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OMatfilos.
s Robelfpane. es
Es gibt ein Blümchen „Rührmichnichtan",
In Deutschland kennt es jedermann,
Das wächst gar üppig und gedeiht
Und streckt die Wurzeln weit und breit,
Und nimmt damit gar meisterhaft
Viel andern Pflanzen Saft und Kraft.
Der starke Arm der Obrigkeit
Ist sonst zu schnellem Griff bereit.
Er ist gar lang und holt sich her
Die Opfer über Land und Meer.
Doch reicht der lange Arm nicht 'ran
An diese Blume „Rührmichnichtan".
So treibt sie üppig fort und geil
Und nimmt sich ungeniert ihr Teil
Vom Boden, der doch allen gehört.
Wann kommt der Gärtner, der sie stört
Im Wachsen und entfernen kann
Die Wucherblume „Rührmichnichtan"??
Wieder einmal ist der Streit entbrannt, ob die deutsche Fraktnr-
schrift oder die ausländische Antiquaschrist zur Anwendung kommen
soll. Sehr überflüssig! Wenn man nur mit unseren Lebensmiltelspeku-
lanten endlich Fraktur reden wollte!
Eine neue Wanderausstellung wird von der Reichszentralstellc für
billige Lebensmittel veranstaltet. Es soll den Schulmädchen als zu-
künftigen Hausfrauen gezeigt werden, wie Butter und Schmalz aus-
sehen, was ihnen zu Hanse bedauerlicherweise nicht beigebracht wird.
Für später schweben Erwägungen über Ausstellungen von Fleisch, Hülsen-
früchten usiv. Ihr getreuer Säge, Schreiner und Landstürmer.
Kriegslist war durchschaut und hatte vn weiter
keinen Zweck mehr.
Jetzt müssen wir wieder an die vermehrte
Sicherung unserer Stellungen denken und die
Unterstände ausbauen. Lieber Maxe, die Liebe
und Sorgfalt, mit der ein Vogelpaar sein Nest
herzustellcn pflegt, >vo es nachher seine Eier
hineinlegt, würde Dir heute nicht ins geringste
mehr imponieren, wenn Du sehen würdest,
wie wir hier unsere Nester mit eine innige
Sorgfalt ausbauen.
Wir buddeln Tag und Nacht mit angespannte
Kräfte, und das kostet Schweiß und Marks,
so daß der Körper des Kriegers in solche Tage
einer besonderen Pflege und Stärkung bedarf.
Da Du in Deinem letzte» Brief vergessen hast,
mir zu fragen, was Dn mir mit das nächste
Liebespaket schicken sollst, so teile ich Dir deshalb
mit: ob Gilka oder Mampe, ist mir schnuppe.
Bis dahin zeichne ich als Dein treuer Freund
August Säge jun., Garde-Grenadier.
Der Überreichstag.
Der konservative Abgeordnete v. Brockhusen
hat die Schaffung eines Reichsrats vorge-
schlagen, der bei den bevorstehenden Friedens-
verhandlungen an die Stelle des Reichstags
treten, alle Friedensvorschläge prüfen und die
Beschlußfassung darüber überwachen soll. Der
Abgeordnete v. Brockhusen ist jedoch bei seinem
angestrengten Nachdenken über das Wohl des
gegenwärtigen und zukünftigen Deutschland
noch weiter gegangen. Um allen Partcistreitig-
keiten über die Zusammensetzung dieses Reichs-
rats von vornherein zu begegnen, schlägt er
nunmehr vor, ben Frieden einfach aus dem
nächsten Familientage derer v. Brockhusen be-
raten zu lassen.. ..
Lieber Jacob!
