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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0310
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. 8866

Legende vom verwehrten Weg.

Von Karl Bröger.

Feldiiber schwebt vor Tag und Tau
Von Nazareth die hohe Frau.

Die Nacht stiert stumm, es blinkt kein Stern,
Kein Hirte wartet seines Herrn.

And als sie kam aus freies Feld,

Die Erde donnert, blitzt und gellt.

And als sie kam an einen Wald,

Eines Mannes rauhe Stimm' erschallt.

„Wohin der Fahrt? Was ist genehm?
Hier führt kein Weg nach Bethlehem.

„And sucht Ihr Euren lieben Sohn,
Der starb vor tausend Jahren schon.

„Heut klingt ein andres Gloria.

Kennt Ihr den Klang von Golgatha?"

Dieweil ihr so der Weg verwehrt.

Hat sich die hohe Frau gekehrt.

Ein Stern entgleitet ihrer Hand,
And finster, finster liegt das Land.

Feldpostbriefe.

XXXV.

Geliebte Eltern! Eure Hoffnung, daß Ihr
mir zn Weihnachten würdet auf Urlaub zu
Hause sehen können, ist nicht in Erfüllung
gegangen. Es war leider Essig damit, aber
ich selber war mir auch bewußt, daß ein Weih-
nachtsurlaub eine dienstliche Unmöglichkeit ist,
indem man iveder einen einzelnen damit be-
gnadigen, noch die ganze Armee zu Hanse bei
Muttern schicken kann. Außerdein wissen wir
aus Erfahrung, daß gerade das Fest der Liebe
von die Franzosen zu allerhand Liebesdienste
benutzt wird, die man nicht in die Abwesen-
heit entgegennehmen kann, sondern wo jeder
von uns feste dabei auf seinen Platz sein muß.
Die Feinde glauben nämlich, daß es zu die
nationalen Eigentümlichkeiten von uns Deut-
schen gehört, am Weihnachtsabend egal duhn
zu sein, und auf diesem Irrwisch bauen sie
ihre kriegslistigen Pläne auf. Sie haben uns
in dieser Hinsicht schon voriges Jahr ein sehr
deutliches Licht angestochen, das uns den feh-
lenden Weihnachtsbaum beinahe ersetzte, und
wo ich noch heute daran mit Befriedigung
zurückdenke. Denn sie waren die Reingefal-
lenen in die Wolfsgruben, die sie für uns zur
Weihnachtsüberraschung gegraben hatte», und
an die Bescherung, die sie uns in Gestalt von
funkelnagelneuen Drahthindernisse und Ast-
verhaue aufbauten, haben sie sich selber den
Magen verdorben.

Ans diese dienstlichen Gründe können wir
zu Weihnachten von hier nicht weg, und auch
eine richtige Feier gibt es im Schützengraben
nicht. Die ganze Weihnachtsfestlichkeit, wie man
sie ins friedliche Inland und andere Etappen-
gelände zu begehen pflegt, eignet sich über-
haupt nicht für die vorderste Linie, wo wir
das Vergnügen haben, drin zu sitzen. Schon
allein von wegen die üblichen Gesänge nicht.
Stellt Euch zum Beispiel mal vor, daß die
Kompanie gerade angefangen hat: „Es ist
eine Rose entsprungen —" und in demselbigen

Augenblick springt eine Flattermine aus die
Erde auf! Oder während wir singen: „Vom
Himmel hoch da komm' ich her", kommt gerade
ein Schrapnell von oben auf uns herunter-
gesxgelt! Und wenn es auch bloß eine poplige
Blindschleiche wäre, so würde doch die rich-
tige Weihnachtsandacht dadurch eklig zerfetzt
werden.

