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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 32.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8259#0315
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8871

„Die gute Stube!"

„In, Verlobungen werden immer in der
guten Stube gefeiert. Jetzt aber still! Und
leise ans Fenster."

Frau Monks und der lange Heringshändler
saßen in Feiertagskleidung und Feierhaltung
au dem runden Sofatisch, während Frau Anne
im Trauerkleide mitten in der Stube stand
und gerade zornig sagte: „Hab' ich dabei auch
ein Wort mitzureden oder nicht?"

„Hörst du cs, Petersen?!" Martin preßte
zitternd seinen Arm.

„Ruhig, Malte!"

Herr Jantzen strich sich, verlegen über den
kahlen Kopf und erhob anbetend die Augen:
„Aber Sie sind doch natürlich die Hauptsache,
Frau Anna!"

„So?, Davon habe ich bis jetzt nichts ge-
merkt. Meine Mutter hat das ganz einfach
mit Ihnen abgekartet, ich soll heute damit
überrumpelt werden."

„Was du für Ausdrücke hast!" sagte Frau
Monks mit hochrotem Gesicht.

„Wir wollten Ihre Trauer ehren." Herr
Jantzen griff in die Rocktasche, brachte zwei
Kästchen zum Vorschein, erhob sich und ergriff
die Hand der jungen Frau.

„Schuft!" knirschte Martin.

„Still, Malte! Jetzt fällt er in die Knie."

Aber Herr Jantzen fiel nicht in die Knie,
sondern, sagte nur: „Heute ist das Fest der
Liebe, Frau Martin. Als ein Zeichen meiner
Liebe bitte ich Sie, diesen Ring und dies
Perlenhalsband anzunehmen."

„Anne!" Frau Monks hob entzückt und be-
schwörend die Hände. „Anne, Anne, sei nicht
dumm!"

Aber die Tochter wies Geschenk und Ring
zurück: „Sie meinen es gut, Herr- Jantzen.
Ich danke Ihnen dafür. Aber —"

„Können Sie mich denn nicht ein klein
wenig lieb haben?"

„Es gibt nur einen, den ich lieb habe. Und
der ist tot." Sie brach in Tränen aus.

„Anne!" schrie Malte. „Anne!"

„Bist du still, Dummbart! Soll sie der Schlag
rühren? Da, alle drei starren hierher! Jetzt
werde ich hineingehen und du wartest hier
so lange."

Malte klammerte sich mit beiden Händen
an den Fenstersims, so zitterte er.

Peter Petersen trat in die Stube: ,,'n Abend
auch und fröhliche Feiertage! Bitt'um Ent-
schuldigung, wen» ich störe. Ich Hab' da ein
Paket abzugeben. Aber —", er betonte es, „nur
an Sie, Frau Martin."

„Wer hat da draußen gerufen, Petersen?"

„Gerufen? Wüßte nicht."

„Es war mir doch ganz deutlich wie,Anne!'
Zweimal. Und die Stimme — die Stimme!"
Sie starrte nach dem Fenster. „Aber die Toten
stehn wohl nicht wieder auf, Petersen?"

„Hm." Petersen blickte Frau Monks an. „Es
passieren die wunderbarsten Dinge. Heute zuin
Beispiel war ein Soldat bei mir. Er kam aus
Sibirien, gab mir einen Taler und sagte: ,Den
schickt Malte Martin zum Weihnachtsgeschenk
für seine Frau."'

„Das ist ein dummer Spaß, Petersen!" sagte
Frau Monks.

Auch Frau Anne blickte böse.

Petersen fuhr gleichmütig fort: „Ja, und er
ließe einen schöne» Gruß an seine Schwieger-
mutter, Frau Monks, bestellen und dächte sie
bald mal zu besuchen."

„Petersen!" Die junge Frau sah ihn zornig
au. „Sie sollten sich schämen, mit so etwas
Ihren Spott zu treiben."

„Nee, Frau Martin. Wozu schämen? Das
mit dem Soldaten ist wirklich wahr. Er be-
hauptet, Ihren Mann noch vor vierzehn Tagen
in Rußland gesprochen zu haben."

