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Damen.
Die beiden Damen wickelten die Schals
etwas fester um den Hals, denn der Herbst-
wind blies tüchtig.
„Eigentlich ist es rührend von dir, Lilli, bei
diesem rauhen Wetter deine gewohnten Aus-
gange zu machen, wo du dich doch so leicht
erkälten kannst."
Die Angeredete lächelte etwas geschmeichelt.
„Liebe Mieze, man muß in diesen Zeiten mit
gutein Beispiel voran-
gehen. Wir Frauen
müssen eben auch käm-
pfen, jeder auf seine
Art."
Sie blieben vor ei-
ne!» vierstöckigen Hau-
se stehen. „Hier müssen
wir noch Nachfrage
halten. Hier wohnt
eine Witwe, die von
unserem Verein Unter-
stützung bekommen hat
und es nicht verdienen
soll. Da muß man höl-
lisch aufpassen."
„Ja natürlich! Das
Geld darf nicht in un-
ivürdige Hände fal-
len."
Und sie stiegen, ein
bißchen keuchend, die
drei Treppen des Hin-
terhauses empor, bis
sie vor dein Schild der
Witwe Niemayer stan-
den. Die Frau öffnete
und forderte sie zum
Eintritt auf. Aber die
Damen blieben lieber
draußen; der sehr enge
Raum des Zimmers
war mit allen mögli-
chen Wäschestücken be-
legt, ivohl Gegenstän-
de der Heimarbeit.
„Wir haben gehört,
daß Sie zahlreiche Pa-
kete ins Feld schicken.
Da kann esJhnen doch
also nicht so schlecht
gehen?"
Die Witwe lächelte.
„Seit die Wäsche-
näherei habe und seit-
dem mein Junge als
Austräger und ineine
Tochter als Verkäufe-
rin etivas verdienen, geht es inir ganz leidlich."
„Haben Sie denn Verwandte im Feld?"
fragte die andere Dame.
„Nein."
„Wem schicken Sie denn Ihre Pakete?"
„Ich schicke sie an einen Soldaten, von dem
man mir sagte, daß er sonst von keiner Seite
etivas bekommt."
„Sie sind also in der Lage, etivas zu ver-
schenken?"
„Ein klein wenig soll man schon »och entbeh-
ren können, meine ich. Und im übrigen — ich ver-
.lange ja seit langem keine Unterstützung mehr!"
Die Dame war etwas verwirrt. Aber sie
setzte eine strenge Miene auf. „Wir müssen
uns von solchen Dingen überzeuge», damit
Sie uns später nicht etwa wieder in Anspruch
nehmen." .
Damit rauschte sie davon und die andere
folgte ihr eilig; beide sahen nicht mehr das
Kopfschütteln der Witwe, die lächelnd wieder
an ihre Arbeit ging. — —
„So gehen diese Leute mit ihrem Verdienst
um. Ist das nicht unglaublich?"
„Unerhört!"
Sie stärkten sich in einer benachbarten Kon-
ditorei von den Strapazen dieses Tages.
Die Uhr schliig halb acht. „Um Gottes willen,
schon so spät. Ich muh ja noch etwas zum
morgigen Geburtstag von Maina aussuchen."
Sie beeilten sich und waren zehn Minuten
später in einem Geschäft der Hauptstraße. Der
Chef empfing sie sehr devot und erfreut, die
einzige Verkäuferin aber sah mit etwas ver-
zagtem Blick zur Uhr empor: heute wurde es
wieder spät und sie war doch so müde. Denn
zu tun war den ganzen Tag geivesen, und
dies ewige Herumstehen machte noch müder
als richtige Arbeit.
Die Damen waren sehr wählerisch. Ein
Schubfach nach dein anderen wurde geöffnet,
und ein Kästchen nach deni anderen vom Regal
heruntergeholt und vorgelegt. Der Verkäuferin
wankten die Knie. Es hatte schon acht ge-
schlagen, lind die Damen konnten sich noch nicht
entscheiden.
Endlich entschloß sich Fräulein Mieze, ein
Reisetäschchen zu kaufen. „Mama ivird es
für nächstes Jahr gut
brauchen können. In
diesem Jahr kann man
ja leider nicht nach
dem Süden."