Det eener for sein Berjniejen wat bezahlen
muß, is »ich mehr ivie recht un billig, un ick
sehe vollständig ein, det wir dem Weltkrieg
»ich jratis haben kennen. Aber jewisse Jrenzen
der Schicklichkeit missen jezogen werden, un wat
zu ville is, is zu ville, un de Ausverschämt-
heit bei de ewije Preistreiberei is derartig,
det et selbst eenen jedutdijen Patrioten schließ-
lich sauer uffstoßen muß! Wenn ick morjens
erwache, zittere ick bereits am janzen Leibe,
weil ick bloß immer daran denke: wat ivird
heite de Jraupe kosten? Denn det se jeder
Nacht teirer jemorden is, unterliegt niemals
keenen Zivcifel »ich. Un ick kan» keenen Laden
nich mehr betreten, ohne det ick meine janze
Menschenliebe zusammenrgffen muß, damit ick
mir nich am Ende mal verjesse un eenen
Dotschlag aus jekränkle Berzweifelung bejehe!
Letzten Sonnabend, wie ick mein Wochen-
lohn bekommen habe, da denke ick: wirst mal
deine Olle 'ne jalante Jberraschung bereiten
un se mit'« halb Pfund Rindfleesch unter de
Reese sehen! Jesagt, jetan. Ick umhille mir
mit Sanftmut un klettere in den neechsten
Fleescherladen. „Kostenpunkt?" frage ick. „Een
Emm!" sagt der Kerl. „Inwiefern?" erknndije
ick mir. „Viehpreise wieder enorm jestiejen un
Arbeetskräfte nich mehr zu bezahlen; allens
einberusen!" informiert er mir. „Scheen Dank
for de jietije Belehrung," sage ick, „et is man
bloß '» Jlick, det de Ochsen nich ooch »och
einberufen werden." Er kielt mir mit jering-
schätzende Miene an, rviegt ab und kredenzt
mir for mein schweres Jcld eene Hnndvoll
Knochen, Sehnen un Zadder. „Bei diesen Och-
sen", sage ick, indem ick mir de Bescherung bc-
kieke,„rvar 'ne Einberufung allerdings nich mehr
zu befirchteu, der is schon mindestens vier Jahre
ans de Landstnrinflicht raus jervesen." Nu
rvurde er jrob, un ick konnte mir ooch nich
länger bemänteln, een Wort jab det andere,
un schließlich mußte ick mir zu eenen jeord-
neten Rickzug entschließen, indem det er nach
een Kalbsjeschlinge jriff, woraus ick entnahni,
det er zu Tätlichkeiten ieberjehen wollte.
Also jondele ick rveiter, un damit zu det
magere Rindfleesch doch ooch een Fettooge bei
war, bejebe ick mir in eenen zweeten Laden un
verlange nach een Viertel Marjarine. „Mar-
jarine? Jibts schon lange nich mehr!" krieje
ick zur Antwort. „Woso?" frage ick. „De Mar-
jarine wurde frieher aus Jriechenland jeliefert
un da is de Jrenze seit vorigte Woche jesperrt,"
sagt det Aas. „Also een Viertel Schweine-
schmalz," lenke ick ein, indem ick mir diabolisch
beherrsche, „aber nich die Sorte von neilich,
die hat mir zu sehr im Halse jekratzt." „Da
kann ick nischt vor!" knurrt er mir an, „ick
steche doch in det Schmalz nich drin!" „Na,
jloobcn Se denn etwa," apoplexiere ick in die-
selbe Tonart, „det det Schweineschmalz da-
durch ivohlschmeckendcr werden wirde? Aber
sehen Se inal hier, wat da drin sticht: een
Brummer, so jroß wie mein Daumen!" „Det
is in de Kriegszeit nich zu vermeiden," krieje
ick zur Antwort, „Brummer sind jetz ieberall,
denn de Fliejenstöcker kamen aus Buljarien,
un det kan» sie jetz nich mehr liefern, weil
et sie selber im Felde braucht!"
Nu machte ick aber schleinigst, det ick 'raus-
kam, denn sonst hätte ick unwiderruflich eenen
Mord besangen!
