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Winter 1915.
Nun fallen die weißen Flocken,
Nun klingt durch Schleier von Schnee
Der dumpfe Lall der Glocken,
Wimmernd in Schmerz und Weh.
In sanft gedämpftem Schalle
Tönt's durch die Winterluft;
Der Schnee deckt alle Felder,
Deckt manche frische Gruft.
Das Blut, das gestern gefloffen
Von manchem Kampfgesell,
Ist heute schon verschwunden:
Die Erde ward weiß und hell.
And ist doch in der Weite
Ein einzig Leichenfeld;
Die Naben krächzen heiser
Über die weiße Welt. . . .
Nun fallen die weißen Flocken;
Sie fallen ohne Ruh'
And decken doch nimmer die Leiden
And all die Wunden zu.... P.E.
Kühner.
Von Ruth Margarete Roellig.
Im Westen Ivar's.
Seit Wochen schon lag das kleine Häuflein
Feldgrauer auf ziemlich weit vorgeschobenen,
Posten und beobachtete. Wie die Maulwürfe
hatten sie sich eingegraben, denn es war eine
gefährliche Stelle. Weiße und farbige Eng-
länder ihnen gegenüber das war kein Kinder-
spiel. Täglich wartete die Kompagnie auf Ver-
stärkung zu einem geplanten Angriff. Besonders
war es Emil Kühner, ein noch junger, großer,
schlanker Kerl mit kühnem, nicht häßlichem Ge-
sicht und stahlblauen Augen, dem es gar nicht
scharf genug hergehen konnte. Jedesmal, wenn
Freiwillige gewünscht wurden für die so sehr
gewagten Nachtpatrouillen war er einer der
ersten, die sich meldeten. Und mit unglaublicher
Sicherheit führte er auch seinen Auftrag aus.
„Sie sind ja der geborene Nachtschwärmer,
Mensch," sagte einmal sein Leutnant zu ihm,
„so was ist mir noch nicht vorgekommen! Die
Kompagnie kann stolz auf Sie sein ich werde
Sie zur Beförderung Vorschlägen!"
Dem Soldaten schoß eine Lohe in das magere
Gesicht und seine Augen strahlten.
Einige Zeit danach wurde er Gefreiter. Seine
Tüchtigkeitmargeradezu vorbildlich, eineunbün-
dige Tatkraft und Zielsicherheit und eine ganze
Portion an geborcnerKlugheit steckte indem ziem-
lich wortkargen, verschlossene» Gesellen, der nie-
mals über sich und seine Angehörigen sprach
und weder Briefe noch Liebesgaben erhielt.
Die Zeit verging, man kam und kam nicht
vorwärts. Die Feinde lagen fest verschanzt
gegenüber und alle Mühe, sie zu verjagen,
war vergebens. Um so aufmerksamer mußte
Wacht gehalten werden.
Kühner erschien gelangweilt und mißmutig.
Da kam der Befehl an die Kompagnie, sich
zu einem Nachtangriff bereit zu halten. Alles
war plötzlich aufgerüttelt. Eine gewaltige, ge-
heimnisvolle Bewegung schien durch die ganze
Front der Feldgrauen zu zittern, bis in die
vordersten Stellungen hinein merkte man das.
Kühner, der bereits zum Unteroffizier be-
fördert war für eine beispiellos waghalsige
Erkundung, die er mutterseelenallein ausge-
führt, äugelte scharf durch den Abend, um den
gar nicht weitabliegenden Feind zu kontrol-
lieren. Sein schmalerMund war fest zusammen-
gekniffen und die Stirn gefurcht. Unausgesetzt
stand er und stierte durch die Dunkelheit.
„Na Kühner, heute wird's scharf hergehen",
rief ihm sein Leutnant im Vorübergehen mit
gedämpfter Stimme zu.
„Mich freuts, Herr Leutnant!" erwiderte
der Soldat ebenso leise und ein wunderliches
Lächeln huschte über sein Gesicht.
Die Nacht kam und entrollte ein wunder-
sames Schauspiel auf dem weiten Plan. Hinter
einem flankierenden Gehölz hatte die Artillerie
ihre Geschütze geborgen und mit dumpfem
Dröhnen zerriß der furchtbare Kanonendonner
die nächtliche Stille. Da flammte das weiß-
liche Licht der Scheinwerfer drüben vom Lager
der Feinde auf und tastete suchend über das
Schlachtfeld. Alles andere liegt in blaues
Dunkel gehüllt in dieser mondlosen Sommer-
nacht, bis die leuchtenden Blitze des Granat-
feuers zu funkeln beginnen. Und unter ihrem
Schutze dringt das tapfere Heer vor, unauf-
haltsam, gleich einem entfesselten Sturmwind,
und treibt den sich heftig wehrenden Feind
ein ganzes Stück zurück. .. .
Der Morgen nahte nach dem heißen Kampf
und mancher, der frisch und fröhlich hinaus-
zog, kam nicht zurück. Sein junges Leben war
dahin.