„Leider."
Das Geschenk war
eingewickelt, und der
Geschäftsinhaber über-
reichte es der Kundin
persönlich, mit höfli-
chem Gruß die Laden-
tür öffnend.
„Ach," sagte Fräu-
lein Mieze, das Paket
mißmutig betrachtend,
„mit dein Paket inöchte
ich eigentlich doch nicht
über die Straße gehen.
Senden Sie es mir,
bitte, zu!"
„Gern. Morgen
früh —"
„O nein! Heute
abend inuß ich es noch
haben."
„DerLaufbursche ist
aber leider schon fort."
In Wirklichkeit war
der Laufbursche der
Verringerung der Ge-
schäftsspesen schon
längst zum Opfer ge-
fallen und seit Mona-
ten entlassen.
„Da könnte es mir
vielleicht das Fräulein
beim Nachhausegehen
noch heranbringen?"
Und ohne einen Wi-
derspruch abznwarten,
den auch weder die
Verkäuferin noch der
Chef gewagt hätten,
ließ sie ihre Adresse da
und verließ das Ge-
schäft. —
„Fandest du nicht
auch, daß die Bedienung hier schlecht ist?"
fragte die Freundin draußen.
„Ja, ich werde einmal mit dem Prinzipal
darüber reden. Das Fräulein schien ja ge-
radezu empört darüber zu sein, daß sie mir
das kleine Paket noch heranbringen soll."
„Und für diese Art Leute opferst du nun
deine Zeit, Mieze!"
„Ja, es ist eine undankbare Geschichte. Nun
ivollen mir aber die Trambahn abwarten. Ich
habe schon einen tüchtigen Hunger."
Und sie beeilten sich, uni die nächste Halte-
stelle zu erreichen. . . .
Greys tägliches Gebet.
„Lieber Gott, beschütze doch, bitte, meine beste» Bundesgenossen, die deutschen Lebens
Mittelspekulanten, und bewahre sie auch weiterhin vor niedrigen Preisen!"
Damen.
Die beiden Damen wickelten die Schals
etwas fester um den Hals, denn der Herbst-
wind blies tüchtig.
„Eigentlich ist es rührend von dir, Lilli, bei
diesem rauhen Wetter deine gewohnten Aus-
gange zu machen, wo du dich doch so leicht
erkälten kannst."
Die Angeredete lächelte etwas geschmeichelt.
„Liebe Mieze, man muß in diesen Zeiten mit
gutein Beispiel voran-
gehen. Wir Frauen
müssen eben auch käm-
pfen, jeder auf seine
Art."
Sie blieben vor ei-
ne!» vierstöckigen Hau-
se stehen. „Hier müssen
wir noch Nachfrage
halten. Hier wohnt
eine Witwe, die von
unserem Verein Unter-
stützung bekommen hat
und es nicht verdienen
soll. Da muß man höl-
lisch aufpassen."
„Ja natürlich! Das
Geld darf nicht in un-
ivürdige Hände fal-
len."
Und sie stiegen, ein
bißchen keuchend, die
drei Treppen des Hin-
terhauses empor, bis
sie vor dein Schild der
Witwe Niemayer stan-
den. Die Frau öffnete
und forderte sie zum
Eintritt auf. Aber die
Damen blieben lieber
draußen; der sehr enge
Raum des Zimmers
war mit allen mögli-
chen Wäschestücken be-
legt, ivohl Gegenstän-
de der Heimarbeit.
„Wir haben gehört,
daß Sie zahlreiche Pa-
kete ins Feld schicken.
Da kann esJhnen doch
also nicht so schlecht
gehen?"
Die Witwe lächelte.
„Seit die Wäsche-
näherei habe und seit-
dem mein Junge als
Austräger und ineine
Tochter als Verkäufe-
rin etivas verdienen, geht es inir ganz leidlich."
„Haben Sie denn Verwandte im Feld?"
fragte die andere Dame.
„Nein."
„Wem schicken Sie denn Ihre Pakete?"
„Ich schicke sie an einen Soldaten, von dem
man mir sagte, daß er sonst von keiner Seite
etivas bekommt."
