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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0282
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8838

Eine moderne Fabel.

Es kam vor König Nobels Thron
Der Fuchs mit eingezognem Schweife:
„Erlaube deinem treuen Sohn,

Daß bittend er das Wort ergreife!

Der Gänse Schar, sie schnattert dreist.
Ich trachte ihr nach Blut und Leben!
Wohl habe manche ihren Geist
Durch meine Freßgier aufgegeben.

Die Zeiten sind nun mal so schlecht.
Man muß sich durchzuschlagen trachten.
Doch werde ich Gesetz und Recht
Bis auf das letzte Tüpfcrl achten.

And läuft mir mal von ungefähr
Ein Gänschen zwischen meine Zähne,

So widme ich, bei Gunst und Ehr,

Ihm hinterdrein Gebet und Träne!"

Der König sah den Redner an
And sah sich an die Klägerinnen —

Er wußt', mit diesem edlen Mann
Ist selten nur gut Garn zu spinnen,
Drum sprach er mild und würdevoll:
„Burgfrieden herrscht anjetzt im Lande!
Es tue jeder, wie er soll —

And jeder In' nach seinem Stande!"

Er winkt — und rückwärts zogen sich
Die Gänse und der Fuchs zurücke;

'ne Helle Wehmutsträne schlich
Sich noch in der Petenten Blicke.

Doch unterwegs, als von dem Schloß
Nicht Turm zu schauen mehr noch Giebel,
Erneut des Fuchsens Rede floß.

Wie immer, heuchlerisch und übel:

„Habt ihr gehört, was Majestät
Von seinem hohen Thron gesprochen?
Burgfrieden, wie er rings besteht —
Ihr habt ihn frevelhaft gebrochen!"

And alsobald mit Angestüm

Warf er sich auf die Schnatterweiber —

Nicht eine könnt' entrinnen ihm!

Nur Federn blieben für die Schreiber.

Doch keine Klag' von links und rechts

Zst wieder vor den Thron gekommen-

Als Vess'rungszeichen seines Knechts

Hat es der gute Fürst genommen. Ernst Maar.

Feldpostbriefe.

XXXIII.

Geliebte Rieke! Nach einem fünfzehnmona-
tigen Feldzuge sollte man eigentlich glauben,
daß einem keine Jrrtümer mehr passieren
könnten. Aber der gestrige Tag, der einer der
niederträchtigsten war, die mir das gütige
Schicksal jemals hat erleben lassen, bestand
aus eine fortlaufende Reihe von Jrrtümer
und Mißverständnisse, — was ich Dir in nach-
stehende Zeilen erzählen will.

Die Sache fing eigentlich schon vorgestern
abend im Quartier an. Mein Freund Fritze
Lehmann aus die Ackerstraße hatte eine
Pulle Rum geschickt gekriegt, und da er ein
Lebemann ist, so lud er mir zu einen Grog
ein, den wir aber, weil wir leider keinen
Zucker nicht besaßen und auch kein Tropfen
Wasser aufzutreiben war, rein genießen mußte».
Fritze erzählte mir währenddem von seine
neuesten Liebesabenteuer in sein letztes Quar-
tier. Ich kenne diese Geschichten schon, denn
sie sind seit unserem Einrücken in Frankreich
immer dieselben. Fritze sagt bloß: „Wulewu,
Madam?" und denn schmeißt sich ihm gleich
dje ganze französische Weiblichkeit an den Hals.
In die Getränke ist er leider weniger erfolg-
reich. Ich vertrug meine Ladung sehr gut und
setzte dasselbe schmeichelhafte Vertrauen in
ihm. Aber dieses war mein erster Irrtum,
denn kaum hatte sich Fritze die Hälfte von
das ihm zukommende Quantum zu Gemüte
geführt, als er gänzlich beschmort neben mir
in das Stroh niedersank und ohne weitere
Komplimente in einen tiefen Schlaf verfiel.
Ich bettete mir arglos neben ihm, denn ich
dachte, er würde sich auch in diese Lage als
Kavalier zu benehmen wissen. Dieses war
aber mein zweiter Irrtum: denn Fritze sein
Magen machte Revolution und schleuderte mir
aus die angenehmsteu Träume, welche mir
gerade Dein liebes Bild in die verlockendsten
Situationen vor mein geistliches Auge tän-
delteu. Nach diese Unterbrechung hoffte ich
auf eine glückliche Fortsetzung der gestörten
Nachtruhe. Dieses war der dritte Irrtum, denn
schon nach eine knappe halbe Stunde wurde
Alarm geschlagen, und wir mußten raus in

die Finsternis. Der Feind hatte einen Über-
fall geplant, und wir sollten ihm mit gewohnte
Höflichkeit zuvorkommen.

