Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0299
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8855

Und er kam! In der Abenddämmerung er-
schien er in den Unterständen, die die Abge-
lösten soeben bezogen hatten. Groß und sehnig,
mit hageren Gliedern, kühner Nase und einem
harten Blick, der gleichsam wie mit Zangen
alles faßte, stand er vor ihm. Müller machte
seine pflichtschuldige Ehrenbezeugung. Plötzlich
ging ein Zucken über sein rundliches Gesicht.
Eine seltsame Vision stieg vor seinem geistigen
Auge auf, Nächte aus seiner Praxis, in denen
er durch die menschenleeren Nebenstraßen der
vornehmen Viertel gewandert war, um einen
zu fangen, einen der Gewandtesten und Ge-
wiegtesten. . . .

Konnte es möglich sein? Kutzner? Der Name
war derselbe.

Unbeiveglich schauten die ernsten Augen des
Feldwebels den anderen an, der vage Schein
eines Windlichtes in ihrer Nähe ließ erkennen,
daß um Kutzners schmalen Mund ein Zug
von Trauer und Herbheit lag.

Ziemlich verwirrt trat der dicke Unteroffizier
ab. Doch schon wenige Zeit danach wurde er
zu dem Feldwebel beordert. Kutzner stand im
nebelhaften Dämmer des Abends, ganz allein
war er, ein wenig abseits von den Kameraden.
Er ging dem Nahenden ein paar Schritte
entgegen. Ein wenig unsicher streckte er ihm
die Hand hin und mit verhaltener Stimme
sagte er: „Sie haben mich wohl schon erkannt,
Herr Kommissar, ich bin's wirklich, der Zangen-
Emil von ehemals! Das hätten Sie sich wohl
nicht träumen lassen,, daß ich Ihnen noch ein-
mal als Ihr Vorgesetzter gegenüberstehen
würde, was?" Er lachte ein wenig mit einem
harten, kurzen Ton.

„Nee, Mensch, so ein Spiel des Zufalls ist
ja geradezu romanhaft!" entgegnete Müller.
„Einen, den ein unglücktiches Geschick aus der
Bahn geworfen und zum Einbrecher gemacht
hat, finde ich hier wieder als tüchtigen Kerl,
ja, beinahe als Helden, wenn man den Reden
der Kameraden glauben will!" rief er in seiner
Überraschung ziemlich laut. „Ja, ja, der Krieg,
der bringt so manches Wunderliche zuwege!"

„Stille, stille", winkte Kutzner energisch ab
und sah sich schnell um, ob jemand in ihrer
Nähe sei. Er hatte nichts zu fürchten, sie
waren allein.

„Mich hat er auch geändert," meinte er
darauf. „Für all das Ungestüme, unbezähm-
bar Wilde, das nun einmal in mir liegt,
finde ich hier ein weites Feld. Ich suche die
Gefahr und bezwinge sie! Es geht nicht an-
ders, meine Kräfte muß ich an etwas messen.
Aber zeigen will ich Ihnen doch, was ich, der
Bestrafte, leisten kann! Daß es nun etwas
Gutes ist, dafür kann ich nicht, das ist eben
Gunst des Schicksals. Zu mir ist es ein bißchen
spät gekommen!"

Einen Augenblick schwieg er und preßte den
Mund hart zusammen.

In seiner riesenhaften Ausdehnung spannte
sich der blaudunkle Nachthimmel über den
beiden ungleichen Männern aus, und nur von
fern, wie verloren, drang das vereinzelte
Dröhnen der feindlichen Geschütze über das
schlummernde Land. Plötzlich tastete eine lange,
magere Hand durch die Dunkelheit und faßte
nach der Rechten des Unteroffiziers. „Herr
Kommissar," kam stohweis Kutzners Stimme,
„niemand von den Kameraden weiß etwas.

tun Sie mir den Gefallen, verraten Sie mich
nicht; sie achten mich alle, und ich will ein
anderer werden, bin es schon geworden, ver-
lassen Sie sich drauf, Herr Kommissar!"

Ein heischendes Flehen lag in seinen Worten
und Müller wurde eigentümlich zu Mut. „Bleibt
alles unter uns, Kamerad!" sagte er nur und
drückte des anderen Hand. „Mit Blut wäscht
man viele Schuld ab!"

Dann gingen sie auseinander.

Vier Woche» später kam der große Sturm
und Kutzner erhielt einen Bajonettstich durch
die Brust. Fast sterbend wurde er ins Lazarett
gebracht. Aber er war zähe. Über zehn Tage
hielt er sich noch. Sein Hauptmann kam und
heftete ihm das eiserne Kreuz auf die mühsam
atmende Brust, und ein Lächeln der Freude
verschönte das eingefallene Gesicht. Er war
nicht mehr transportfähig, aber sterben konnte
er auch nicht. Irgend etwas schien ihn zu
quälen. Die Kameraden, soiveit dieser oder
jener mal abkommen konnte, besuchten ihn.
Meist war er trotz der furchtbaren Schmerzen
bei voller Besinnung. Er glaubte nicht einen
Augenblick, daß alles zu Ende war; nein, nun
sollte es erst anfangen für ihn, das Leben!