Auch Kühner fehlte beim Appell, er, der
der erste gewesen war in einem der feindlichen
Schützengräben, den seine Koinpagnie genom-
men, war verschwunden. Ein paar Soldaten
machten sich auf die Suche nach ihrem Unter-
offizier, der trotz seiner Schweigsamkeit doch
ein guter Kamerad gewesen und dessen tapfe-
res Verhalten so manchem Respekt abgenötigt
hatte.
Stunden vergingen, dann fanden sie ihn
wund und halb verschüttet von Erde, die eine
unweit von ihm krepierte Granate aufgewühlt
hatte. Mit Anstrengung befreiten ihn die Ka-
meraden und trugen ihn sacht hinüber an den
Verbandplatz. Ein Splitter hatte ihn gestreift
und ihm schmerzhafte, heftig blutende Fleisch-
wunden beigebracht. Allzuschlimm war es ja
nicht, er würde schon bald wieder aufkommen.
Über Kutzners harte Züge glitt ein merkwür-
diger Ausdruck, als er die braven Kerle, die
Kameraden so vor sich stehen und sich um ihn
bemühen sah. Er wandte den Kopf zur Seite
und drückte das Gesicht auf den Arm. Was
hatte er? Warum antwortete er auf keine
Frage mehr? Komischer Kauz, dachten die
Getreuen verwundert und doch erfüllt von
Achtung für diesen todesmutigen Helden.
Wochen vergingen. Neuer Zuzug war ge-
kommen. Mit frischen Kräften ging es ans
Werk. Jetzt befehligte Unteroffizier Müller,
der dicke Müller genannt, den Zug. Er
war erst seit kurzem an die Front gekommen,
da man ihn, einen gewiegten Polizeibeamte»,
so lange wie möglich auf seinem Posten in
der Hauptstadt behalten hatte. Noch hatten
die Strapazen des Schützengrabens ihm nichts
von seiner selbst in seinem Äußern hervor-
tretenden Gemütlichkeit genommen. Er war,
obwohl er bereits den Grad eines Unteroffiziers
bekleidete, gut Freund mit allen Kameraden.
„Kutzner ist wieder da, er ist jetzt Feldwebel!"
berichtete ihm eines Nachmittags einer der
Soldaten mit einein leisen Stolz und die
Freude über den Genesenen strahlte aus seinen
blauen Augen. „Kühner ist wieder da!" Das
hörte der Unteroffizier Müller noch mehrfach
an diesen. Tage. Er war selbst ordentlich neu-
gierig auf diesen Helden der Kompagnie, der
ja sein unmittelbarer Vorgesetzter war.
Winter 1915.
Nun fallen die weißen Flocken,
Nun klingt durch Schleier von Schnee
Der dumpfe Lall der Glocken,
Wimmernd in Schmerz und Weh.
In sanft gedämpftem Schalle
Tönt's durch die Winterluft;
Der Schnee deckt alle Felder,
Deckt manche frische Gruft.
Das Blut, das gestern gefloffen
Von manchem Kampfgesell,
Ist heute schon verschwunden:
Die Erde ward weiß und hell.
And ist doch in der Weite
Ein einzig Leichenfeld;
Die Naben krächzen heiser
Über die weiße Welt. . . .
Nun fallen die weißen Flocken;
Sie fallen ohne Ruh'
And decken doch nimmer die Leiden
And all die Wunden zu.... P.E.
Kühner.
Von Ruth Margarete Roellig.
Im Westen Ivar's.
Seit Wochen schon lag das kleine Häuflein
Feldgrauer auf ziemlich weit vorgeschobenen,
Posten und beobachtete. Wie die Maulwürfe
hatten sie sich eingegraben, denn es war eine
gefährliche Stelle. Weiße und farbige Eng-
länder ihnen gegenüber das war kein Kinder-
spiel. Täglich wartete die Kompagnie auf Ver-
stärkung zu einem geplanten Angriff. Besonders
war es Emil Kühner, ein noch junger, großer,
schlanker Kerl mit kühnem, nicht häßlichem Ge-
sicht und stahlblauen Augen, dem es gar nicht
scharf genug hergehen konnte. Jedesmal, wenn
Freiwillige gewünscht wurden für die so sehr
gewagten Nachtpatrouillen war er einer der
ersten, die sich meldeten. Und mit unglaublicher
Sicherheit führte er auch seinen Auftrag aus.
„Sie sind ja der geborene Nachtschwärmer,
Mensch," sagte einmal sein Leutnant zu ihm,
„so was ist mir noch nicht vorgekommen! Die
Kompagnie kann stolz auf Sie sein ich werde
Sie zur Beförderung Vorschlägen!"
Dem Soldaten schoß eine Lohe in das magere
Gesicht und seine Augen strahlten.
Einige Zeit danach wurde er Gefreiter. Seine
Tüchtigkeitmargeradezu vorbildlich, eineunbün-
dige Tatkraft und Zielsicherheit und eine ganze
Portion an geborcnerKlugheit steckte indem ziem-
lich wortkargen, verschlossene» Gesellen, der nie-
mals über sich und seine Angehörigen sprach
und weder Briefe noch Liebesgaben erhielt.
