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Immer noch!
Dun welken und gelben im Walde die Blätter,
Schon lang, dass die letzte der Nachtigall » schwieg.
Rauh übers öefild braust des Fjerbststurms Wetter —
Und draussen — und drattssen ist immer noch Krieg!
Als sich im Lenz die Bäume begrünten
Und Blüten sich hoben in Wiese und Wald,
Die seligen Hoffnungen sich erkühnten:
„Run wird es Jriede! Dun kommt er bald!“
6s kam der Sommer mit sengenden Bluten,
Mit all seinem Reifen und all seinem Brand,
Doch weiter tobte das Kämpfen und Bluten,
Das Ringen und Streiten um Macht und Land,
Jetzt ist es Herbst, und die 5rucl)t ist geborgen,
Wir streuen ins Seid schon die kommende Saat,
Doch weiter wuchern die lastenden Sorgen
Um unsre Lieben, um Uolk und Staat.
Bald naht der Winter mit eisigem Brauen,
Mit heissendem Srost und blendendem Schnee —
Will nirgends licht eine Hoffnung blauen
Auf rasches 6»de von all dem Weh? ernst Kiaar.
Stellungskrieg.
Eine Erinnerung von Josef Ktiche, in, Felde (West-
Betgien).
Einige Stunden nach Mitternacht.
Undurchdringliches Dunkel liegt Über den
Bezirken des Poldenlandes. Nachdem wir^ilo-
meterweit, znm Teil bis an die Knie, im
Schlamm der anfgeweichten Felder gestapft,
stehen wir vor einer trotz der tiefen Finsternis
erkennbaren breiten Wasserfläche,
Als wir vor einigen Taget, die Wiesenstelle
passierten, konntetr ivir, wenn auch langsam
Fuß um Fuß Raum gewinnend, noch nach
den jenseitigen Rübenfeldern gelangen. Heute
ist es vorbei damit. „Bis att die Husten ging
das Wasser", erzählen uns Kameraden, die
tags vorher den Weg gehen mußten.
Nun aber haben Pioniere einen langen,
schmalen Steg geschlagen, an dem sich das
Wasser brausend bricht. Er dient uns als
Übergang, und vorsichtig tastend erreichen ivir
den von einigen alten Weiden bestandenen
Wiesensaum.
Alte Weiden. Knorrig und gespenstisch sehen
sie ans. Beim Mondenlichl habe ich sie die
letzten Wochen oft gesehen. Und jedesmal
wurde ich elegisch: Willst feiner Knabe du
mit mir gehn? — -
Des Erlkönigs Ruf schien mir immer zn
tönen, so ost wir an dieser Stelle schritten.
Und so viele Kameraden sind seinem düster»
Rufe gefolgt. Mußten ihm folgen hinab zn»,
Styx, allwo Freund Charon die stille Barke
lenkt. Visionär sehe ich die Gestalten. Mit
Tornister und Gewehr scheinen sie irgendtvo
weit drüben zn marschieren. Halb dünken sie
mir die erwünschte Ablösung, halb scheinen
sie Gestalten ans dem Schattenland,
Weiter wandern wir durch die Schlamm-
felder. Jeder hat einen Stab und fühlt nach
dem Weg, An verlassenen, völlig unter Wasser
stehenden Schützengräben, in denen sich vor
Monaten der Kampf abspielte, geht's vorbei.
Plötzlich flammt in der Ferne das weiße
Licht einer feindlichen Leuchtkugel ans. Lang-
sam steigt es kerzengerade in die Höhe, eine
ganze Weile hält es sich in der Luft. Weithin
blendende Helle, Rasch haben ivir uns. platt
ans dieErde geworfen, ungeachtet desSchmutzes,
der uns ansnimmt. Langsam, ganz langsam
fällt die weiße Kugel herab und die Finsternis
triumphiert ivieder allenthalben.
Weiter geht's. Wie von ungefähr kommen
wir über eine Chaussee, Nur noch knapp hun-
dert Meter und wir sind am Ziel. Gilt Lauf-
graben nimmt uns auf. Er gibt einen reich-
lichen Vorgeschmack dessen, was da für einige
Tage kommen soll. Ganz schmal ist er. An
seinen Wandungen klebt's gallertartig. Mein
Mantel wird bei der Berührung mit einer
iveichen Lehmschicht überzogen.