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,
an ’» Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Redaktionsschluß 1. November 1915,
OMatfilos.
s Robelfpane. es
Es gibt ein Blümchen „Rührmichnichtan",
In Deutschland kennt es jedermann,
Das wächst gar üppig und gedeiht
Und streckt die Wurzeln weit und breit,
Und nimmt damit gar meisterhaft
Viel andern Pflanzen Saft und Kraft.
Der starke Arm der Obrigkeit
Ist sonst zu schnellem Griff bereit.
Er ist gar lang und holt sich her
Die Opfer über Land und Meer.
Doch reicht der lange Arm nicht 'ran
An diese Blume „Rührmichnichtan".
So treibt sie üppig fort und geil
Und nimmt sich ungeniert ihr Teil
Vom Boden, der doch allen gehört.
Wann kommt der Gärtner, der sie stört
Im Wachsen und entfernen kann
Die Wucherblume „Rührmichnichtan"??
Wieder einmal ist der Streit entbrannt, ob die deutsche Fraktnr-
schrift oder die ausländische Antiquaschrist zur Anwendung kommen
soll. Sehr überflüssig! Wenn man nur mit unseren Lebensmiltelspeku-
lanten endlich Fraktur reden wollte!
Eine neue Wanderausstellung wird von der Reichszentralstellc für
billige Lebensmittel veranstaltet. Es soll den Schulmädchen als zu-
künftigen Hausfrauen gezeigt werden, wie Butter und Schmalz aus-
sehen, was ihnen zu Hanse bedauerlicherweise nicht beigebracht wird.
Für später schweben Erwägungen über Ausstellungen von Fleisch, Hülsen-
früchten usiv. Ihr getreuer Säge, Schreiner und Landstürmer.
Kriegslist war durchschaut und hatte vn weiter
keinen Zweck mehr.
Jetzt müssen wir wieder an die vermehrte
Sicherung unserer Stellungen denken und die
Unterstände ausbauen. Lieber Maxe, die Liebe
und Sorgfalt, mit der ein Vogelpaar sein Nest
herzustellcn pflegt, >vo es nachher seine Eier
hineinlegt, würde Dir heute nicht ins geringste
mehr imponieren, wenn Du sehen würdest,
wie wir hier unsere Nester mit eine innige
Sorgfalt ausbauen.
Wir buddeln Tag und Nacht mit angespannte
Kräfte, und das kostet Schweiß und Marks,
so daß der Körper des Kriegers in solche Tage
einer besonderen Pflege und Stärkung bedarf.
Da Du in Deinem letzte» Brief vergessen hast,
mir zu fragen, was Dn mir mit das nächste
Liebespaket schicken sollst, so teile ich Dir deshalb
mit: ob Gilka oder Mampe, ist mir schnuppe.
Bis dahin zeichne ich als Dein treuer Freund
August Säge jun., Garde-Grenadier.
Der Überreichstag.
Der konservative Abgeordnete v. Brockhusen
hat die Schaffung eines Reichsrats vorge-
schlagen, der bei den bevorstehenden Friedens-
verhandlungen an die Stelle des Reichstags
treten, alle Friedensvorschläge prüfen und die
Beschlußfassung darüber überwachen soll. Der
Abgeordnete v. Brockhusen ist jedoch bei seinem
angestrengten Nachdenken über das Wohl des
gegenwärtigen und zukünftigen Deutschland
noch weiter gegangen. Um allen Partcistreitig-
keiten über die Zusammensetzung dieses Reichs-
rats von vornherein zu begegnen, schlägt er
nunmehr vor, ben Frieden einfach aus dem
nächsten Familientage derer v. Brockhusen be-
raten zu lassen.. ..
Lieber Jacob!
