich denn laufen lassen?
Verwundet gewesen?"

„Nee." Er versuchte der Last die richtige
Lage zu geben.

„Krank siehste doch nicht aus."

„Nee." Er lachte. „Mir fehlt gar nischt.
Bloß Moneten..."

Vom Bau herunter tönte ein scharfer Pfiff,
und eine gemütliche Stimme sang: „Stee—ne,
Stee ne, wo bleiben meine Stee ne?"

,,'n Augenblick!" Franz klomm die Leiter
empor. Sie wippte unter der Last und bog
sich in der Mitte. Dann polterte es oben.

Franz kam eilig mit leerer Molle zurück
und schichtete, während er sprach, wieder eine
neue Last darin auf.

„Ungewohnte Arbeit," sagte er. „Kuck mal,
die Finger zerreißt's, und meine Schulter ist
ein blauer Fleck. Da ist der Kuhfuß doch noch
leichter."

„Ja, aber warum bist du eigentlich ent-
lassen worden?"

„Entlassen?" Franz Leberecht hob die schwere
Molle auf die Achsel und kehrte mir sein rotes,
schweißiges Gesicht mit großen Auge» zu.
„Entlassen? Wer spricht denn davon? Ich
hab'doch bloß Erholungsurlaub, Mensch!"

,,— Stee—ne, Stee—ne, wo bleiben meine
Stee—ne?"

„Ja!! Zum Donnerwetter!" Franz warf
einen wütenden Blick nach oben.
„Erholungsurlaub?"

„Natürlich! In acht Tagen geht's wieder an
die Front. Adies, oller Junge. Auf Wieder-
sehen!"

„Auf Wiedersehen!"

Franz Leberecht keuchte eilig die Leiter hin-
auf. Pan.

&&

Tragödie.

Die Kölner Straßenbahndireklion hat verboten, daß
auf den Endstationen der Linien die Schaffner und
Schaffnerinnen sich in ein und demselben Wagen an^
halten.

Es waren zwei Stratzenbahnschaffner
Im heilige» Köln am Rhein,

Der eine hieß Nepomuk Hannes,

Die andere Anna Kathrein;

Sie fuhren dieselbige Strecke
Vom Neumarkt hinüber nach Deutz
And schauten sich tief i» die Augen
And liebten sich beiderseits.

Sobald sie am Endpunkte hielten
Zur fahrplanmäßigen Zeit,

Sv setzten sie in den Wagen
Sich beide Seite an Seit',

Sie sprachen von diesem und jenem
And seufzte» aus tiefster Brust
And drückten sich schweigend die Hände
I» stummer, seliger Lust.

Denn »och hatte Nepomuk Hannes
An diesem traulichen Ort
Sich nicht vermesse» zu sprechen
Das letzte, entscheidende Wort;

Indessen am vorigen Montag,

Dem Tage des heil'gen Krispin:

Gedacht' er bestimmt sie zu fragen;

„Sprich, wiNst du mich, Anna Kathrein?"

Jedoch als der Tag war gekommen.

Erwartet in heißestem Drang,

Da las er im Stratzenbahnhof
Das neue Bctricbsrcglcment;

And er rauft sich die goldene Locke,

And er röchelte: „Hölle und Tod!

Jetzt darf ich sic nimmermehr sprechen
Don wegen dem neuen Verbot!"

Sie konnten zusammen nicht komme».

Denn immer am Halteplatz
Saß in einem Wagen der Hannes,

Im andern sein harrender Schatz;

And als drei Tage vergangen.

Wehklagte Anna Kathrein:

„Ich sch'es, das Aas will sich drücken!"

And sprang in den wogenden Rhein.

Ais Nepomuk dieses erfahren.

Da rief er: „Jetzt häng' ich mich uff!"

Dann hat er sich anders besonnen
And ergab sich dem schweigende» Suff. —

So wurden gleich zwei Existenzen
In kürzester Zeit ruiniert.

And das hat mit ihrem Akase

Die Straßcnbahnlcitnng vollführt. Balduin.
 
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