Vorsichtig habe ich mich mit der.Hand weiter
getastet, zwischen den Fingern quillt mir der
Lehmschlamm, Die Sohle ist etwa einen Fuß
hoch mit Wasser bedeckt. So sorgfältig man
auch den Schritt abtvägt, bald flutet das
schmutzige Wasser über den Raitd des Stiefel-
schaftes, sickert an be» Hosen hinunter und
quabbt zwischen den dieses Gefühl längst ge-
wohnten Zehen. Verflucht!
Jetzt sind wir arr der Mündung des Lanf-
in den Schützengraben angelangt. Jeder Mann
geht an seine Schießscharte und sucht fein Auge
an die sich vor ihm ausbreitende Finsternis
zu gewöhnen. Gegen das letztemal ist der Gra-
ben etwas besser gewordeir. Die Pioniere habe»
ihn an seinen schlechtesten Stellen mit Reisig
verkleidet, und auch gut ansschauende Unter-
stände, mit Holzivarrdungen ausgestattet, sind
eingebaut. Doch überrascht sehe ich, daß auch
in ihnen bereits wieder das alles beherr
schende Wasser steht.
Müde blicken wir über den Grabenwall,
spähen nach den verschanzten Franzosen und
hören auf etwaiges Geräusch, Doch nichts regt
sich, Tiefdnnkel liegt das Feld. Jir der Phan
tafle setzt sich ein ganz leises, fernes Klinge»
fest. Jst's der Nachtiviird, der leise durch den
vielfacheir Drahtverhau spielt? Doch es ist
keine lenzluftdurchhauchte Sommernacht, ganz
fein beginnt es zu rieseln. Wasser von unten,
Wasser von oben. Nicht zehn Schritt vor mir
ist rtivas zu erkennen, der französische Graben
aber ist nicht .mehr als zwanzig entfernt!
Buchstäblich: zwanzig Schritt.
Abivechselnd starren wir ins Dunkel, das
Gewehr schuß- und stichbereit neben »ns ge
stellt, die Hände in den weiter: Manteltaschen
vergraben.
Immer noch!
Dun welken und gelben im Walde die Blätter,
Schon lang, dass die letzte der Nachtigall » schwieg.
Rauh übers öefild braust des Fjerbststurms Wetter —
Und draussen — und drattssen ist immer noch Krieg!
Als sich im Lenz die Bäume begrünten
Und Blüten sich hoben in Wiese und Wald,
Die seligen Hoffnungen sich erkühnten:
„Run wird es Jriede! Dun kommt er bald!“
6s kam der Sommer mit sengenden Bluten,
Mit all seinem Reifen und all seinem Brand,
Doch weiter tobte das Kämpfen und Bluten,
Das Ringen und Streiten um Macht und Land,
Jetzt ist es Herbst, und die 5rucl)t ist geborgen,
Wir streuen ins Seid schon die kommende Saat,
Doch weiter wuchern die lastenden Sorgen
Um unsre Lieben, um Uolk und Staat.
Bald naht der Winter mit eisigem Brauen,
Mit heissendem Srost und blendendem Schnee —
Will nirgends licht eine Hoffnung blauen
Auf rasches 6»de von all dem Weh? ernst Kiaar.
Stellungskrieg.
Eine Erinnerung von Josef Ktiche, in, Felde (West-
Betgien).
Einige Stunden nach Mitternacht.
Undurchdringliches Dunkel liegt Über den
Bezirken des Poldenlandes. Nachdem wir^ilo-
meterweit, znm Teil bis an die Knie, im
Schlamm der anfgeweichten Felder gestapft,
stehen wir vor einer trotz der tiefen Finsternis
erkennbaren breiten Wasserfläche,
Als wir vor einigen Taget, die Wiesenstelle
passierten, konntetr ivir, wenn auch langsam
Fuß um Fuß Raum gewinnend, noch nach
den jenseitigen Rübenfeldern gelangen. Heute
ist es vorbei damit. „Bis att die Husten ging
das Wasser", erzählen uns Kameraden, die
tags vorher den Weg gehen mußten.
