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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0314
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-- 8870

Christnacht im Felde.

Die Nacht, die heilige, niedersank.

Es geistert in alle» Ecken —
üent sind sie alle heimwehkrank.

Die tapfern, trotzigen Recke».

Und die gestanden in heißer Schlacht,
Inmitten von Blut und Leichen,

Die fühlen iiber die Wange sacht
Die Träne der Wehmut schleichen.

Ob Schneegestöber, ob Sternenschein,

Ob Regen, ob Windsgebrause —

Ei» jeder mit allen Gedanken sein
Ist heute zu Lause — zu Lause!

Bei Vater und Mutter, bei Weib und Kind,
Beim Freund, bei der fernen Geliebten,

Wo heut auch Träne um Träne rinnt.

Wo Lust und Freude sich trübten.

Kein Kinderjauchzen, kein Glockengedröhn,
Nicht Lallelujagesänge,

Rur der Tod geht stumm über Tal und Lohn
Und streckt seine gierigen Fänge. Ernst Klaar.

Leim kehr.

Lkizze von Ernst Preczcing.

Der ehemalige Steuermann Peter Petcrsen,
der in einem kleinen Küstendorf an der Ostsee
einen Kramladen betreibt, stand hinter dem
Ladentisch und gähnte herzhaft und hörbar.
Die kleine Öllampe auf der Bonbondose flim-
merte auch schon bedenklich matt, und Peter
Petersen, der ein Junggeselle war, wollte sich
nur noch etwas angenehme Gesellschaft für
diesen Weihnachtsabend verschaffen und dann
den Laden schließen. Er kletterte also ans die
Leiter und vertiefte sich in die Prüfung der
Flaschen, die oben auf dein Kastenregnl stan-
den. Hoho, da waren ja noch zivei von dem
ganz alten Jamaika, den er vor zwanzig
Jahren selbst mitgebracht hatte!

Peter Petersen fing fröhlich an zu pfeifen.

Er kam aber nicht weit in seiner Melodie;
denn plötzlich schlug die Glocke der Ladentür a».

Ein bärtigerMann, in einem grauenMilitär-
inantel gehüllt, und eine schirmlose Soldaten-
mütze auf dein stopfe, trat ein. Er stützte sich
auf einen Stock und kam langsam näher.

,,'n Abend, Peter Petersen."

Petersen sperrte die Augen weit auf und
schwieg. Dann hob er mit unsicherer Hand
die Öllampe empor, legte die Hand über die
Augen und wich entsetzt zurück: „Malte Mar-
tin!!"

„Was glotzst du, Petersen? Man darf doch
wohl nach Hause kommen! Mach mir ein Weih-

nachtspaket für meine Frau zurecht; es darf
'neu Taler kosten. Aber fix, ja?"

„Erst gib mir mal die Hand, Junge! Wahr-
haftig, Fleisch und Bein! Auf den Schreck,
Malte," er entkorkte eine Flasche und stellte
zivei Gläser zurecht, „auf den Schreck gehört
einer. Prosit! ... So, ... jetzt ist mir ivieder
besser. Und du bist nun vielleicht auch kräftig
genug, um eine Todesanzeige zu lesen, die
einen guten Bekannten von dir betrifft." Er
kramte in einer papiergefüllten Schublade
herum und fragte unterdessen: „Hast du deiner
Frau geschrieben?"

„Nein, ich wollt' sie überraschen."

„Wenn du bloß nicht der Überraschte bist."

„Wie meinst du das?"

„Lies erst." Er reichte ihm eine Zeitung.

lind Malte las: „Todesanzeige. Sichere Mit-
teilnngen, die ich von seinein Regiment erhielt,
lassen leider keine» Zweifel mehr, daß mein
innigstgeliebter Mann, der Zimmerer Malte
Martin, den Heldentod auf dem Schlachtfeld
im Osten gefunden hat. In tiefstem Schmerz
Anna Marlin, geborene Monks."

„Auf daß du lange lebest: Prosit, Malte!"

„Es ist ’n komisches Gefühl, Petersen, seine
eigene Todesanze'ge zu lesen."

„Das glaub' ich!"