Dagegen können Geschenke unter allen Um-
ständen in jede Form und Ausdehnung und
zn jede Tageszeit entgegengenonnnen werden,
und es sind bereits zahlreiche Sendungen von
liebe Freunde mit große Befriedigung ein-
getroffen. Eine ganz besondere Freude ist es
für uns, dabei feststellen zu können, daß man
uns jetzt bloß noch solche Sachen schickt, die
der Feldsoldat auch wirklich brauchen kann.
Lebensmittel kann er immer brauchen, und
mit diese Art hat man uns so spendabel über-
schüttet, daß unsere Konipanie eine sehr ge-
nußreiche Zeit entgegengeht. Aber auch in
andere Hinsichten werden wir nicht Not zu
leiden brauchen. So befinde ich mir zum Bei-
spiel gegenwärtig in den übertriebenen Besitz
von sechs Taschenspiegel, so daß ich mir nicht
bloß von alle vier Himmelsrichtungen, son-
dern auch, wenn ich will, zu gleicher Zeit
noch von oben und von unten bespiegeln kann.
Was ich aber nicht tue, teils von wegen die
Eitelkeit, die mir nicht drückt, teils auch von
wegen mein augenblickliches Außeres, das bei
andauerndes Regenwetter im Lehmdreck von
keine einladende Art ist. Bei Betrachtung der
acht wollenen Pulswärmer, die mir beschert
wurden, erwachte der dringende Wunsch in
meine Seele, daß ich der Gorille im Zoo wäre,
wo ich dann auf jede von meine vier Hände
man bloß zweiPulswärmer zu streifen brauchte,
während in meine jetzige Lage viere auf jede
Hand doch zu viel sind. Dagegen wünsche ich
mir für die drei Leibbinden, mit die man
mir überrascht hat, keine drei Bäuche nicht,
denn ich fürchte, daß ich die bei die manchmal
vorkommenden Wechselfälle der Verpflegung
nicht immer würde ernähren können. Augen-

blicklich aber, wie gesagt, ist nichts dergleichen
zu mutmaßen, denn meine Speisekammer langt
für eine halbe Korporalschaft aus. Selbst mein
Freund Fritze Lehmann aus die Ackerstraße,
der leider der Verfressenste von die ganze
Kompanie ist, blickt mit schmeichelhafte Empfin-
dungen in die Festzeit, obgleich er drei nor-
male Tagesrationen an Dauerivurst und Pfeffer-
kuchen bereits in die erste halbe Stunde glatt
weggefegt hatte. Aber bis Neujahr wird es
sogar bei ihin reichen, auch wenn er in das-
selbe Marschtempo weiterfüttern sollte. Ich
habe meine Fressalien noch nicht angerissen,
und Eure und Rieken ihr Paket sind über-
haupt noch gar nicht aufgemacht, weil ich mir
diese Freude zum Heiligen Abend aufsparen
will, wo ich Eurer in treuer Liebe und Dank-
barkeit gedenken werde.

Geliebte Eltern! Vorige Weihnachten glaub-
ten wir alle, daß das die letzten im Schützen-
graben sein würden. Wir haben uns geirrt.
Aber trotz diese schmerzliche Lehre ivollen wir
heute doch noch einmal an demselben Glauben
ffesthalten und die sichere Hoffnung aussprechen,
daß wir nächstes Jahr das Fest in Frieden
zu Hause begehen können!

In diese Hoffnung wünsche ich Euch allen
frohe Feiertage und grüße Euch herzlichst als
Euer dankbarer Sohn

August Säge jun., Garde-Grenadier.

Kriegsgewinn.

Im Lazarett wurde der erhöhte Sold aus-
gezahlt.

„Donnerlittchen", sagte da ein echter Ber-
liner Junge. „Statt zehn Pfennig jetzt drei-
unddreißig Pfennig! Wenn sie uns darauf bloß
nich zur Kriegsjewinnsteuer 'ranziehen!!"

Aus einem Schulbericht.

„. . . Jedoch haben die Ernährungszustände
doch auch ihr Gutes. Die früher so häufig be-
obachteten Fettflecke sind aus den Schüler-
heften vollständig verschwunden."
 
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