Tag und Nacht grübelte er darüber nach,
wie es nun werden würde mit ihm. Konnte
er noch einen Beruf ergreifen? Oder, ob er
lieber Soldat blieb?

Unteroffizier Müller trat eines Tages un-
erwartet an sei» Lager, einer der Soldaten
hatte ihm verraten, daß Kutzner nach ihm
gefragt. Mit einem schon halb verlorenen
Lächeln wies der Verwundete aus das eiserne
Kreuz auf seiner Brust.

„Es geht mir schlecht, — aber daschier macht
mir so viel Freude!" sagte er.

Müller drückte ihm wortlos die Hand.

„Herr Kommissar, ich habe eine große Bitte,"
flüsterte er dann wieder, und der Unteroffizier
neigte sein Ohr dicht zu dein Munde des ster-
benden Helden.

„Wenn ich nun wieder herauskomme, ich
meine, wenn der Krieg zu Ende ist, dann ivill
ich doch ein neues Leben anfangen, alle Strafen
streichen —■ ja? Ein neues Leben, — mit dem
Ehrenkreuz kann — man doch - kein Ver-
brecher sein —, ein neues Leben —"

„Selbstverständlich, Kutzner, das Kreuz löscht
alles aus!" beruhigte ihn der Unteroffizier.
Da ging es wie ein Strecken durch die lange
Gestalt des Soldaten, sein Gesicht mit den
gespannten Zügen wurde ruhig und zufrieden.

„Alles aus," wiederholte er noch einmal
und lächelte — dann ein Seufzer und Emil
Kutzner, der berüchtigte Zangen-Emil, war tot,
gestorben als ein Held und tapferer Kamerad.

Der Prophet.

Sir Churchill sagte in seiner Rechtfertigungs-
rede im englischen Unterhaus: „Der Feldzug
von 1915 wurde durch Munitionsmangel beein-
flußt, der von 1916 wird infolge Soldatenman-
gels gegen Deutschland entschieden werden."

In dem Beifallssturm, den diese Prophe-
zeiung im Unterhaus auslöste, sind vermutlich
die nächsten Sätze verloren gegangen. Wir
geben deshalb ihren Inhalt nachträglich wiö-
der. Nach ihnen wird der Feldzug von 1917
durch den Mangel an neutralen Völkern, der
von 1918 durch den Mangel an zugkräftigen
Schlagworten, der von 1919 durch den Mangel
an Schlachtfeldern entschieden werden. Nur
an Churchills wird niemals ein Mangel sei»,
aber sie werden wie bisher keine Entscheidung
zugunsten Englands herbeiführen. . . .

Die Ethik.

Der russische Minister Sassonow sagte: „Die
christliche Ethik und die deutsche Handlungs-
weise passen nicht zusanimen."

Als er befragt wurde, wie er das meine,
erklärte er: „Die christliche Ethik verlangt, daß
man seinen Feind liebe? Tun das die Deut-
schen? Nein, sie besetzen unser Land! Die christ-
liche Ethik verlangt, die linke Backe hinzu-
halten, wenn man eins auf die rechte kriegt.
Befolgen die Deutschen das? Nein, sie schlagen
zurück! Und das wollen Christen sein? Wie ganz
anders betätigte dagegen Großftirst Nikolaje-
witsch sein Christentum, der Hieb auf Hieb
von Hindenburg einsteckte. . .!"

Serbisches Äoffnungsrondel.

Von Lehmann.

Hoffend auf des Vierbunds Hilfe
Saß auf seinem Thron der Peter;

Durch und durch von Gottes Gnaden,
Übt er freudig die Talente,

Die der Himmel ihm beschieden:

Nicht nur schlichten Hammeldiebstahl,
Der in seinem Hanse erblich.

Nein, auch richtige Moritaten
Leistet er sich, kindlich heiter.

Hoffend auf des Vierbunds Hilfe.

Denn versprochen und verheißen
Mar es allen kleinen Staaten
Jüngst von Petrograd und London:
„Euch kann fürder nichts passieren.
Unversehrt bleibt eure Pelle,

So ihr hegt den rechten Glauben
Und in Knechtssinn treu verharret
Gegen Asquith und Sasonow,

Allem Weltgeschehn zum Trotze
Hoffend auf des Vierbunds Hilfe."

Und es drang der Feind ins Ländchen,
Und der Peter packt den Koffer:

Bis an seines Reiches Grenzen
Mußte er gar eilig flüchten.

Auf ging Petern da ein Talglicht
Und der Hintre ihm mit Grundeis,

Und verzweifelt schrie er: „Wehe!

Weh mir Armen! Jetzt erkenn' ich.
Welch ein Esel ich gewesen.

Hoffend auf des Vierbunds Hilfe!"
 
Annotationen