„Sie sind also in der Lage, etivas zu ver-
schenken?"
„Ein klein wenig soll man schon »och entbeh-
ren können, meine ich. Und im übrigen — ich ver-
.lange ja seit langem keine Unterstützung mehr!"
Die Dame war etwas verwirrt. Aber sie
setzte eine strenge Miene auf. „Wir müssen
uns von solchen Dingen überzeuge», damit
Sie uns später nicht etwa wieder in Anspruch
nehmen." .
Damit rauschte sie davon und die andere
folgte ihr eilig; beide sahen nicht mehr das
Kopfschütteln der Witwe, die lächelnd wieder
an ihre Arbeit ging. — —
„So gehen diese Leute mit ihrem Verdienst
um. Ist das nicht unglaublich?"
„Unerhört!"
Sie stärkten sich in einer benachbarten Kon-
ditorei von den Strapazen dieses Tages.
Die Uhr schliig halb acht. „Um Gottes willen,
schon so spät. Ich muh ja noch etwas zum
morgigen Geburtstag von Maina aussuchen."
Sie beeilten sich und waren zehn Minuten
später in einem Geschäft der Hauptstraße. Der
Chef empfing sie sehr devot und erfreut, die
einzige Verkäuferin aber sah mit etwas ver-
zagtem Blick zur Uhr empor: heute wurde es
wieder spät und sie war doch so müde. Denn
zu tun war den ganzen Tag geivesen, und
dies ewige Herumstehen machte noch müder
als richtige Arbeit.
Die Damen waren sehr wählerisch. Ein
Schubfach nach dein anderen wurde geöffnet,
und ein Kästchen nach deni anderen vom Regal
heruntergeholt und vorgelegt. Der Verkäuferin
wankten die Knie. Es hatte schon acht ge-
schlagen, lind die Damen konnten sich noch nicht
entscheiden.
Endlich entschloß sich Fräulein Mieze, ein
Reisetäschchen zu kaufen. „Mama ivird es
für nächstes Jahr gut
brauchen können. In
diesem Jahr kann man
ja leider nicht nach
dem Süden."
„Leider."
Das Geschenk war
eingewickelt, und der
Geschäftsinhaber über-
reichte es der Kundin
persönlich, mit höfli-
chem Gruß die Laden-
tür öffnend.
„Ach," sagte Fräu-
lein Mieze, das Paket
mißmutig betrachtend,
„mit dein Paket inöchte
ich eigentlich doch nicht
über die Straße gehen.
Senden Sie es mir,
bitte, zu!"
„Gern. Morgen
früh —"
„O nein! Heute
abend inuß ich es noch
haben."
„DerLaufbursche ist
aber leider schon fort."
In Wirklichkeit war
der Laufbursche der
Verringerung der Ge-
schäftsspesen schon
längst zum Opfer ge-
fallen und seit Mona-
ten entlassen.
„Da könnte es mir
vielleicht das Fräulein
beim Nachhausegehen
noch heranbringen?"
Und ohne einen Wi-
derspruch abznwarten,
den auch weder die
Verkäuferin noch der
Chef gewagt hätten,
ließ sie ihre Adresse da
und verließ das Ge-
schäft. —
„Fandest du nicht
auch, daß die Bedienung hier schlecht ist?"
fragte die Freundin draußen.
„Ja, ich werde einmal mit dem Prinzipal
darüber reden. Das Fräulein schien ja ge-
radezu empört darüber zu sein, daß sie mir
das kleine Paket noch heranbringen soll."
„Und für diese Art Leute opferst du nun
deine Zeit, Mieze!"
„Ja, es ist eine undankbare Geschichte. Nun
ivollen mir aber die Trambahn abwarten. Ich
habe schon einen tüchtigen Hunger."
Und sie beeilten sich, uni die nächste Halte-
stelle zu erreichen. . . .
Greys tägliches Gebet.
„Lieber Gott, beschütze doch, bitte, meine beste» Bundesgenossen, die deutschen Lebens
Mittelspekulanten, und bewahre sie auch weiterhin vor niedrigen Preisen!"