Die Zeit verging, man kam und kam nicht
vorwärts. Die Feinde lagen fest verschanzt
gegenüber und alle Mühe, sie zu verjagen,
war vergebens. Um so aufmerksamer mußte
Wacht gehalten werden.
Kühner erschien gelangweilt und mißmutig.
Da kam der Befehl an die Kompagnie, sich
zu einem Nachtangriff bereit zu halten. Alles
war plötzlich aufgerüttelt. Eine gewaltige, ge-
heimnisvolle Bewegung schien durch die ganze
Front der Feldgrauen zu zittern, bis in die
vordersten Stellungen hinein merkte man das.
Kühner, der bereits zum Unteroffizier be-
fördert war für eine beispiellos waghalsige
Erkundung, die er mutterseelenallein ausge-
führt, äugelte scharf durch den Abend, um den
gar nicht weitabliegenden Feind zu kontrol-
lieren. Sein schmalerMund war fest zusammen-
gekniffen und die Stirn gefurcht. Unausgesetzt
stand er und stierte durch die Dunkelheit.
„Na Kühner, heute wird's scharf hergehen",
rief ihm sein Leutnant im Vorübergehen mit
gedämpfter Stimme zu.
„Mich freuts, Herr Leutnant!" erwiderte
der Soldat ebenso leise und ein wunderliches
Lächeln huschte über sein Gesicht.
Die Nacht kam und entrollte ein wunder-
sames Schauspiel auf dem weiten Plan. Hinter
einem flankierenden Gehölz hatte die Artillerie
ihre Geschütze geborgen und mit dumpfem
Dröhnen zerriß der furchtbare Kanonendonner
die nächtliche Stille. Da flammte das weiß-
liche Licht der Scheinwerfer drüben vom Lager
der Feinde auf und tastete suchend über das
Schlachtfeld. Alles andere liegt in blaues
Dunkel gehüllt in dieser mondlosen Sommer-
nacht, bis die leuchtenden Blitze des Granat-
feuers zu funkeln beginnen. Und unter ihrem
Schutze dringt das tapfere Heer vor, unauf-
haltsam, gleich einem entfesselten Sturmwind,
und treibt den sich heftig wehrenden Feind
ein ganzes Stück zurück. .. .
Der Morgen nahte nach dem heißen Kampf
und mancher, der frisch und fröhlich hinaus-
zog, kam nicht zurück. Sein junges Leben war
dahin.
Auch Kühner fehlte beim Appell, er, der
der erste gewesen war in einem der feindlichen
Schützengräben, den seine Koinpagnie genom-
men, war verschwunden. Ein paar Soldaten
machten sich auf die Suche nach ihrem Unter-
offizier, der trotz seiner Schweigsamkeit doch
ein guter Kamerad gewesen und dessen tapfe-
res Verhalten so manchem Respekt abgenötigt
hatte.
Stunden vergingen, dann fanden sie ihn
wund und halb verschüttet von Erde, die eine
unweit von ihm krepierte Granate aufgewühlt
hatte. Mit Anstrengung befreiten ihn die Ka-
meraden und trugen ihn sacht hinüber an den
Verbandplatz. Ein Splitter hatte ihn gestreift
und ihm schmerzhafte, heftig blutende Fleisch-
wunden beigebracht. Allzuschlimm war es ja
nicht, er würde schon bald wieder aufkommen.
Über Kutzners harte Züge glitt ein merkwür-
diger Ausdruck, als er die braven Kerle, die
Kameraden so vor sich stehen und sich um ihn
bemühen sah. Er wandte den Kopf zur Seite
und drückte das Gesicht auf den Arm. Was
hatte er? Warum antwortete er auf keine
Frage mehr? Komischer Kauz, dachten die
Getreuen verwundert und doch erfüllt von
Achtung für diesen todesmutigen Helden.
Wochen vergingen. Neuer Zuzug war ge-
kommen. Mit frischen Kräften ging es ans
Werk. Jetzt befehligte Unteroffizier Müller,
der dicke Müller genannt, den Zug. Er
war erst seit kurzem an die Front gekommen,
da man ihn, einen gewiegten Polizeibeamte»,
so lange wie möglich auf seinem Posten in
der Hauptstadt behalten hatte. Noch hatten
die Strapazen des Schützengrabens ihm nichts
von seiner selbst in seinem Äußern hervor-
tretenden Gemütlichkeit genommen. Er war,
obwohl er bereits den Grad eines Unteroffiziers
bekleidete, gut Freund mit allen Kameraden.
„Kutzner ist wieder da, er ist jetzt Feldwebel!"
berichtete ihm eines Nachmittags einer der
Soldaten mit einein leisen Stolz und die
Freude über den Genesenen strahlte aus seinen
blauen Augen. „Kühner ist wieder da!" Das
hörte der Unteroffizier Müller noch mehrfach
an diesen. Tage. Er war selbst ordentlich neu-
gierig auf diesen Helden der Kompagnie, der
ja sein unmittelbarer Vorgesetzter war.