Nun aber haben Pioniere einen langen,
schmalen Steg geschlagen, an dem sich das
Wasser brausend bricht. Er dient uns als
Übergang, und vorsichtig tastend erreichen ivir
den von einigen alten Weiden bestandenen
Wiesensaum.
Alte Weiden. Knorrig und gespenstisch sehen
sie ans. Beim Mondenlichl habe ich sie die
letzten Wochen oft gesehen. Und jedesmal
wurde ich elegisch: Willst feiner Knabe du
mit mir gehn? — -
Des Erlkönigs Ruf schien mir immer zn
tönen, so ost wir an dieser Stelle schritten.
Und so viele Kameraden sind seinem düster»
Rufe gefolgt. Mußten ihm folgen hinab zn»,
Styx, allwo Freund Charon die stille Barke
lenkt. Visionär sehe ich die Gestalten. Mit
Tornister und Gewehr scheinen sie irgendtvo
weit drüben zn marschieren. Halb dünken sie
mir die erwünschte Ablösung, halb scheinen
sie Gestalten ans dem Schattenland,
Weiter wandern wir durch die Schlamm-
felder. Jeder hat einen Stab und fühlt nach
dem Weg, An verlassenen, völlig unter Wasser
stehenden Schützengräben, in denen sich vor
Monaten der Kampf abspielte, geht's vorbei.
Plötzlich flammt in der Ferne das weiße
Licht einer feindlichen Leuchtkugel ans. Lang-
sam steigt es kerzengerade in die Höhe, eine
ganze Weile hält es sich in der Luft. Weithin
blendende Helle, Rasch haben ivir uns. platt
ans dieErde geworfen, ungeachtet desSchmutzes,
der uns ansnimmt. Langsam, ganz langsam
fällt die weiße Kugel herab und die Finsternis
triumphiert ivieder allenthalben.
Weiter geht's. Wie von ungefähr kommen
wir über eine Chaussee, Nur noch knapp hun-
dert Meter und wir sind am Ziel. Gilt Lauf-
graben nimmt uns auf. Er gibt einen reich-
lichen Vorgeschmack dessen, was da für einige
Tage kommen soll. Ganz schmal ist er. An
seinen Wandungen klebt's gallertartig. Mein
Mantel wird bei der Berührung mit einer
iveichen Lehmschicht überzogen.
Vorsichtig habe ich mich mit der.Hand weiter
getastet, zwischen den Fingern quillt mir der
Lehmschlamm, Die Sohle ist etwa einen Fuß
hoch mit Wasser bedeckt. So sorgfältig man
auch den Schritt abtvägt, bald flutet das
schmutzige Wasser über den Raitd des Stiefel-
schaftes, sickert an be» Hosen hinunter und
quabbt zwischen den dieses Gefühl längst ge-
wohnten Zehen. Verflucht!
Jetzt sind wir arr der Mündung des Lanf-
in den Schützengraben angelangt. Jeder Mann
geht an seine Schießscharte und sucht fein Auge
an die sich vor ihm ausbreitende Finsternis
zu gewöhnen. Gegen das letztemal ist der Gra-
ben etwas besser gewordeir. Die Pioniere habe»
ihn an seinen schlechtesten Stellen mit Reisig
verkleidet, und auch gut ansschauende Unter-
stände, mit Holzivarrdungen ausgestattet, sind
eingebaut. Doch überrascht sehe ich, daß auch
in ihnen bereits wieder das alles beherr
schende Wasser steht.
Müde blicken wir über den Grabenwall,
spähen nach den verschanzten Franzosen und
hören auf etwaiges Geräusch, Doch nichts regt
sich, Tiefdnnkel liegt das Feld. Jir der Phan
tafle setzt sich ein ganz leises, fernes Klinge»
fest. Jst's der Nachtiviird, der leise durch den
vielfacheir Drahtverhau spielt? Doch es ist
keine lenzluftdurchhauchte Sommernacht, ganz
fein beginnt es zu rieseln. Wasser von unten,
Wasser von oben. Nicht zehn Schritt vor mir
ist rtivas zu erkennen, der französische Graben
aber ist nicht .mehr als zwanzig entfernt!
Buchstäblich: zwanzig Schritt.
Abivechselnd starren wir ins Dunkel, das
Gewehr schuß- und stichbereit neben »ns ge
stellt, die Hände in den weiter: Manteltaschen
vergraben.