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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0275
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8831

Da kommt von rechts her ein Geflüster durch
den Graben. Vorerst verstehe ich nur das üb-
liche Begleitwort: „Weiter sagen!" Bald aber
dringt der volle Inhalt der Botschaft an mein
Ohr, pflichtgemäß gebe ich sie an meinen
Kameraden zur Linken weiter: „Beim Nachbar-
regiment Nr. . .. ist eine feindliche Patrouille
unbemerkt bis an den Drahtverhall geschlichen
und hat diesen zu durchschneiden versucht."
Moderne Winkelriede, denen das schwere Los
zuteil ward, für ihre den Sturm vorbereiten-
den Kameraden eine Gasse zu bahne». Beim
Aufflammen unserer Leuchtkugel wurden sie
entdeckt und — zusammengeschossen.

Also doppelte Aufinerksamkeit erheischt's,
da anscheinend ein Überfall geplant. Ernster
wird der Begriff der Pflicht genommen, aus
allgemeine»! und eigenem Interesse. Doch alles
bleibt still. Weder bei uns, noch drüben fällt
ein Schuß. Nur beim Nachbarregiment, das
hundertfünfzig Meter von mir seinen linken
Flügelmann hat, wird schon den ganzen Abend
nervös geknallt. Eine Spannung lastet all-
mählich auf uns allen. Wie viel Stunden
sind's noch bis Tagesgrauen?

Da, was ist das! Die einzelnen Schüsse
beim benachbarten Regiment gehen plötzlich in
einem Salvengeknatter unter. Ganz toll wird
dort die Schießerei. Ohne Zweifel, ein feind-
licher Angriff ist erkannt und wird nun mit
ganzer Kraft abzuivehren gesucht. Ta-ta-ta-ta!
Mit der bekannten Regelmäßigkeit beginnt ein
Maschinengewehr zu arbeiten. Hundertfünfzig
Meter ist die umfangreiche Knallerei von uns
entfernt. Schnell haben wir das Gewehr er-
griffen, den Sicherungsflügel herurngelegt und
beobachten nun scharf das Gelände vor uns.
Ehe wir nicht ein klares Ziel erkennen, wird
kein Schuß abgegeben. Ruhe ist die Losung.
Nur ja keine Aufgeregtheit. Leucht-
kugel folgt auf Leuchtkugel. Das Ge-
lände ist fast taghell erleuchtet. Beim
Spähen über den Wall sehen wir,
ivie drüben die Franzosen genau
>vie wir ihre Köpfe über den Stand
stecken und — einen Angriff er-
warten.

Hier ivie dort ivird kein Schuß
abgegeben, denn auf beiden Seiten
kennt man die Folgen des vorbeu-
genden Schießens ins Ungewisse,
auf bloße Vermutungen hin, das
dann kein Ende nehmen will. Also
abwarten und scharf aufpassen. Die
beiderseitigen Leuchtkugeln arbeiten
ja, sie arbeiten auf Gegenseitigkeit.

Neben uns aber hallt scharf das
Geknatter i» die Nacht hinaus, jetzt
verstärkt durch die krachende Beteili-
gung der beiden Artillerien, die sich
gegenseitig die vermeintlichen Re-
serven befunken.

Als wir bei Moorslede zum ersten-
mal solchen Spuk erlebten, waren
wir aufgeregt. Jetzt sind wir als
treue Wächter des Grabens ruhig
geivorden.

Mittlerweile verdünnt sich die
hundertfache Knallerei neben uns,
löst sich allmählich in Einzelschüsse
auf, um dann ganz zu verstummen.

Der erfolgte oder nur vermeintliche

Angriff ist abgeschlagen. Und, als hätte sich
die nervöse Spannung gelegt: die ganze Nacht
fällt kein Schuß mehr.

Ein Erlebnis ist vorübergezogen.

Es ist gegen acht Uhr. Der Morgen graut
und in die Beherrschung der Stunde hat sich
neben Mars der Wettergott Pluvius brüder-
lich geteilt. Noch immer rieselt's von oben
herab. „Es regnet Bindfaden." sagt ein
Kamerad.

Langsam lichten sich die Nebelschleier. Das
Starren in die Dunkelheit ist vorbei, nur ein-
zelne Posten versehen noch dieses Amt mit
der alten Wachsamkeit, die jetzt bei Tages-
grauen doppelt stark sein muß. Aber des Lichts
geräumige Helle macht viele Augen überflüssig.