Det eener for sein Berjniejen wat bezahlen
muß, is »ich mehr ivie recht un billig, un ick
sehe vollständig ein, det wir dem Weltkrieg
»ich jratis haben kennen. Aber jewisse Jrenzen
der Schicklichkeit missen jezogen werden, un wat
zu ville is, is zu ville, un de Ausverschämt-
heit bei de ewije Preistreiberei is derartig,
det et selbst eenen jedutdijen Patrioten schließ-
lich sauer uffstoßen muß! Wenn ick morjens
erwache, zittere ick bereits am janzen Leibe,
weil ick bloß immer daran denke: wat ivird
heite de Jraupe kosten? Denn det se jeder
Nacht teirer jemorden is, unterliegt niemals
keenen Zivcifel »ich. Un ick kan» keenen Laden
nich mehr betreten, ohne det ick meine janze
Menschenliebe zusammenrgffen muß, damit ick
mir nich am Ende mal verjesse un eenen
Dotschlag aus jekränkle Berzweifelung bejehe!
Letzten Sonnabend, wie ick mein Wochen-
lohn bekommen habe, da denke ick: wirst mal
deine Olle 'ne jalante Jberraschung bereiten
un se mit'« halb Pfund Rindfleesch unter de
Reese sehen! Jesagt, jetan. Ick umhille mir
mit Sanftmut un klettere in den neechsten
Fleescherladen. „Kostenpunkt?" frage ick. „Een
Emm!" sagt der Kerl. „Inwiefern?" erknndije
ick mir. „Viehpreise wieder enorm jestiejen un
Arbeetskräfte nich mehr zu bezahlen; allens
einberusen!" informiert er mir. „Scheen Dank
for de jietije Belehrung," sage ick, „et is man
bloß '» Jlick, det de Ochsen nich ooch »och
einberufen werden." Er kielt mir mit jering-
schätzende Miene an, rviegt ab und kredenzt
mir for mein schweres Jcld eene Hnndvoll
Knochen, Sehnen un Zadder. „Bei diesen Och-
sen", sage ick, indem ick mir de Bescherung bc-
kieke,„rvar 'ne Einberufung allerdings nich mehr
zu befirchteu, der is schon mindestens vier Jahre
ans de Landstnrinflicht raus jervesen." Nu
rvurde er jrob, un ick konnte mir ooch nich
länger bemänteln, een Wort jab det andere,
un schließlich mußte ick mir zu eenen jeord-
neten Rickzug entschließen, indem det er nach
een Kalbsjeschlinge jriff, woraus ick entnahni,
det er zu Tätlichkeiten ieberjehen wollte.
Also jondele ick rveiter, un damit zu det
magere Rindfleesch doch ooch een Fettooge bei
war, bejebe ick mir in eenen zweeten Laden un
verlange nach een Viertel Marjarine. „Mar-
jarine? Jibts schon lange nich mehr!" krieje
ick zur Antwort. „Woso?" frage ick. „De Mar-
jarine wurde frieher aus Jriechenland jeliefert
un da is de Jrenze seit vorigte Woche jesperrt,"
sagt det Aas. „Also een Viertel Schweine-
schmalz," lenke ick ein, indem ick mir diabolisch
beherrsche, „aber nich die Sorte von neilich,
die hat mir zu sehr im Halse jekratzt." „Da
kann ick nischt vor!" knurrt er mir an, „ick
steche doch in det Schmalz nich drin!" „Na,
jloobcn Se denn etwa," apoplexiere ick in die-
selbe Tonart, „det det Schweineschmalz da-
durch ivohlschmeckendcr werden wirde? Aber
sehen Se inal hier, wat da drin sticht: een
Brummer, so jroß wie mein Daumen!" „Det
is in de Kriegszeit nich zu vermeiden," krieje
ick zur Antwort, „Brummer sind jetz ieberall,
denn de Fliejenstöcker kamen aus Buljarien,
un det kan» sie jetz nich mehr liefern, weil
et sie selber im Felde braucht!"
Nu machte ick aber schleinigst, det ick 'raus-
kam, denn sonst hätte ick unwiderruflich eenen
Mord besangen!
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,
an ’» Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Redaktionsschluß 1. November 1915,