„Großer Gott! Mutter, hörst du?"

„Wo ist der Soldat, Petersen?" fragte Frau
Monks spöttisch.

„Er wird sich gleich vorstellen."

In Frau Annes Augen glomm es plötzlich
wie Angst und Hoffnung auf: „Petersen!?"

Petersen ergriff ihre Hand und hielt sie fest,
ganz fest: „Ja. Erschrecken Sie nicht. Ihr
Mann steht draußen."

„Malte . . . Malte . . .!"

Er humpelte aber schon zur Tür herein:
„Anne!"

Lachen und Weine». Die beiden umklam-
merten einander und hörten es nicht, wie
Petersen sagte: „Ich Hab! hier ja nicht zu be-
stimme», Herr Jantzen. Aber zu einer kleinen
Weihnachtsfeierbei einem echten Jamaikagrog
darf ich Sie, glaube ich, einladen. Die Sache
ist etwas bitter für Sie, das ist richtig. Aber
wenn Sie Ihre hübschen blanken Dingerchen
da absolut noch loswerden wollen . . . Frau
Monks sagt nicht nein. Das will ich ruhig
beschivören, Herr Jantzen."

Hoffnung.

Von G. Seyler, im Schützengraben.

Grau ist die Nacht.

Und grau ist der Nebel,

Der über Berg und Tälern liegt.

Doch sieh! In der Ferne
Kündet ein heller Schein
Das kommende Morgenrot.

Weihnachtsmärchen.

Es war einmal, da gab es Mensche» in
Zivil. Und Männer standen in den Werkstätten
und arbeitete», und ivas sie schufen, wären
keine Gewehre, keine Kanonen und keine
Granaten. Und die Leute wohnten in Häusern
und schliefen in Betten und ivuschen sich an
jedem Tage und ivußten nichts von Läusen.
■ Ja, es war einmal eine Zeit, und das ist
ganz geivißlich wahr, da strichen die Menschen
ein Fett aufs Brot, das Butter genannt wurde.
Und Sonntags aßen sie zuweilen Schweiue-
braten, ein knusperiges Geschöpf, das heutzu-
tage ausgestorben ist.

Es war einmal eine Zeit, da war Friede
auf Erden und einige Menschen hatten ein
Wohlgefallen daran.

llnd es ivar einmal, da gab es keinen Zensor.
Aber das ist sehr lange her.

llnd wenn er nicht gestorben ist, dann lebt
er heute noch. Pan.

Das Feld und der Wald.

Ein Zwiegespräch.

»Was stehst du so kahl und winlerkall
Nebelumschleierter Nachbarwald?«

»»Ich muß die Toten hüten und hegen,

Die da modern auf meinen Wegen.

Als die Kugeln pfiffen und fauchten.

Als die Schrapnellgewölke rauchten,

Muhte dran glauben nianch junges Blut,

Das unter meinem Wurzelwerk ruht!««

»Auch mein Acker hat Blut getrunken,
Herzblut von denen, die auf ihn gesunken:
Alte und Junge in endloser Kette!

Grau auf den Spitzen der Sturmbajonette
Blanker Gewehre hockte der Tod,

Hockte und färbte mein Erdreich rot.«

»»Erst war es Herbst! Dann Winter schritt
Über die Lande mit kriegshartem Tritt.
Frühling und Sommer die Erde küßte,
llitö ein zweiter Herbst ging zur Rüste ...««

»Blut und Blut und immer nur Blut! .. .
Wild verwegne, verbissene Wut . . .«

»»Nun deckt der Schnee mit blinkendem Kleide
Kalt und lautlos wieder uns beide!««

»Ob er das Blut auch bedecken kann.

Das in Strömen rot auf uns rann.

Das uns in Purpurschlangen umkroch?«

»»Feld, wie lange währt cs wohl noch .. .?««

Wie ein Seufzen sang's in den Zweigen . . .
Dann standen Wald und Feld im Schweigen.

Ludwig CifjiMi.
 
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