Ich nehme eine an einem langen Stiel be-
festigte Schöpfkelle und beginne das aligesam-
melte Wasser aus denl Graben zu schöpfen.
Hoch spritzt es jedesmal über die Brüstung
in der Richtung nach den Franzosen hinüber.
Dort drüben — zwanzig Meter von uns —
ist gleichfalls ein ivackerer Krieger am Schöpfen.
Verständnisvoll lacht er herüber, die gleiche
Schweinerei dort ivie bei uns. Er lacht und
ivinkt uns einen Morgengruß zu. Andere fin-
den sich bei ihm ein, sie lächeln und winken
grüßend. Aber keiner legt ein Gewehr auf
uns an. Das Ausbessern des Grabens erfor-
dert oft ein Beivegen über die Brüstung hin-
aus, und im Vertrauen, daß wir auf den ein-
zelnen Mann nicht schießen, lassen sie auch
uns unbehelligt. Einmal haben sie uns her-
übergerufen: „Nicht schießen, deutscher Kame-
rad. Wir Frau und Kind zu Haus. Wir auch
nicht schießen!" An einer Stelle lagen die
Gräben nur zehn Meter voneinander. Wir

hörten sie sprechen, sie uns. Ganz kamerad-
schaftlich warfen sie Apfelsinen herüber. Auch
einen Brief, in dem sie baten, ihre Toten be-
erdigen zu dürfen. Ein Verlangen, das, soviel
ich weiß, nach eingeholter Erlaubnis höherer
Kommandostellen, ihnen andern Tags ge-
währt wurde.

Das wgr iin Winter. Dann kam der Früh-
ling und mit ihm die Tage von Ipern. Wir
stürmten heraus aus unseren Gräben und
brache» in die feindlichen Stellungen ei». Wie
der Sturmwind ging es vorwärts, drauf auf
den Gegner, der starb oder floh.

Aber damals hatten ivir nicht Franzosen,
sondern Engländer vor >l»s. . . .

Die kranken Diplomaten.

U)e»ll die rauhen Tage kommeil
Und der perbst zieht in das Land -
Dieses weiß man aus Erfahrung —

Gibt es Urankheit allerhand;

6uch des wackern Vieroerbandes
Einst fo muntre Führerschar
Leidet von dem Ivitirnngswechsel
Fürchterlich in diesem Fahr.

Väterchen Ssasonow kränkelt
Leider schon seit ein'ger Zeit,

Und die ärzte raten dringend,

Daß man ihn vom Umt befreit;
auch Sonninos Zustand läßt zu
Wünschen übrig mancherlei,

Wenn man auch, gottlob, uns meldet,

Daß er nicht beängst'gend sei.

Lange schon an seinen äugen
Litt der brave Edward Grey,

Peilung nicht noch Lindrung brachte
2hm das schwärzeste pincenez;

Au contraire: die dunklen Gläser
Wirkten derart aufs Gemüt,

Daß er jetzt von Tag zu Tage
Schwärzer in die Zukunft sieht.

Noch betrüblicher, wenn möglich,

3Jt’s um Delcasse bestellt:

Was aufs perz ihm drückt, beseitigt
Keine Medizin der Welt.

Und im pirn, dem listenreichen,

Ward er ihm bald heiß, bald kühl —
Ferne von Paris erhofft jetzt
Peilung Ehren-TlFophile.

Kurz und gut, die hellsten Sterne
3m erhabnen Viererbund
Fühlten sich mit einem Male
Saint und sonders nicht gesund;
Epidemisch ward das Leiden,

Daran ist kein Zweifel mehr,

Und die Ürzte fragen ängstlich:

Wo kommt diese Seuche her?

Welcher Loccus, welch Bazillus
pat das Unheil angericht't? fman
Nach dem perd der Krankheit forscht
Und entdeckt denselben nicht,

Bis am End' ein wahrhaft Weiser
pat entdeckt das Phänomen:

5lch, es sind die bösen Stürme,
welche von dem Balkan wehn!

Dalduin.

Ein Zukunftsbild.

Für den Fall, daß Väterchen Thron und Land verlieren sollte, hat ihm
Nikita von Montenegro den Posten eines Schafhirten angetragen.
 
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