„Aber es geht alles mit natürlichen Dingen
zu. Die Kameraden halten mich fallen sehen.
Zwei Kugeln in der Brust. Drei in der Schulter.
Es war genug, um Amen zu sagen. Ich lag
wie tot. Unsere mußten zurückgehen. Als ich
zu mir kam, war es Nacht. Ich kroch in einen
Granattrichter, wo schon mehrere lagen. Keiner
rührte sich mehr. Da schlief ich ein. Und wachte
erst ivieder auf, als ich eine Handvoll Erde
in den Mund kriegte. . . . Ja, gieß nur einen

ein, Petersen-Meine Beine hatten sie schon

begraben. Jetzt fing ich an zu spucken, kannst
du dir denken. Pfui Deibel noch mal! ... Ja,
aber polnische Bauern waren's, die uns ein-
kuhlen ivollten. Na, nun schleppten sie mich
in ein Feldlazarett. Da ivurde ich halbwegs
ausgeflickt und dann nach Sibirien geschafft.
Und jetzt haben sie mich ausgetauscht."

„Eine tolle Sache, Malle! Und du willst
deine Frau nun einfach so überfallen? Sie
kann den Tod davon haben."

„Wie geht es ihr, Petersen?"

„Gut ... das heißt ... ich weiß nicht ... sie
geht immer in Schwarz... es steht ihr gut...
deine Anne ist eine junge und hübsche Frau,
Malte."

Martin schmunzelte. Dann wurde er sehr
ernst: „Was soll das, Petersen?"

Petersen schob die Mütze aufs linke Ohr
und kratzte sich hinter dem rechten: „Es hilft

wohl nichts." Er sprach sehr vorsichtig. „Es
könnte nämlich sein, daß du so ganz ungeladen
in eine Verlobung hineinplatzst."

„Du willst damit doch nicht sagen, daß meine
Anne . . ."

„Ruhig, Malte, ruhig. Erinnere dich, daß
du tot bist. Jaivohl! Im Standesamtsregister
stehst du als mausetot eingetragen. Witwen
iverden bei uns nicht verbrannt, ivie ich das
mal in Indien gesehen habe. Hier steht es jeder
frei, einen neuen Man» zu nehmen — wenn
sie ihn haben will. Ich bin nicht ganz sicher,
ob deine Anne ihn haben will. Aber deine
Schwiegermutter, Frau Monks, ist wie Feuer
und Fett dabei — das will ich ruhig be-
schwören. Seit Wochen trägt sie's im Dorf
umher: zu Weihnachten gibl's eine Verlobung-."

Martin blickte ihn mit fürchterlichen Augen
an: „Soll ich dir diese Flasche an den stopf
schmeißen, Petersen?"

„Nein, tu das nicht; denn ich komme nie
wieder nach Jamaika. Übrigens bin ich es ja
nicht, der deine Witwe freien will."

Martin setzte die Flasche hin und stöhnte.
Dann sagte er leise: „Und wen — Petersen —
wen will sie denn heiraten?"

„Ich sage ja: ob sie cs will, weiß ich nicht.
Glaube es kaum. So eine vertrocknete Bohnen-
stange von Heringshändler —"

„Was?" Malte lachte fast. „Der alte Kahl-
kopf Jantzen aus der Stadt? Der und meine
Anne?"

„Er ist reich, Malte."

„Ja." Der Invalide nickte und sagte bitter:
„Grund genug. Wenigstcus für Frau Monks,
die sich schon damals mit Händen und Füßen
gegen den armseligen Zimmergesellen Malte
Martin gesträubt hat. Aber Anne? ... Peter-
sen, wenn ich wüßte, daß auch sie mich schon
vergessen hat . . . daß ihr ein reicher Mann
lieber ist, als ich armes Luder... wahrhaftig...
bi? jetzt hat mich noch keiner erkannt außer
dir, und du wirst das Maul halten, nicht
wahr? ... ich kann ebensogut tot bleiben."

„Halt!" Und Petersen begann in ungeheurer
Fixigkeit ein Paket zusammenzustellen. „Wir
gehen jetzt beide zur Verlobung, um das her-
auszukriegen. Oder —?"

„Oder in die Ostsee," sagte Malte.

„Sehen darf uns keiner," flüsterte Petersen,
als sie draußen waren. „Für den Fall, daß
sie den andern haben will. Ich denke darin
wie du, Malte. Bin deshalb ja auch Jung-
geselle.-,Sie wollten andere immer lieber alo
mich. Na, das ist Geschmacksache. . .. Siehst
du, da ist schon dein Häuschen, und die Fenster
nach dem Garten sind hell."
 
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