Die Franzosen befanden sich in eine befestigte
Stellung, und wir mußten erst dichte ran, ehe
daß wir mit ihnen persönlich verkehren konnten.
Wie wir uns aber auf fünfzig Schritt genähert
hatten, da erschienen in demfeindlichen Schützen-
graben Bajonette, an die sie weiße Tücher
gebunden hatten zum Zeichen, daß sie sich gut-
willig zu ergeben gedachten. Also wollten wir
auch keine Spielverderber nicht sein, sondern
liefen ihnen freundschaftlich entgegen. und
sprangen in ihren Graben. Aber jetzt gewahrten
wir erst unseren vierten Irrtum: Bajonette
und weiße Tücher stachen zwar an die Brust-
wehren, aber Franzosen waren keine nicht da,
sondern ausgekniffen. Auch nicht schlecht! dachte
ich und sing gerade an, mir über den leichten
Sieg zu freuen (Irrtum Nr. 5), als wir plötz-
lich von beide Flanken Feuer besahen. Die
ganze feindliche Schützenlinie hatte sich nämlich
hintertückischer Weise in einen Wald retiriert,
der sich rechts und links von ihre verlassene
Stellung befand. Jetzt hieß es mit gefälltem
Bajonett vorwärts und den Wald gesäubert!
Und da sah ich zum erstenmal meinen Fritze
Lehmann aus die Ackerstraße wieder und ver-
wunderte mir über ihm. Bon seine Besoffen-
heit war nichts mehr zu bemerken, sondern er
kämpfte wie ein aus die Menagerie entwichener
Löwe, der seit acht Tagen keine Fütterung nicht
erhalten hat. „Bravo, Fritze!" rief ich ihm zu,
aber er beachtete mir nicht, und wir waren in
das Getümmel auch gleich wieder auseinander.

Als das Gelände vom Feinde geräumt
war, wurde zum Sammeln geblasen. Wie ich
da auf die Suche nach meine Kompagnie über
das Schlachtfeld laufe, stoße ich plötzlich auf
einen Gefallenen, der lang hingestreckt auf
dem Rücken daliegt, quittengelb ins Gesicht,
aber friedlich lächelnd, und das war kein anderer
als mein Kamerad Fritze Lehmann aus die
Ackerstraße! Ich beugte mir schluchzend über
ihm, um nachzusehen, wo er getroffen war; aber
kaum hatte ich ihm bei die Schultern berührt,
da erkannte ich meinen sechsten Irrtum, denn
die Leiche bewegte ihre bleichen Lippen und
murmelte: „Wulewu, Madam?" „Fritze!" brülle

ich und stoße ihm im Übermaße meines freu-
digen Schreckens in die kurzen Rippen. Da
klappt er seine Augendeckel aus und sagt: „Ach,
du bist es man bloß? Ich habe geglaubt, es
wäre die Kleene — du weißt doch noch?" „Ja-
woll, Menschenskind," sage ich, „ich weiß allens!
Du befindest dir noch inimer im Tran und
bist in deine Deckung eingedrusselt. Jetzt mache
aber, daß du dir sammelst, sie haben schon
geblasen!" Da sprang Fritze hoch und war
mit einem Male nüchtern. „Donnerwettstock!"
rief er voll Verwunderung aus, „wie bin ich
hierher gekommen und was ist eigentlich pas-
siert?" Da mußte ich doch lachen und erzählte
ihm, daß soeben eine siegreiche Schlacht ge-
schlagen wäre und er mit die größte Tapfer-
keit mitgefochten habe. Das Aas wußte von
gar nichts, seine letzte Besinnung war ein Glas
Rum geivesen!

Wir marschierten nun wieder in unsere alte
Stellung retour und legten uns auf das Lager,
das wir letzte Nacht unvollendet hatten ver-
lassen müssen. Der Schlaf, der mir jetzt über-
fiel, war nicht von schlechten Eltern, und im
Traum erschien mir wieder Dein liebes Bild,
das ich, weil ich mir vor eine nochmalige
Störung fürchtete, mit heiße Umärmelungen
fest an meine Brust drückte. Aber trotz meine
leidenschaftliche Gefühle bliebst Du kalt und
lieblos gegen mir und warst ganz anders wie
sonst. Dies schmerzte mir tief und ich ver-
stärkte meine stürmischen Liebkosungen, aber
vergebens! Wie ich jedoch heute morgen er-
wachte, bemerkte ich mit Beschämung meinen
siebenten und letzten Irrtum: deun ich hatte
statt Deiner meinen Schießprügel im Arm ge-
halten und ihm die ganze Nacht über pussiert!

Geliebte Rieke, möchte bald der Tag heran-
kommen, wo dieses nicht inehr der Fall zu
sein braucht, sondern Du selber!

In diese Hoffnung verbleibe ich Dein ge-
treuer Bräutigam

August Säge ju»., Garde-Grenadier.

P. 8. Denke Dir, Fritze Lehmann ist für seine
unbewußten Heldentaten in das gestrige Ge-
fecht zum Eisernen Kreuz eingereicht worden.
Sei doch so gut und schicke mir umgehend
eine Pulle Rum, damit ich mir die gleiche
Auszeichnung verdienen kann. Dein Obiger.
 
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